Ist der Bundesrat bereit, Such- und Rettungsschiffe unter Schweizer Flagge fahren zu lassen?

ShortId
18.3909
Id
20183909
Updated
28.07.2023 03:14
Language
de
Title
Ist der Bundesrat bereit, Such- und Rettungsschiffe unter Schweizer Flagge fahren zu lassen?
AdditionalIndexing
2811;48
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Die Panamaische Schifffahrtsbehörde (PMA) hat angekündigt, dem Rettungsschiff "Aquarius" von Médecins sans frontières und SOS Méditerranée die Registrierung zu entziehen. Dies geschah unter offenkundigem wirtschaftlichem und politischem Druck der italienischen Regierung.</p><p>Die "Aquarius" ist das einzige verbliebene nichtstaatliche Such- und Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer. Es hat momentan 58 Menschen an Bord, welche vor Gewalt geflüchtet sind und nicht mehr in ihr Ursprungsland zurückkönnen. Ohne Registrierung, das heisst ohne Flagge, kann die "Aquarius" keinen Hafen mehr anfahren.</p><p>In den vergangenen zwei Jahren haben europäische Staats- und Regierungschefs bestätigt, dass niemand auf See sterben dürfe, aber gleichzeitig haben sie gefährliche Strategien verfolgt, die die humanitäre Krise im zentralen Mittelmeerraum und in Libyen zusätzlich verschärft haben. Die Schweiz ist daran mitbeteiligt und profitiert unter anderem von Kontrollmechanismen an der EU-Aussengrenze.</p><p>Seit Beginn des Jahres sind mehr als 1250 Menschen bei dem Versuch ertrunken, das zentrale Mittelmeer zu überqueren. Das Risiko, bei der Überfahrt zu ertrinken, ist für die Menschen dreimal höher als noch 2015. Die tatsächliche Zahl der Toten liegt wahrscheinlich viel höher, da nicht alle Fälle beobachtet oder aufgezeichnet werden. </p><p>Unterdessen fängt die von der EU unterstützte libysche Küstenwache immer mehr Menschen auf See ab und verwehrt den Überlebenden das Recht, an einem sicheren Ort auszusteigen, wie es das internationale See- und Flüchtlingsrecht vorsieht. Stattdessen werden sie in libysche Internierungslager zurückgebracht, von denen einige von den aktuellen schweren Kämpfen in Tripolis betroffen sind.</p><p>Die Schweiz hat eine lange humanitäre Tradition und muss nun endlich handeln. Wir können dieser Tragödie nicht weiter zusehen.</p>
  • <p>1. Die Schweizer Flagge ist grundsätzlich für Hochseeschiffe vorgesehen, die den gewerbsmässigen Transport von Gütern und Personen zur See betreiben. Die Registrierung setzt voraus, dass die strengen Vorschriften (u. a. Nationalitätsvorschriften) erfüllt sind. Um die Flagge für Schiffe mit ideellen Zwecken zugänglich zu halten, hat der Gesetzgeber im heutigen Artikel 35 des Seeschifffahrtsgesetzes (SSG; SR 747.30) die Möglichkeit eingeräumt, ausnahmsweise ein solches Schiff zur Eintragung ins Register zuzulassen.</p><p>Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Seenotrettung im Mittelmeer nach einem koordinierten und langfristig ausgerichteten Ansatz für die Aufnahme von Flüchtlingen verlangt, der auf einer fairen Verteilung der Verantwortung für Schutzbedürftige basiert. Nach Meinung des Bundesrates ist es nicht zielführend, Ad-hoc-Verhandlungen für jedes Schiff mit Flüchtlingen an Bord zu führen, währenddessen dieses tagelang umherirrt. Es braucht eine tragfähige europäische Lösung, welche die Regeln der Seenotrettung berücksichtigt, sichere Ausschiffungshäfen zur Verfügung stellt und einen Mechanismus zur Verteilung der ankommenden Flüchtlinge vorsieht. Der Bundesrat ist überzeugt, dass das entsprechende Engagement im Rahmen eines langfristig ausgerichteten und koordinierten Vorgehens aller europäischen Staaten erfolgen muss. Eine solche Lösung ist heute noch nicht Wirklichkeit. Vor diesem Hintergrund bergen Einzelaktionen die Gefahr, die notwendige Zusammenarbeit unter den Staaten zu unterlaufen, anstatt sie zu fördern.</p><p>Der Bundesrat sieht sich unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage, die Ausnahmeklausel des Seeschifffahrtsgesetzes für das Seeschiff Aquarius anzuwenden.</p><p>2. Alle Schiffe der Schweizer Hochseeflotte werden von privaten Wirtschaftsakteuren gehalten und betrieben und dienen der Beförderung von Gütern. Die mithilfe von Bundesbürgschaften finanzierten Unternehmen sind verpflichtet, ihre Schiffe bei schweren Mangellagen auf Anordnung des Bundes für Transporte zu nutzen, die der Landesversorgung dienen. Ein darüber hinausgehender Eingriff des Staates ist nicht möglich. Eine entsprechende Strategie fällt somit nicht in Betracht.</p><p>3. Die Schweiz engagiert sich entsprechend ihrer humanitären Tradition im Mittelmeerraum, um die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten zu verbessern. Sie setzt sich gemäss ihren Mitwirkungsrechten als assoziierter Schengen/Dublin-Staat in den Diskussionen auf EU-Ebene dafür ein, dass die aktuellen Herausforderungen im Migrationsbereich kohärent und gemeinsam angegangen werden. Die aktuellen Debatten konzentrieren sich auf die Einrichtung von Ausschiffungszentren in Drittstaaten und Kontrollzentren auf europäischem Gebiet, um die Ankünfte auf beiden Seiten des europäischen Mittelmeers zu bewältigen. Die Schweiz beteiligt sich aktiv an der Diskussion und setzt sich für einen gemeinsamen Ansatz im Mittelmeerraum ein, bei dem das Konzept der Partnerschaft und der geteilten Verantwortung wie auch die Menschenrechte vollumfänglich respektiert werden.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Ist der Bundesrat bereit:</p><p>1. das Schiff "Aquarius" von MSF und SOS Méditerranée im Mittelmeer unter Schweizer Flagge fahren zu lassen und ihm somit eine Registrierung zu geben?</p><p>2. eine allgemeine Strategie der Schweizer Hochseeflotte auszuarbeiten, um die Seenotrettung im Mittelmeer zu unterstützen?</p><p>3. sich vehement und sofort für eine Lösung für die europäische Seenotrettung einzusetzen und die Verhandlungsstärke der Schweiz voll auszuspielen? Wie weit sind die Verhandlungen?</p>
  • Ist der Bundesrat bereit, Such- und Rettungsschiffe unter Schweizer Flagge fahren zu lassen?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Panamaische Schifffahrtsbehörde (PMA) hat angekündigt, dem Rettungsschiff "Aquarius" von Médecins sans frontières und SOS Méditerranée die Registrierung zu entziehen. Dies geschah unter offenkundigem wirtschaftlichem und politischem Druck der italienischen Regierung.</p><p>Die "Aquarius" ist das einzige verbliebene nichtstaatliche Such- und Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer. Es hat momentan 58 Menschen an Bord, welche vor Gewalt geflüchtet sind und nicht mehr in ihr Ursprungsland zurückkönnen. Ohne Registrierung, das heisst ohne Flagge, kann die "Aquarius" keinen Hafen mehr anfahren.</p><p>In den vergangenen zwei Jahren haben europäische Staats- und Regierungschefs bestätigt, dass niemand auf See sterben dürfe, aber gleichzeitig haben sie gefährliche Strategien verfolgt, die die humanitäre Krise im zentralen Mittelmeerraum und in Libyen zusätzlich verschärft haben. Die Schweiz ist daran mitbeteiligt und profitiert unter anderem von Kontrollmechanismen an der EU-Aussengrenze.</p><p>Seit Beginn des Jahres sind mehr als 1250 Menschen bei dem Versuch ertrunken, das zentrale Mittelmeer zu überqueren. Das Risiko, bei der Überfahrt zu ertrinken, ist für die Menschen dreimal höher als noch 2015. Die tatsächliche Zahl der Toten liegt wahrscheinlich viel höher, da nicht alle Fälle beobachtet oder aufgezeichnet werden. </p><p>Unterdessen fängt die von der EU unterstützte libysche Küstenwache immer mehr Menschen auf See ab und verwehrt den Überlebenden das Recht, an einem sicheren Ort auszusteigen, wie es das internationale See- und Flüchtlingsrecht vorsieht. Stattdessen werden sie in libysche Internierungslager zurückgebracht, von denen einige von den aktuellen schweren Kämpfen in Tripolis betroffen sind.</p><p>Die Schweiz hat eine lange humanitäre Tradition und muss nun endlich handeln. Wir können dieser Tragödie nicht weiter zusehen.</p>
    • <p>1. Die Schweizer Flagge ist grundsätzlich für Hochseeschiffe vorgesehen, die den gewerbsmässigen Transport von Gütern und Personen zur See betreiben. Die Registrierung setzt voraus, dass die strengen Vorschriften (u. a. Nationalitätsvorschriften) erfüllt sind. Um die Flagge für Schiffe mit ideellen Zwecken zugänglich zu halten, hat der Gesetzgeber im heutigen Artikel 35 des Seeschifffahrtsgesetzes (SSG; SR 747.30) die Möglichkeit eingeräumt, ausnahmsweise ein solches Schiff zur Eintragung ins Register zuzulassen.</p><p>Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Seenotrettung im Mittelmeer nach einem koordinierten und langfristig ausgerichteten Ansatz für die Aufnahme von Flüchtlingen verlangt, der auf einer fairen Verteilung der Verantwortung für Schutzbedürftige basiert. Nach Meinung des Bundesrates ist es nicht zielführend, Ad-hoc-Verhandlungen für jedes Schiff mit Flüchtlingen an Bord zu führen, währenddessen dieses tagelang umherirrt. Es braucht eine tragfähige europäische Lösung, welche die Regeln der Seenotrettung berücksichtigt, sichere Ausschiffungshäfen zur Verfügung stellt und einen Mechanismus zur Verteilung der ankommenden Flüchtlinge vorsieht. Der Bundesrat ist überzeugt, dass das entsprechende Engagement im Rahmen eines langfristig ausgerichteten und koordinierten Vorgehens aller europäischen Staaten erfolgen muss. Eine solche Lösung ist heute noch nicht Wirklichkeit. Vor diesem Hintergrund bergen Einzelaktionen die Gefahr, die notwendige Zusammenarbeit unter den Staaten zu unterlaufen, anstatt sie zu fördern.</p><p>Der Bundesrat sieht sich unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage, die Ausnahmeklausel des Seeschifffahrtsgesetzes für das Seeschiff Aquarius anzuwenden.</p><p>2. Alle Schiffe der Schweizer Hochseeflotte werden von privaten Wirtschaftsakteuren gehalten und betrieben und dienen der Beförderung von Gütern. Die mithilfe von Bundesbürgschaften finanzierten Unternehmen sind verpflichtet, ihre Schiffe bei schweren Mangellagen auf Anordnung des Bundes für Transporte zu nutzen, die der Landesversorgung dienen. Ein darüber hinausgehender Eingriff des Staates ist nicht möglich. Eine entsprechende Strategie fällt somit nicht in Betracht.</p><p>3. Die Schweiz engagiert sich entsprechend ihrer humanitären Tradition im Mittelmeerraum, um die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten zu verbessern. Sie setzt sich gemäss ihren Mitwirkungsrechten als assoziierter Schengen/Dublin-Staat in den Diskussionen auf EU-Ebene dafür ein, dass die aktuellen Herausforderungen im Migrationsbereich kohärent und gemeinsam angegangen werden. Die aktuellen Debatten konzentrieren sich auf die Einrichtung von Ausschiffungszentren in Drittstaaten und Kontrollzentren auf europäischem Gebiet, um die Ankünfte auf beiden Seiten des europäischen Mittelmeers zu bewältigen. Die Schweiz beteiligt sich aktiv an der Diskussion und setzt sich für einen gemeinsamen Ansatz im Mittelmeerraum ein, bei dem das Konzept der Partnerschaft und der geteilten Verantwortung wie auch die Menschenrechte vollumfänglich respektiert werden.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Ist der Bundesrat bereit:</p><p>1. das Schiff "Aquarius" von MSF und SOS Méditerranée im Mittelmeer unter Schweizer Flagge fahren zu lassen und ihm somit eine Registrierung zu geben?</p><p>2. eine allgemeine Strategie der Schweizer Hochseeflotte auszuarbeiten, um die Seenotrettung im Mittelmeer zu unterstützen?</p><p>3. sich vehement und sofort für eine Lösung für die europäische Seenotrettung einzusetzen und die Verhandlungsstärke der Schweiz voll auszuspielen? Wie weit sind die Verhandlungen?</p>
    • Ist der Bundesrat bereit, Such- und Rettungsschiffe unter Schweizer Flagge fahren zu lassen?

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