Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten. Expressgesetzgebung, fehlende Vernehmlassung, Verletzung der Offenlegungspflicht von Interessenbindungen?

ShortId
18.3330
Id
20183330
Updated
01.07.2023 10:13
Language
de
Title
Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten. Expressgesetzgebung, fehlende Vernehmlassung, Verletzung der Offenlegungspflicht von Interessenbindungen?
AdditionalIndexing
2836;0421
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>1. Der Erlassentwurf zum Geschäft parlamentarische Initiative <a href="https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20160479">16.479</a> der SGK-S, "Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten", wurde in der Wintersession 2017 vom Ständerat als Erstrat behandelt. In der Frühjahrssession 2018 fanden die Beratung im Nationalrat, die Differenzbereinigung (je eine Runde) und die Schlussabstimmungen statt.</p><p>In der vergangenen und laufenden Legislaturperiode (d. h. von der Wintersession 2011 bis zur Frühjahrssession 2018) wurden rund 110 Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse von 400 innerhalb von zwei aufeinanderfolgenden Sessionen behandelt und verabschiedet (darin nicht inbegriffen sind Erlasse, die im beschleunigten Verfahren gemäss Art. 85 Abs. 2 ParlG behandelt wurden).</p><p>2. Der Bundesrat sah im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts (ATSG) die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Überwachung von Versicherten vor (Observationsartikel). Er führte dazu vom 22. Februar bis zum 29. Mai 2017 eine ordentliche Vernehmlassung durch. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) beschloss, den Observationsartikel aus dem Paket der ATSG-Revision herauszulösen und via Kommissionsinitiative direkt in den parlamentarischen Prozess einzuspeisen. Sie stützte sich bei ihren Beratungen vom 14. August und 7. September 2017 auf die Ergebnisse der Vernehmlassung des Bundesrates und verzichtete gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b des Vernehmlassungsgesetzes (VLG; SR 172.061) auf eine erneute Vernehmlassung zum gleichen Thema, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt waren (vgl. Bericht der SGK-S zu 16.479, Kapitel 1, "Entstehungsgeschichte" und Kapitel 3, "Vernehmlassungsergebnisse").</p><p>3.-5. Ja, solche Mandate sind offenzulegen. Alle im "Tages-Anzeiger"-Artikel erwähnten Akteure haben ihre Interessenbindungen gemäss Artikel 11 des Parlamentsgesetzes (ParlG, SR 171.10) offengelegt. Jedes Ratsmitglied hat seine beruflichen Tätigkeiten (Art. 11 Abs. 1 Bst. a ParlG), seine Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien sowie Beiräten und ähnlichen Gremien von schweizerischen und ausländischen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des privaten und des öffentlichen Rechts (Art. 11 Abs. 1 Bst. b ParlG) und die Beratungstätigkeiten für schweizerische und ausländische Interessengruppen (Art. 11 Abs. 1 Bst. d ParlG) offenzulegen. Die Parlamentsdienste erstellen ein öffentliches Register über die Angaben der Ratsmitglieder (Art. 11 Abs. 2 ParlG). Die offengelegten Interessenbindungen werden im Internet bei den Angaben zum einzelnen Ratsmitglied publiziert und separat als gesamte Listen für den Nationalrat und für den Ständerat veröffentlicht.</p><p>Die von den Ratsmitgliedern offengelegten Interessenbindungen werden als bekannt vorausgesetzt, das heisst, sie müssen von den Ratsmitgliedern bei den Beratungen eines Geschäftes in den Kommissionen und Räten nicht mehr erwähnt werden.</p><p>Zum Geschäft 16.479 wurden denn auch weder in den Kommissionen noch in den Räten nochmals mündlich Interessenbindungen offengelegt.</p><p>Anders sieht es aus bei Beratungsgegenständen, bei denen Ratsmitglieder unmittelbar in ihren persönlichen Interessen betroffen sind: In diesem Fall weisen sie auf diese Interessenbindung hin, wenn sie sich im Rat oder in einer Kommission äussern (Art. 11 Abs. 3 ParlG). Diese Regelung ist als Auffangtatbestand vorgesehen für Interessenbindungen, die nicht in einem Register offengelegt werden können, wie zum Beispiel familiäre oder freundschaftliche Beziehungen, die im Einzelfall bei der Beratung eines konkreten Geschäftes eine Rolle spielen können.</p>
  • <p>Die Vorlage 16.479, "Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten", wurde im Eiltempo durch das Parlament gepeitscht. Grundrechtliche Bedenken wurden zugunsten der finanziellen Interessen der Versicherungen vom Tisch gewischt. Gemäss Medienberichterstattung (<a href="https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/der-coup-der-versicherer/story/21970535">https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/der-coup-der-versicherer/story/21970535</a>) äusserten sich in der Debatte Ratsmitglieder, ohne ihre Interessenbindung gemäss Parlamentsgesetz offenzulegen. </p><p>1. Welche anderen Gesetzesrevisionen wurden bisher in schnellerer oder ähnlich rascher Zeit durch beide Kammern beraten und verabschiedet? Bekannte solche Schnellgesetzgebungsverfahren respektive Verfassungsänderungen sind beispielsweise 09.454 Mehrwertsteuersatz IV (drei Tage), 13.046 Lex USA (29. Mai bis 19. Juni 2013; Nichteintreten) und 11.467 Avig für über 55-jährige (5. Juli bis 30. September 2011). Bitte um Auflistung der Geschäfte, der Dauer und der Begründung für das rasante Vorgehen.</p><p>2. Warum wurde auf eine Vernehmlassung (allenfalls mit begründet verkürzter Frist) verzichtet?</p><p>3. Sind entschädigte Beratungs- oder Verwaltungsratsmandate bei Versicherern, die direkt von der Vorlage profitieren, eine Interessenbindung gemäss Artikel 11 ParlG? </p><p>4. Wenn nein: Welchen Sinn hat die Angabe von Interessenbindungen überhaupt noch?</p><p>5.1. Wenn ja: Trifft es zu, dass Ratsmitglieder in der Kommissionsdiskussion diese Interessenbindungen nicht offengelegt haben? Welche?</p><p>5.2. Wenn ja: Trifft es zu, dass Ratsmitglieder in der Ratsberatung diese Interessenbindungen nicht korrekt offengelegt haben? Welche?</p><p>5.3. Wenn ja: Welche Konsequenzen haben diese Verstösse gegen die Offenlegungspflicht für die Betroffenen?</p>
  • Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten. Expressgesetzgebung, fehlende Vernehmlassung, Verletzung der Offenlegungspflicht von Interessenbindungen?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1. Der Erlassentwurf zum Geschäft parlamentarische Initiative <a href="https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20160479">16.479</a> der SGK-S, "Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten", wurde in der Wintersession 2017 vom Ständerat als Erstrat behandelt. In der Frühjahrssession 2018 fanden die Beratung im Nationalrat, die Differenzbereinigung (je eine Runde) und die Schlussabstimmungen statt.</p><p>In der vergangenen und laufenden Legislaturperiode (d. h. von der Wintersession 2011 bis zur Frühjahrssession 2018) wurden rund 110 Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse von 400 innerhalb von zwei aufeinanderfolgenden Sessionen behandelt und verabschiedet (darin nicht inbegriffen sind Erlasse, die im beschleunigten Verfahren gemäss Art. 85 Abs. 2 ParlG behandelt wurden).</p><p>2. Der Bundesrat sah im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts (ATSG) die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Überwachung von Versicherten vor (Observationsartikel). Er führte dazu vom 22. Februar bis zum 29. Mai 2017 eine ordentliche Vernehmlassung durch. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) beschloss, den Observationsartikel aus dem Paket der ATSG-Revision herauszulösen und via Kommissionsinitiative direkt in den parlamentarischen Prozess einzuspeisen. Sie stützte sich bei ihren Beratungen vom 14. August und 7. September 2017 auf die Ergebnisse der Vernehmlassung des Bundesrates und verzichtete gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b des Vernehmlassungsgesetzes (VLG; SR 172.061) auf eine erneute Vernehmlassung zum gleichen Thema, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt waren (vgl. Bericht der SGK-S zu 16.479, Kapitel 1, "Entstehungsgeschichte" und Kapitel 3, "Vernehmlassungsergebnisse").</p><p>3.-5. Ja, solche Mandate sind offenzulegen. Alle im "Tages-Anzeiger"-Artikel erwähnten Akteure haben ihre Interessenbindungen gemäss Artikel 11 des Parlamentsgesetzes (ParlG, SR 171.10) offengelegt. Jedes Ratsmitglied hat seine beruflichen Tätigkeiten (Art. 11 Abs. 1 Bst. a ParlG), seine Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien sowie Beiräten und ähnlichen Gremien von schweizerischen und ausländischen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des privaten und des öffentlichen Rechts (Art. 11 Abs. 1 Bst. b ParlG) und die Beratungstätigkeiten für schweizerische und ausländische Interessengruppen (Art. 11 Abs. 1 Bst. d ParlG) offenzulegen. Die Parlamentsdienste erstellen ein öffentliches Register über die Angaben der Ratsmitglieder (Art. 11 Abs. 2 ParlG). Die offengelegten Interessenbindungen werden im Internet bei den Angaben zum einzelnen Ratsmitglied publiziert und separat als gesamte Listen für den Nationalrat und für den Ständerat veröffentlicht.</p><p>Die von den Ratsmitgliedern offengelegten Interessenbindungen werden als bekannt vorausgesetzt, das heisst, sie müssen von den Ratsmitgliedern bei den Beratungen eines Geschäftes in den Kommissionen und Räten nicht mehr erwähnt werden.</p><p>Zum Geschäft 16.479 wurden denn auch weder in den Kommissionen noch in den Räten nochmals mündlich Interessenbindungen offengelegt.</p><p>Anders sieht es aus bei Beratungsgegenständen, bei denen Ratsmitglieder unmittelbar in ihren persönlichen Interessen betroffen sind: In diesem Fall weisen sie auf diese Interessenbindung hin, wenn sie sich im Rat oder in einer Kommission äussern (Art. 11 Abs. 3 ParlG). Diese Regelung ist als Auffangtatbestand vorgesehen für Interessenbindungen, die nicht in einem Register offengelegt werden können, wie zum Beispiel familiäre oder freundschaftliche Beziehungen, die im Einzelfall bei der Beratung eines konkreten Geschäftes eine Rolle spielen können.</p>
    • <p>Die Vorlage 16.479, "Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten", wurde im Eiltempo durch das Parlament gepeitscht. Grundrechtliche Bedenken wurden zugunsten der finanziellen Interessen der Versicherungen vom Tisch gewischt. Gemäss Medienberichterstattung (<a href="https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/der-coup-der-versicherer/story/21970535">https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/der-coup-der-versicherer/story/21970535</a>) äusserten sich in der Debatte Ratsmitglieder, ohne ihre Interessenbindung gemäss Parlamentsgesetz offenzulegen. </p><p>1. Welche anderen Gesetzesrevisionen wurden bisher in schnellerer oder ähnlich rascher Zeit durch beide Kammern beraten und verabschiedet? Bekannte solche Schnellgesetzgebungsverfahren respektive Verfassungsänderungen sind beispielsweise 09.454 Mehrwertsteuersatz IV (drei Tage), 13.046 Lex USA (29. Mai bis 19. Juni 2013; Nichteintreten) und 11.467 Avig für über 55-jährige (5. Juli bis 30. September 2011). Bitte um Auflistung der Geschäfte, der Dauer und der Begründung für das rasante Vorgehen.</p><p>2. Warum wurde auf eine Vernehmlassung (allenfalls mit begründet verkürzter Frist) verzichtet?</p><p>3. Sind entschädigte Beratungs- oder Verwaltungsratsmandate bei Versicherern, die direkt von der Vorlage profitieren, eine Interessenbindung gemäss Artikel 11 ParlG? </p><p>4. Wenn nein: Welchen Sinn hat die Angabe von Interessenbindungen überhaupt noch?</p><p>5.1. Wenn ja: Trifft es zu, dass Ratsmitglieder in der Kommissionsdiskussion diese Interessenbindungen nicht offengelegt haben? Welche?</p><p>5.2. Wenn ja: Trifft es zu, dass Ratsmitglieder in der Ratsberatung diese Interessenbindungen nicht korrekt offengelegt haben? Welche?</p><p>5.3. Wenn ja: Welche Konsequenzen haben diese Verstösse gegen die Offenlegungspflicht für die Betroffenen?</p>
    • Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten. Expressgesetzgebung, fehlende Vernehmlassung, Verletzung der Offenlegungspflicht von Interessenbindungen?

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