Sklaverei-Vergangenheit der Schweiz und ihrer Banken

ShortId
18.3072
Id
20183072
Updated
28.07.2023 03:46
Language
de
Title
Sklaverei-Vergangenheit der Schweiz und ihrer Banken
AdditionalIndexing
24;04;15;1236
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>1. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts profitierten Schweizer Bürger von der Sklaverei. Während diese Privatpersonen Sklaven ausbeuteten, engagierten sich andere Schweizer seit Ende des 18. Jahrhunderts im In- und Ausland in Bewegungen gegen Sklavenhandel und Sklaverei. Nach dem Ersten Weltkrieg unterzeichnete die Schweiz zwei internationale Abkommen gegen Sklaverei. 1926 ratifizierte sie das Sklavereiabkommen des Völkerbundes (SR 0.311.37). 1956, 1974 und auch später bekräftigte sie ihr internationales Engagement gegen Sklaverei. Der Bundesrat brachte bereits 2003, 2006 und 2014 in seinen Antworten auf die Vorstösse 03.3014, 06.3070 und 14.3315 zum Ausdruck, dass er aus heutiger Perspektive zutiefst bedauert, dass in der Vergangenheit Schweizer Bürger, Unternehmen und Organisationen an der Sklaverei beteiligt waren. Im Übrigen sei daran erinnert, dass sich die Schweiz aktiv gegen Zwangsarbeit und Menschenhandel einsetzt, zwei moderne Formen der Sklaverei, deren Verbot heute ein wesentlicher Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist und zum zwingenden Recht gehört (ius cogens).</p><p>2. 1863 und 1864 stiessen die Vorstösse von Nationalrat Wilhelm Joos beim Bundesrat und bei der Mehrheit des Parlamentes auf Widerstand. Der Nationalrat lehnte seine Motion vom 10. Dezember 1864 mit 56 zu 21 Stimmen ab. Die Reaktion der Bundesbehörden war von den Normen geprägt, die in den 186er Jahren vorherrschten. Die Massstäbe haben sich inzwischen gewandelt, die heutige Gesellschaft ist von anderen Wertvorstellungen geleitet.</p><p>3. Der Bundesrat hat Kenntnis genommen von den laufenden Forschungsarbeiten und den entsprechenden Berichten in der Presse, namentlich im "Tages-Anzeiger" vom 8. Juli 2017 und in der "Wochenzeitung" vom 13. Juli 2017. Er geht davon aus, dass die UBS der Angelegenheit Beachtung schenkt.</p><p>4. Der Bundesrat stellt fest, dass seit fünfzehn Jahren mehr zu diesem Thema geforscht wird. Eine Zusammenfassung ist im Artikel "Sklaverei" im Historischen Lexikon der Schweiz nachzulesen. 2017 erschien neben den unter Ziffer 3 genannten Artikeln auch das Buch "Des Suisses au coeur de la traite négrière" des Historikers Olivier Pavillon. Es enthält neue Erkenntnisse zu den geschäftlichen und finanziellen Verwicklungen von Schweizer Bürgern und Unternehmen. Forschende können beim Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen der Projektförderung ein Beitragsgesuch einreichen.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>In der Schweiz ist das Bewusstsein darüber gering, dass auch Schweizer Persönlichkeiten mit der Sklavereigeschichte in Verbindung standen, obwohl bereits viele Forschungsresultate dazu vorliegen. Nun gibt es US-Gesetze, die von Firmen, die mit Städten und Bundesstaaten Geschäfte machen, die Offenlegung ihrer Sklaverei-Vergangenheit verlangen - sonst droht die Ungültigkeit von Verträgen.</p><p>Für den Historiker Zeuske ist es sicher, "dass die Besonderheit Europas in Bezug auf Sklaverei/Sklavenhandel darin besteht, dass man institutionell Banken daraus gemacht hat". Dies gilt zum Teil auch für die Schweiz: 1856 gründete der St. Galler J. L. Gsell die Deutsch-Schweizerische Kreditbank und A. Escher die SKA. Der Trogener J. U. Zellweger gründete 1866 die Bank für Appenzell Ausserrhoden und A. Guyer 1894 die Guyerzeller Bank. Ihnen allen wurde ein Bezug zur Sklavereigeschichte nachgewiesen. Aus der SKA wurde die CS, die 1990 die Bank Leu (auch mit Sklaverei-Vergangenheit) übernahm, Gsells Kreditbank und die Bank für Appenzell Ausserrhoden wurden Teil der UBS. </p><p>Ich bitte den Bundesrat um Beantwortung dieser Fragen: </p><p>1. 1815 (Wiener Kongress) erklärten die europäischen Mächte, Sklavenhandel sei "aufgeklärten Männern aller Zeiten als den Prinzipien der Menschlichkeit und der universellen Moral auf verabscheuenswürdige Art zuwider" gewesen. Wie beurteilt er historisch, moralisch und (menschen-) rechtlich, dass "angesehene" Schweizer durch das 19. Jahrhundert immer wieder Sklaverei/Sklavenhandel bzw. den antischwarzen Rassismus verharmlosten und rechtfertigten bzw. davon profitierten?</p><p>2. 1864 rechtfertigte er das Halten von Sklaven durch Schweizer in Brasilien: Sklavenhandel sei "kein Verbrechen", worauf Nationalrat Joos (SH) das Kaufen und Verkaufen von Sklaven als "Verbrechen gegen die Menschheit" bezeichnete. Wie ist die Position des Bundesrates von 1864 historisch, moralisch und (menschen-)rechtlich zu beurteilen?</p><p>3. Hat er zur Kenntnis genommen, dass der UBS nach der eidesstattlichen Erklärung 2006 zur Ausleihe-Emission für den O'Hare Airport heute wegen der nichtoffengelegten Sklavereibeziehungen von J. U. Zellweger auf Kuba erneut Ungemach drohen könnte?</p><p>4. Würde er eine systematische Aufarbeitung durch die historische Forschung begrüssen, weil nichtaufgearbeitete Sklavereibeziehungen für Schweizer Banken und Versicherungen zu einem systemischen Risiko werden könnten?</p>
  • Sklaverei-Vergangenheit der Schweiz und ihrer Banken
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts profitierten Schweizer Bürger von der Sklaverei. Während diese Privatpersonen Sklaven ausbeuteten, engagierten sich andere Schweizer seit Ende des 18. Jahrhunderts im In- und Ausland in Bewegungen gegen Sklavenhandel und Sklaverei. Nach dem Ersten Weltkrieg unterzeichnete die Schweiz zwei internationale Abkommen gegen Sklaverei. 1926 ratifizierte sie das Sklavereiabkommen des Völkerbundes (SR 0.311.37). 1956, 1974 und auch später bekräftigte sie ihr internationales Engagement gegen Sklaverei. Der Bundesrat brachte bereits 2003, 2006 und 2014 in seinen Antworten auf die Vorstösse 03.3014, 06.3070 und 14.3315 zum Ausdruck, dass er aus heutiger Perspektive zutiefst bedauert, dass in der Vergangenheit Schweizer Bürger, Unternehmen und Organisationen an der Sklaverei beteiligt waren. Im Übrigen sei daran erinnert, dass sich die Schweiz aktiv gegen Zwangsarbeit und Menschenhandel einsetzt, zwei moderne Formen der Sklaverei, deren Verbot heute ein wesentlicher Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist und zum zwingenden Recht gehört (ius cogens).</p><p>2. 1863 und 1864 stiessen die Vorstösse von Nationalrat Wilhelm Joos beim Bundesrat und bei der Mehrheit des Parlamentes auf Widerstand. Der Nationalrat lehnte seine Motion vom 10. Dezember 1864 mit 56 zu 21 Stimmen ab. Die Reaktion der Bundesbehörden war von den Normen geprägt, die in den 186er Jahren vorherrschten. Die Massstäbe haben sich inzwischen gewandelt, die heutige Gesellschaft ist von anderen Wertvorstellungen geleitet.</p><p>3. Der Bundesrat hat Kenntnis genommen von den laufenden Forschungsarbeiten und den entsprechenden Berichten in der Presse, namentlich im "Tages-Anzeiger" vom 8. Juli 2017 und in der "Wochenzeitung" vom 13. Juli 2017. Er geht davon aus, dass die UBS der Angelegenheit Beachtung schenkt.</p><p>4. Der Bundesrat stellt fest, dass seit fünfzehn Jahren mehr zu diesem Thema geforscht wird. Eine Zusammenfassung ist im Artikel "Sklaverei" im Historischen Lexikon der Schweiz nachzulesen. 2017 erschien neben den unter Ziffer 3 genannten Artikeln auch das Buch "Des Suisses au coeur de la traite négrière" des Historikers Olivier Pavillon. Es enthält neue Erkenntnisse zu den geschäftlichen und finanziellen Verwicklungen von Schweizer Bürgern und Unternehmen. Forschende können beim Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen der Projektförderung ein Beitragsgesuch einreichen.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>In der Schweiz ist das Bewusstsein darüber gering, dass auch Schweizer Persönlichkeiten mit der Sklavereigeschichte in Verbindung standen, obwohl bereits viele Forschungsresultate dazu vorliegen. Nun gibt es US-Gesetze, die von Firmen, die mit Städten und Bundesstaaten Geschäfte machen, die Offenlegung ihrer Sklaverei-Vergangenheit verlangen - sonst droht die Ungültigkeit von Verträgen.</p><p>Für den Historiker Zeuske ist es sicher, "dass die Besonderheit Europas in Bezug auf Sklaverei/Sklavenhandel darin besteht, dass man institutionell Banken daraus gemacht hat". Dies gilt zum Teil auch für die Schweiz: 1856 gründete der St. Galler J. L. Gsell die Deutsch-Schweizerische Kreditbank und A. Escher die SKA. Der Trogener J. U. Zellweger gründete 1866 die Bank für Appenzell Ausserrhoden und A. Guyer 1894 die Guyerzeller Bank. Ihnen allen wurde ein Bezug zur Sklavereigeschichte nachgewiesen. Aus der SKA wurde die CS, die 1990 die Bank Leu (auch mit Sklaverei-Vergangenheit) übernahm, Gsells Kreditbank und die Bank für Appenzell Ausserrhoden wurden Teil der UBS. </p><p>Ich bitte den Bundesrat um Beantwortung dieser Fragen: </p><p>1. 1815 (Wiener Kongress) erklärten die europäischen Mächte, Sklavenhandel sei "aufgeklärten Männern aller Zeiten als den Prinzipien der Menschlichkeit und der universellen Moral auf verabscheuenswürdige Art zuwider" gewesen. Wie beurteilt er historisch, moralisch und (menschen-) rechtlich, dass "angesehene" Schweizer durch das 19. Jahrhundert immer wieder Sklaverei/Sklavenhandel bzw. den antischwarzen Rassismus verharmlosten und rechtfertigten bzw. davon profitierten?</p><p>2. 1864 rechtfertigte er das Halten von Sklaven durch Schweizer in Brasilien: Sklavenhandel sei "kein Verbrechen", worauf Nationalrat Joos (SH) das Kaufen und Verkaufen von Sklaven als "Verbrechen gegen die Menschheit" bezeichnete. Wie ist die Position des Bundesrates von 1864 historisch, moralisch und (menschen-)rechtlich zu beurteilen?</p><p>3. Hat er zur Kenntnis genommen, dass der UBS nach der eidesstattlichen Erklärung 2006 zur Ausleihe-Emission für den O'Hare Airport heute wegen der nichtoffengelegten Sklavereibeziehungen von J. U. Zellweger auf Kuba erneut Ungemach drohen könnte?</p><p>4. Würde er eine systematische Aufarbeitung durch die historische Forschung begrüssen, weil nichtaufgearbeitete Sklavereibeziehungen für Schweizer Banken und Versicherungen zu einem systemischen Risiko werden könnten?</p>
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