Sexuelle Gewalt an Frauen. Wieso gibt es auf Bundesebene noch zu wenig zuverlässige Daten?

ShortId
19.3709
Id
20193709
Updated
28.07.2023 02:29
Language
de
Title
Sexuelle Gewalt an Frauen. Wieso gibt es auf Bundesebene noch zu wenig zuverlässige Daten?
AdditionalIndexing
28;1216;36
1
PriorityCouncil1
Ständerat
Texts
  • <p>1. Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wurde im Jahr 2009 revidiert. Seitdem zeichnen alle kantonalen Polizeibehörden die gemeldeten Straftaten detailliert und nach einheitlichen Zählregeln, Kodierungsweisen, Erfassungs- und Auswertungsprinzipien auf. Verzeigungen aufgrund von Straftaten gegen die sexuelle Integrität sind seit 2009 in ihrer Anzahl sowie der Anzahl geschädigter und beschuldigter Personen nach Geschlecht, Alter und Staatszugehörigkeit verfügbar und publiziert. Für einzelne Straftatbestände wird auch deren Anteil im häuslichen Bereich ausgewiesen. Die PKS verzeichnet somit die bekanntgewordene Kriminalität - das sogenannte Hellfeld. Demgegenüber erhebt die schweizerische Sicherheitsbefragung, welche zuletzt 2015 im Auftrag der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) durchgeführt wurde, unter anderem die Opferrate von Sexualdelikten, d. h. auch die polizeilich nicht registrierten Fälle. Auf Basis der Istanbul-Konvention prüft das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) derzeit in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik (BFS) die Machbarkeit einer umfassenden Befragung zum Vorkommen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die auch Daten zum Ausmass sexueller Gewalt liefern soll.</p><p>2./3. Die Strafurteilsstatistik des BFS gibt Auskunft über Umfang, Struktur und Entwicklung der Verurteilung von Erwachsenen, zu den Verurteilten, den abgeurteilten Straftaten, den ausgesprochenen Sanktionen und zum Strafmass. Die Schweiz wird im Rahmen der ersten Staatenberichterstattung zur Istanbul-Konvention dem Europarat 2021 detaillierte Daten entlang dem Fragebogen des Überwachungsorgans Grevio liefern, welcher auch Fragen zur strafrechtlichen Verfolgung von Sexualstraftaten beinhaltet. Der Bund klärt derzeit, inwieweit Daten dazu anlässlich des laufenden Projekts "Justitia 4.0" im Rahmen der Harmonisierung der Informatik in der Strafjustiz (HIS) erfasst werden können (<a href="https://www.justitia40.ch/de/">https://www.justitia40.ch/de/</a>).</p><p>4. In Erfüllung des Postulates Fehr Jacqueline 09.3878, "Mehr Anzeigen, mehr Abschreckung", hat der Bundesrat das Anzeigeverhalten nach Straftaten überprüft. Er hält in seinem Bericht vom 27. Februar 2013 Massnahmen fest, die geprüft werden sollen, damit Opfer von Straftaten häufiger Anzeige erstatten und besser unterstützt werden können (<a href="https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-02-271/ber-br-d.pdf">https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-02-271/ber-br-d.pdf</a>). Auf der Grundlage dieses Berichtes und mehrerer anderer vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegebener Studien wurde die Website der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) zur Opferhilfe neu gestaltet (siehe unter <a href="https://opferhilfe-schweiz.ch/de/">https://opferhilfe-schweiz.ch/de/</a>). Diese Website wird durch den Bund finanziell und fachlich unterstützt. Ebenso wurde der zivilrechtliche Gewaltschutz (Art. 28b ZGB) evaluiert. Die Ergebnisse bildeten die massgebliche Grundlage für das neue Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen vom 14. Dezember 2018 (BBl 2018 7869). Damit wird insbesondere die Möglichkeit der Sistierung oder Einstellung von Strafverfahren wegen gewisser Delikte in Paarbeziehungen neu geregelt (Art. 55a StGB). Im Rahmen der bereits erwähnten schweizerischen Sicherheitsbefragungen werden Angaben zu Kriminalität und Opfererfahrungen erhoben. Diese repräsentative Erhebung knüpft an die internationale Opferbefragung "International Crime Victimization Survey (ICVS)" an und stellt somit sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene die Vergleichbarkeit der Daten seit 1989 sicher. Diese Befragung wird in regelmässigen Abständen durchgeführt, eine nächste Durchführung ist für 2020 vorgesehen.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Eine repräsentative Befragung des Instituts GfS Bern im Auftrag von Amnesty International hat das schockierende Ausmass der sexuellen Gewalt an Frauen öffentlich deutlich gemacht. Es war das erste Mal, dass eine solche Befragung auf nationaler Ebene durchgeführt wurde. Dieser Studie ist zu entnehmen, dass jede fünfte Frau (22 Prozent) bereits einmal Opfer einer ungewollten sexuellen Handlung war und dass 12 Prozent der befragten Frauen Geschlechtsverkehr gegen den eigenen Willen erleben mussten. Nur 8 Prozent dieser Frauen haben bei der Polizei anschliessend Strafanzeige erstattet. Die Täter werden für ihre Straftaten also nur selten zur Rechenschaft gezogen.</p><p>Heute ist in der Kriminalstatistik nur die Zahl der erstatteten Strafanzeigen und der Urteile enthalten, zum Ausfilterungsprozess sind jedoch keine Informationen verfügbar. Auch gibt es noch keine systematische Auswertung der Bedürfnisse, die aus tatsächlichen Befragungen von Opfern von sexuellen Gewaltverbrechen hervorgehen.</p><p>Ich stelle dem Bundesrat deshalb folgende Fragen:</p><p>1. Es gibt noch keine genauen offiziellen Zahlen zum Ausmass der sexuellen Gewalt in der Schweiz. Ist in dieser Hinsicht auf Bundesebene etwas vorgesehen?</p><p>2. Wird der Bundesrat angesichts der schockierenden Resultate der durch GfS Bern durchgeführten Befragung eine systematische Erhebung von Daten zu den Angriffen auf die sexuelle Integrität in der Schweiz sowie zu deren Verfolgung in Auftrag geben?</p><p>3. Sieht der Bundesrat vor, in der Schweiz Forschungsprojekte zu der strafrechtlichen Verfolgung von Sexualstraftaten durchzuführen (bei wie vielen Fällen das Verfahren ohne Folgen eingestellt wird und warum, wie viele Fälle mit einem Freispruch enden, welches die entsprechenden Strafen sind, wie lange die Prozesse dauern usw.)?</p><p>4. Plant der Bundesrat Forschungsprojekte zur Frage, wie sich diese Prozesse auf die Opfer auswirken und warum sie oft nicht vor Gericht gehen (Befragung von Opfern)?</p>
  • Sexuelle Gewalt an Frauen. Wieso gibt es auf Bundesebene noch zu wenig zuverlässige Daten?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1. Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wurde im Jahr 2009 revidiert. Seitdem zeichnen alle kantonalen Polizeibehörden die gemeldeten Straftaten detailliert und nach einheitlichen Zählregeln, Kodierungsweisen, Erfassungs- und Auswertungsprinzipien auf. Verzeigungen aufgrund von Straftaten gegen die sexuelle Integrität sind seit 2009 in ihrer Anzahl sowie der Anzahl geschädigter und beschuldigter Personen nach Geschlecht, Alter und Staatszugehörigkeit verfügbar und publiziert. Für einzelne Straftatbestände wird auch deren Anteil im häuslichen Bereich ausgewiesen. Die PKS verzeichnet somit die bekanntgewordene Kriminalität - das sogenannte Hellfeld. Demgegenüber erhebt die schweizerische Sicherheitsbefragung, welche zuletzt 2015 im Auftrag der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) durchgeführt wurde, unter anderem die Opferrate von Sexualdelikten, d. h. auch die polizeilich nicht registrierten Fälle. Auf Basis der Istanbul-Konvention prüft das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) derzeit in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik (BFS) die Machbarkeit einer umfassenden Befragung zum Vorkommen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die auch Daten zum Ausmass sexueller Gewalt liefern soll.</p><p>2./3. Die Strafurteilsstatistik des BFS gibt Auskunft über Umfang, Struktur und Entwicklung der Verurteilung von Erwachsenen, zu den Verurteilten, den abgeurteilten Straftaten, den ausgesprochenen Sanktionen und zum Strafmass. Die Schweiz wird im Rahmen der ersten Staatenberichterstattung zur Istanbul-Konvention dem Europarat 2021 detaillierte Daten entlang dem Fragebogen des Überwachungsorgans Grevio liefern, welcher auch Fragen zur strafrechtlichen Verfolgung von Sexualstraftaten beinhaltet. Der Bund klärt derzeit, inwieweit Daten dazu anlässlich des laufenden Projekts "Justitia 4.0" im Rahmen der Harmonisierung der Informatik in der Strafjustiz (HIS) erfasst werden können (<a href="https://www.justitia40.ch/de/">https://www.justitia40.ch/de/</a>).</p><p>4. In Erfüllung des Postulates Fehr Jacqueline 09.3878, "Mehr Anzeigen, mehr Abschreckung", hat der Bundesrat das Anzeigeverhalten nach Straftaten überprüft. Er hält in seinem Bericht vom 27. Februar 2013 Massnahmen fest, die geprüft werden sollen, damit Opfer von Straftaten häufiger Anzeige erstatten und besser unterstützt werden können (<a href="https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-02-271/ber-br-d.pdf">https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-02-271/ber-br-d.pdf</a>). Auf der Grundlage dieses Berichtes und mehrerer anderer vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegebener Studien wurde die Website der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) zur Opferhilfe neu gestaltet (siehe unter <a href="https://opferhilfe-schweiz.ch/de/">https://opferhilfe-schweiz.ch/de/</a>). Diese Website wird durch den Bund finanziell und fachlich unterstützt. Ebenso wurde der zivilrechtliche Gewaltschutz (Art. 28b ZGB) evaluiert. Die Ergebnisse bildeten die massgebliche Grundlage für das neue Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen vom 14. Dezember 2018 (BBl 2018 7869). Damit wird insbesondere die Möglichkeit der Sistierung oder Einstellung von Strafverfahren wegen gewisser Delikte in Paarbeziehungen neu geregelt (Art. 55a StGB). Im Rahmen der bereits erwähnten schweizerischen Sicherheitsbefragungen werden Angaben zu Kriminalität und Opfererfahrungen erhoben. Diese repräsentative Erhebung knüpft an die internationale Opferbefragung "International Crime Victimization Survey (ICVS)" an und stellt somit sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene die Vergleichbarkeit der Daten seit 1989 sicher. Diese Befragung wird in regelmässigen Abständen durchgeführt, eine nächste Durchführung ist für 2020 vorgesehen.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Eine repräsentative Befragung des Instituts GfS Bern im Auftrag von Amnesty International hat das schockierende Ausmass der sexuellen Gewalt an Frauen öffentlich deutlich gemacht. Es war das erste Mal, dass eine solche Befragung auf nationaler Ebene durchgeführt wurde. Dieser Studie ist zu entnehmen, dass jede fünfte Frau (22 Prozent) bereits einmal Opfer einer ungewollten sexuellen Handlung war und dass 12 Prozent der befragten Frauen Geschlechtsverkehr gegen den eigenen Willen erleben mussten. Nur 8 Prozent dieser Frauen haben bei der Polizei anschliessend Strafanzeige erstattet. Die Täter werden für ihre Straftaten also nur selten zur Rechenschaft gezogen.</p><p>Heute ist in der Kriminalstatistik nur die Zahl der erstatteten Strafanzeigen und der Urteile enthalten, zum Ausfilterungsprozess sind jedoch keine Informationen verfügbar. Auch gibt es noch keine systematische Auswertung der Bedürfnisse, die aus tatsächlichen Befragungen von Opfern von sexuellen Gewaltverbrechen hervorgehen.</p><p>Ich stelle dem Bundesrat deshalb folgende Fragen:</p><p>1. Es gibt noch keine genauen offiziellen Zahlen zum Ausmass der sexuellen Gewalt in der Schweiz. Ist in dieser Hinsicht auf Bundesebene etwas vorgesehen?</p><p>2. Wird der Bundesrat angesichts der schockierenden Resultate der durch GfS Bern durchgeführten Befragung eine systematische Erhebung von Daten zu den Angriffen auf die sexuelle Integrität in der Schweiz sowie zu deren Verfolgung in Auftrag geben?</p><p>3. Sieht der Bundesrat vor, in der Schweiz Forschungsprojekte zu der strafrechtlichen Verfolgung von Sexualstraftaten durchzuführen (bei wie vielen Fällen das Verfahren ohne Folgen eingestellt wird und warum, wie viele Fälle mit einem Freispruch enden, welches die entsprechenden Strafen sind, wie lange die Prozesse dauern usw.)?</p><p>4. Plant der Bundesrat Forschungsprojekte zur Frage, wie sich diese Prozesse auf die Opfer auswirken und warum sie oft nicht vor Gericht gehen (Befragung von Opfern)?</p>
    • Sexuelle Gewalt an Frauen. Wieso gibt es auf Bundesebene noch zu wenig zuverlässige Daten?

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