Schadenprävention im Obligationenrecht

ShortId
18.3657
Id
20183657
Updated
28.07.2023 03:37
Language
de
Title
Schadenprävention im Obligationenrecht
AdditionalIndexing
1211;15
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Die Zahlungsmoral hat in einer funktionierenden Volkswirtschaft eine grosse Bedeutung und ist ein wichtiger Indikator für das gute Funktionieren einer Gesellschaft. Umso schlechter ist es, wenn die Zahlungsmoral - wie in der Schweiz - sinkt und ausstehende Forderungen und Verlustscheine Jahr für Jahr zunehmen. Das vorliegende Postulat will dieses Thema aufgreifen und eine breite Diskussion dazu anregen.</p><p>Den Gläubigern entsteht durch eine fehlende oder schlechte Zahlungsmoral ein immenser Schaden. Das dem Obligationenrecht (OR) zugrunde liegende Zug-um-Zug-Geschäft (Ware gegen Barzahlung) hat an Bedeutung verloren. Summenmässig spielen Bargeschäfte nur noch eine untergeordnete Rolle. Kann die Bezahlung nicht mehr Zug um Zug abgewickelt werden, so übernimmt notwendigerweise eine der involvierten Parteien das Risiko der Vorleistung und damit das Risiko eines Zahlungsausfalls. Mit der Digitalisierung der Geschäftsbeziehung hat sich das Risiko des Zahlungsausfalls zudem zuungunsten der Gläubiger verschoben. Das geltende OR kennt bisher nur das Prinzip des Schadenausgleichs. </p><p>In seinem Bericht vom August 2010 zur Motion 08.3169, "Stopp dem Zahlungsschlendrian", hat der Bundesrat grundsätzlich und in Anlehnung an die Verhältnisse im europäischen Raum erkannt, dass Zahlungsverzögerungen erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen haben und insbesondere auch für eine grosse Zahl von Insolvenzen verantwortlich sind. In Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat der Bundesrat klar ausgeführt, dass dem Verzugszins eine reine Kapitalisierungsfunktion zukommt, weil der Gläubiger mit dem Zahlungsausfall seine Forderung nicht selber gewinnbringend oder zinsbringend nutzen kann. Er führte ins Feld, dass man den Verzugszinsen neben dem Ausgleich des Verzugsschadens eine neue Funktion zuerkennen könnte. Dabei brachte der Bundesrat auch seine Überzeugung zum Ausdruck, dass der sinkenden Zahlungsmoral mit einer zusätzlichen im OR verankerten Schadenprävention auf eine einfache und glaubwürdige Art begegnet werden könne.</p>
  • <p>Als gesetzgeberische Mittel zur Verbesserung der Zahlungsmoral stehen Massnahmen im Vordergrund, die für den Schuldner einen Anreiz schaffen, offene Rechnungen so rasch wie möglich zu begleichen. Dabei geht es namentlich um folgende Ansätze:</p><p>Einerseits könnte nach dem Vorbild verschiedener ausländischer Rechtsordnungen der gesetzliche Verzugszins (der heute gemäss Art. 104 Abs. 1 OR fünf Prozent beträgt) erhöht werden. Das Nichtbezahlen von Rechnungen würde so für den Schuldner verteuert; der Gläubiger würde dagegen für die verspätete Zahlung entschädigt. In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist allerdings die Motion 08.3169, "Stopp dem Zahlungsschlendrian", welche eine angemessene Erhöhung des gesetzlichen Verzugszinses verlangt hat. Die Motion wurde vom Parlament an den Bundesrat überwiesen; nach der Durchführung einer Vernehmlassung wurde sie dann aber auf Antrag des Bundesrates (BBl 2012 4651) vom Parlament abgeschrieben. In seiner Begründung stützte sich der Bundesrat vor allem auf das tiefe allgemeine Zinsniveau sowie die Vorbehalte gegen einen der schweizerischen Rechtsordnung fremden Strafschadenersatz.</p><p>Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat ausserdem am 19. Oktober 2017 der parlamentarischen Initiative Regazzi 16.470, "Verzugszinssatz des Bundes. Anpassung an Marktzinsen", mit 20 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen Folge gegeben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates hat diesem Beschluss am 26. April 2018 zugestimmt. Mit der Initiative soll der in Artikel 104 OR geregelte Verzugszinssatz an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze angebunden werden. Beide Kommissionen haben sich demnach vor kurzer Zeit ausdrücklich für eine Senkung des gesetzlichen Verzugszinssatzes ausgesprochen.</p><p>Angesichts dieser politischen Entwicklungen erübrigt sich aus Sicht des Bundesrates eine erneute Prüfung, ob der gesetzliche Verzugszins erhöht werden soll.</p><p>Andererseits bestünde auch die Möglichkeit, statt einer Erhöhung des gesetzlichen Verzugszinses einen gesetzlichen Anspruch auf einen pauschalen Verzugsschaden einzuführen. Dieser könnte entweder als Mindestschaden oder abhängig vom geschuldeten und noch nicht bezahlten Betrag festgesetzt werden. Der Bundesrat hat sich in seinem Bericht zum Postulat Comte 12.3641, "Rahmenbedingungen der Praktiken von Inkassounternehmen", ausführlich mit der betreffenden Problematik auseinandergesetzt und ist auf der Grundlage einer Analyse des geltenden Rechts zum Ergebnis gekommen, dass hier kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, namentlich weil es den Parteien ja freistehe, die gesetzliche Ordnung durch eine eigene vertragliche Regelung zu ersetzen (Seite 18). Zudem stehe auch das für das schweizerische Recht allgemein geltende Überentschädigungsverbot einer solchen Regelung im Weg (Seite 29f.).</p><p>Die ausdrückliche Aufnahme des sog. Verzugsschadens im Gesetz bildete auch Anliegen der Motion Schilliger 14.4278, "Verursacherprinzip auch bei den Inkassokosten. Konkretisierung von Artikel 106 OR". Die vom Bundesrat zur Ablehnung beantragte Motion wurde am 27. September 2016 vom Nationalrat mit 104 zu 78 Stimmen bei 3 Enthaltungen zwar gutgeheissen, dann aber vom Ständerat am 29. Mai 2017 ohne Gegenstimme abgelehnt. Gemäss dem Bericht der vorberatenden Kommission des Ständerates war hier ausschlaggebend, dass es sich bei der geltenden Regelung um dispositives Recht handle. Den Vertragsparteien sei es freigestellt, die Folgen des Schuldnerverzugs selbst zu regeln, und ein eigentlicher Bedarf an einer Gesetzesänderung auf Kosten der Vertragsfreiheit sei nicht ersichtlich.</p><p>Damit kann gesagt werden, dass die in Betracht kommenden Massnahmen zur Verbesserung der Zahlungsmoral in jüngster Zeit im Parlament ausführlich diskutiert und dann verworfen wurden. Es ist nicht ersichtlich, welche neuen Erkenntnisse der mit dem vorliegenden Postulat verlangte Bericht bringen könnte.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, unter Berücksichtigung seiner im August 2010 geäusserten Überlegungen, in einem Bericht die verschiedenen (gesetzlichen) Varianten zur Bekämpfung einer Verschlechterung der Zahlungsmoral aufzuzeigen und Massnahmen vorzuschlagen. Vertreter der Gläubiger- und Schuldnerseite sind in den Prozess möglichst frühzeitig mit einzubeziehen.</p>
  • Schadenprävention im Obligationenrecht
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Zahlungsmoral hat in einer funktionierenden Volkswirtschaft eine grosse Bedeutung und ist ein wichtiger Indikator für das gute Funktionieren einer Gesellschaft. Umso schlechter ist es, wenn die Zahlungsmoral - wie in der Schweiz - sinkt und ausstehende Forderungen und Verlustscheine Jahr für Jahr zunehmen. Das vorliegende Postulat will dieses Thema aufgreifen und eine breite Diskussion dazu anregen.</p><p>Den Gläubigern entsteht durch eine fehlende oder schlechte Zahlungsmoral ein immenser Schaden. Das dem Obligationenrecht (OR) zugrunde liegende Zug-um-Zug-Geschäft (Ware gegen Barzahlung) hat an Bedeutung verloren. Summenmässig spielen Bargeschäfte nur noch eine untergeordnete Rolle. Kann die Bezahlung nicht mehr Zug um Zug abgewickelt werden, so übernimmt notwendigerweise eine der involvierten Parteien das Risiko der Vorleistung und damit das Risiko eines Zahlungsausfalls. Mit der Digitalisierung der Geschäftsbeziehung hat sich das Risiko des Zahlungsausfalls zudem zuungunsten der Gläubiger verschoben. Das geltende OR kennt bisher nur das Prinzip des Schadenausgleichs. </p><p>In seinem Bericht vom August 2010 zur Motion 08.3169, "Stopp dem Zahlungsschlendrian", hat der Bundesrat grundsätzlich und in Anlehnung an die Verhältnisse im europäischen Raum erkannt, dass Zahlungsverzögerungen erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen haben und insbesondere auch für eine grosse Zahl von Insolvenzen verantwortlich sind. In Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat der Bundesrat klar ausgeführt, dass dem Verzugszins eine reine Kapitalisierungsfunktion zukommt, weil der Gläubiger mit dem Zahlungsausfall seine Forderung nicht selber gewinnbringend oder zinsbringend nutzen kann. Er führte ins Feld, dass man den Verzugszinsen neben dem Ausgleich des Verzugsschadens eine neue Funktion zuerkennen könnte. Dabei brachte der Bundesrat auch seine Überzeugung zum Ausdruck, dass der sinkenden Zahlungsmoral mit einer zusätzlichen im OR verankerten Schadenprävention auf eine einfache und glaubwürdige Art begegnet werden könne.</p>
    • <p>Als gesetzgeberische Mittel zur Verbesserung der Zahlungsmoral stehen Massnahmen im Vordergrund, die für den Schuldner einen Anreiz schaffen, offene Rechnungen so rasch wie möglich zu begleichen. Dabei geht es namentlich um folgende Ansätze:</p><p>Einerseits könnte nach dem Vorbild verschiedener ausländischer Rechtsordnungen der gesetzliche Verzugszins (der heute gemäss Art. 104 Abs. 1 OR fünf Prozent beträgt) erhöht werden. Das Nichtbezahlen von Rechnungen würde so für den Schuldner verteuert; der Gläubiger würde dagegen für die verspätete Zahlung entschädigt. In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist allerdings die Motion 08.3169, "Stopp dem Zahlungsschlendrian", welche eine angemessene Erhöhung des gesetzlichen Verzugszinses verlangt hat. Die Motion wurde vom Parlament an den Bundesrat überwiesen; nach der Durchführung einer Vernehmlassung wurde sie dann aber auf Antrag des Bundesrates (BBl 2012 4651) vom Parlament abgeschrieben. In seiner Begründung stützte sich der Bundesrat vor allem auf das tiefe allgemeine Zinsniveau sowie die Vorbehalte gegen einen der schweizerischen Rechtsordnung fremden Strafschadenersatz.</p><p>Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat ausserdem am 19. Oktober 2017 der parlamentarischen Initiative Regazzi 16.470, "Verzugszinssatz des Bundes. Anpassung an Marktzinsen", mit 20 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen Folge gegeben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates hat diesem Beschluss am 26. April 2018 zugestimmt. Mit der Initiative soll der in Artikel 104 OR geregelte Verzugszinssatz an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze angebunden werden. Beide Kommissionen haben sich demnach vor kurzer Zeit ausdrücklich für eine Senkung des gesetzlichen Verzugszinssatzes ausgesprochen.</p><p>Angesichts dieser politischen Entwicklungen erübrigt sich aus Sicht des Bundesrates eine erneute Prüfung, ob der gesetzliche Verzugszins erhöht werden soll.</p><p>Andererseits bestünde auch die Möglichkeit, statt einer Erhöhung des gesetzlichen Verzugszinses einen gesetzlichen Anspruch auf einen pauschalen Verzugsschaden einzuführen. Dieser könnte entweder als Mindestschaden oder abhängig vom geschuldeten und noch nicht bezahlten Betrag festgesetzt werden. Der Bundesrat hat sich in seinem Bericht zum Postulat Comte 12.3641, "Rahmenbedingungen der Praktiken von Inkassounternehmen", ausführlich mit der betreffenden Problematik auseinandergesetzt und ist auf der Grundlage einer Analyse des geltenden Rechts zum Ergebnis gekommen, dass hier kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, namentlich weil es den Parteien ja freistehe, die gesetzliche Ordnung durch eine eigene vertragliche Regelung zu ersetzen (Seite 18). Zudem stehe auch das für das schweizerische Recht allgemein geltende Überentschädigungsverbot einer solchen Regelung im Weg (Seite 29f.).</p><p>Die ausdrückliche Aufnahme des sog. Verzugsschadens im Gesetz bildete auch Anliegen der Motion Schilliger 14.4278, "Verursacherprinzip auch bei den Inkassokosten. Konkretisierung von Artikel 106 OR". Die vom Bundesrat zur Ablehnung beantragte Motion wurde am 27. September 2016 vom Nationalrat mit 104 zu 78 Stimmen bei 3 Enthaltungen zwar gutgeheissen, dann aber vom Ständerat am 29. Mai 2017 ohne Gegenstimme abgelehnt. Gemäss dem Bericht der vorberatenden Kommission des Ständerates war hier ausschlaggebend, dass es sich bei der geltenden Regelung um dispositives Recht handle. Den Vertragsparteien sei es freigestellt, die Folgen des Schuldnerverzugs selbst zu regeln, und ein eigentlicher Bedarf an einer Gesetzesänderung auf Kosten der Vertragsfreiheit sei nicht ersichtlich.</p><p>Damit kann gesagt werden, dass die in Betracht kommenden Massnahmen zur Verbesserung der Zahlungsmoral in jüngster Zeit im Parlament ausführlich diskutiert und dann verworfen wurden. Es ist nicht ersichtlich, welche neuen Erkenntnisse der mit dem vorliegenden Postulat verlangte Bericht bringen könnte.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, unter Berücksichtigung seiner im August 2010 geäusserten Überlegungen, in einem Bericht die verschiedenen (gesetzlichen) Varianten zur Bekämpfung einer Verschlechterung der Zahlungsmoral aufzuzeigen und Massnahmen vorzuschlagen. Vertreter der Gläubiger- und Schuldnerseite sind in den Prozess möglichst frühzeitig mit einzubeziehen.</p>
    • Schadenprävention im Obligationenrecht

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