Wirksamen Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen im Migrationsbereich den Vorzug geben

ShortId
19.3722
Id
20193722
Updated
28.07.2023 02:24
Language
de
Title
Wirksamen Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen im Migrationsbereich den Vorzug geben
AdditionalIndexing
2811;28;10;1211;1216
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Seit vier Jahren führt der Europarat eine intensive Kampagne zur Abschaffung der administrativen Festhaltung von minderjährigen Migrantinnen und Migranten. Der Begriff der Festhaltung ist nichts anderes als ein netter Ausdruck für das, was es eigentlich ist: eine Inhaftierung. Diese Kampagne ist Ausfluss von Resolutionen des Europarates, mit denen dieser die Mitgliedstaaten dazu anhalten will, bessere Lösungen in diesem Bereich zu wählen. Denn die Inhaftierung eines Kindes, und sei sie auch nur von kurzer Dauer, birgt gemäss medizinischen und psychologischen Fachleuten die Gefahr schwerwiegender und für das betroffene Kind äusserst nachteiliger Folgen: depressive Störungen, Schlafstörungen, Verhaltensstörungen, Ängstlichkeit, Bettnässen, Entwicklungsstörungen. Ein wichtiges Element ist, dass das Kind nicht versteht, warum es bestraft wird, weil es ja nichts getan hat, oder dass es, wenn es in Begleitung von Eltern und Angehörigen ist, die Angst und die Gefühle der Erniedrigung dieser Personen sehr stark empfindet, Personen, die das Kind liebt und die sich selber machtlos fühlen, das Kind zu schützen. Das sind sehr komplexe Phänomene, die sehr lange nachwirken können. </p><p>Die Schweiz hat sich für die genannte Kampagne finanziell stark engagiert, worüber ich sehr froh bin. Die beiden aufeinanderfolgenden Generalberichterstatter über diese Kampagne im Namen des Europarates sind Schweizer Parlamentarier: zuerst Doris Fiala und aktuell der Urheber des vorliegenden Postulates. Wir hatten die Möglichkeit, uns in Europa umzusehen, und haben dabei im Allgemeinen erfreuliche und humane Alternativen zur Inhaftierung kennengelernt, namentlich auch in der Schweiz. Von Ungarn wollen wir lieber nicht sprechen ...</p><p>Aber unser Land kann noch mehr tun. Jedes Jahr sind weiterhin einige Dutzend Minderjährige betroffen. Wir verlangen deshalb, dass der Bund den Kantonen, die noch immer die Administrativhaft Minderjähriger praktizieren - sie sind heute glücklicherweise eine Minderheit -, in Erinnerung ruft, dass es Alternativen gibt, idealerweise die Platzierung in Familien, Heimen oder anderen geeigneten Einrichtungen. Wenn zahlreiche Kantone ohne Administrativhaft auskommen, warum soll das dann in den anderen Kantonen nicht auch möglich sein? Mit einem gänzlichen Verzicht auf Administrativhaft käme die Schweiz jedenfalls den Verpflichtungen aus dem internationalen Übereinkommen über die Rechte des Kindes nach.</p>
  • <p>Der Bundesrat weist einleitend darauf hin, dass er sich in seiner Stellungnahme vom 28. September 2018 zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) zur Administrativhaft im Asylbereich vom 26. Juni 2018 bereits ausführlich zur ausländerrechtlichen Inhaftierung von minderjährigen Personen geäussert hat (BBl 2018 7601). Dabei hat er auch zu der in der Motion aufgeworfenen Thematik der Alternativen zur Administrativhaft Stellung genommen. </p><p>Der Bundesrat betont, dass die Kantone bei Minderjährigen und Familien in der Regel auf die Anordnung ausländerrechtlicher Administrativhaft verzichten und der Vollzug der Wegweisung ab der Unterkunft durchgeführt wird. Ist dies aufgrund des unkooperativen Verhaltens der betroffenen Personen nicht möglich, wird bei Familien grundsätzlich lediglich gegen den Familienvater Administrativhaft angeordnet, während die Mutter und die Kinder am Abflugtag ab der Unterkunft zum Flughafen begleitet werden. Im vergangenen Jahr wurde insgesamt gegenüber acht minderjährigen Personen Administrativhaft angeordnet. Gegenüber Minderjährigen unter 15 Jahren ist die Haftanordnung gemäss Artikel 80 Absatz 4 sowie Artikel 80a Absatz 5 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG; SR 142.20) gänzlich ausgeschlossen. </p><p>Bereits heute sind im AIG weitere Alternativen zur Administrativhaft vorgesehen. So können Personen, die von einer Wegweisungsverfügung betroffen sind, gemäss Artikel 64e AIG dazu verpflichtet werden, sich regelmässig bei einer Behörde zu melden, eine angemessene finanzielle Sicherheit zu leisten oder ihre Reisedokumente zu hinterlegen. Im Weiteren kann einer ausreisepflichtigen Person gemäss Artikel 74 AIG die Auflage gemacht werden, ein ihr zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen (Eingrenzung) oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten (Ausgrenzung). Wie der Bundesrat in der Antwort zur Motion Nantermod 18.3079 (Ausschaffungshaft. Elektronische Fussfessel erlauben) festgehalten hat, beabsichtigt das Staatssekretariat für Migration (SEM), gemeinsam mit den Kantonen die Zweckmässigkeit der elektronischen Überwachung im ausländerrechtlichen Bereich zu prüfen. Zudem verfolgt das SEM auf europäischer Ebene die Diskussionen bezüglich weiterer Alternativen zur Administrativhaft. Dabei hat sich bis anhin jedoch gezeigt, dass die Alternativen, welche die anderen europäischen Staaten im Rückkehrbereich anwenden, zum Grossteil auch in der schweizerischen Gesetzgebung bereits vorgesehen sind bzw. von den Kantonen bereits angewendet werden. Trotz dieser Ausgangslage hat der vom EJPD und von der KKJPD eingesetzte paritätische Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug aufgrund der Empfehlungen der GPK-N im Dezember 2018 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche unter anderem den Auftrag hat, Best Practices im Bereich der Alternativen zur Administrativhaft für Minderjährige und Familien zu prüfen. In diesem Sinne ist das Anliegen des Motionärs bereits erfüllt, weshalb der Bundesrat aktuell keinen weiteren Handlungsbedarf sieht.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, sich gegenüber den Kantonen für wirksame Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen im Migrationsbereich einzusetzen.</p>
  • Wirksamen Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen im Migrationsbereich den Vorzug geben
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Seit vier Jahren führt der Europarat eine intensive Kampagne zur Abschaffung der administrativen Festhaltung von minderjährigen Migrantinnen und Migranten. Der Begriff der Festhaltung ist nichts anderes als ein netter Ausdruck für das, was es eigentlich ist: eine Inhaftierung. Diese Kampagne ist Ausfluss von Resolutionen des Europarates, mit denen dieser die Mitgliedstaaten dazu anhalten will, bessere Lösungen in diesem Bereich zu wählen. Denn die Inhaftierung eines Kindes, und sei sie auch nur von kurzer Dauer, birgt gemäss medizinischen und psychologischen Fachleuten die Gefahr schwerwiegender und für das betroffene Kind äusserst nachteiliger Folgen: depressive Störungen, Schlafstörungen, Verhaltensstörungen, Ängstlichkeit, Bettnässen, Entwicklungsstörungen. Ein wichtiges Element ist, dass das Kind nicht versteht, warum es bestraft wird, weil es ja nichts getan hat, oder dass es, wenn es in Begleitung von Eltern und Angehörigen ist, die Angst und die Gefühle der Erniedrigung dieser Personen sehr stark empfindet, Personen, die das Kind liebt und die sich selber machtlos fühlen, das Kind zu schützen. Das sind sehr komplexe Phänomene, die sehr lange nachwirken können. </p><p>Die Schweiz hat sich für die genannte Kampagne finanziell stark engagiert, worüber ich sehr froh bin. Die beiden aufeinanderfolgenden Generalberichterstatter über diese Kampagne im Namen des Europarates sind Schweizer Parlamentarier: zuerst Doris Fiala und aktuell der Urheber des vorliegenden Postulates. Wir hatten die Möglichkeit, uns in Europa umzusehen, und haben dabei im Allgemeinen erfreuliche und humane Alternativen zur Inhaftierung kennengelernt, namentlich auch in der Schweiz. Von Ungarn wollen wir lieber nicht sprechen ...</p><p>Aber unser Land kann noch mehr tun. Jedes Jahr sind weiterhin einige Dutzend Minderjährige betroffen. Wir verlangen deshalb, dass der Bund den Kantonen, die noch immer die Administrativhaft Minderjähriger praktizieren - sie sind heute glücklicherweise eine Minderheit -, in Erinnerung ruft, dass es Alternativen gibt, idealerweise die Platzierung in Familien, Heimen oder anderen geeigneten Einrichtungen. Wenn zahlreiche Kantone ohne Administrativhaft auskommen, warum soll das dann in den anderen Kantonen nicht auch möglich sein? Mit einem gänzlichen Verzicht auf Administrativhaft käme die Schweiz jedenfalls den Verpflichtungen aus dem internationalen Übereinkommen über die Rechte des Kindes nach.</p>
    • <p>Der Bundesrat weist einleitend darauf hin, dass er sich in seiner Stellungnahme vom 28. September 2018 zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) zur Administrativhaft im Asylbereich vom 26. Juni 2018 bereits ausführlich zur ausländerrechtlichen Inhaftierung von minderjährigen Personen geäussert hat (BBl 2018 7601). Dabei hat er auch zu der in der Motion aufgeworfenen Thematik der Alternativen zur Administrativhaft Stellung genommen. </p><p>Der Bundesrat betont, dass die Kantone bei Minderjährigen und Familien in der Regel auf die Anordnung ausländerrechtlicher Administrativhaft verzichten und der Vollzug der Wegweisung ab der Unterkunft durchgeführt wird. Ist dies aufgrund des unkooperativen Verhaltens der betroffenen Personen nicht möglich, wird bei Familien grundsätzlich lediglich gegen den Familienvater Administrativhaft angeordnet, während die Mutter und die Kinder am Abflugtag ab der Unterkunft zum Flughafen begleitet werden. Im vergangenen Jahr wurde insgesamt gegenüber acht minderjährigen Personen Administrativhaft angeordnet. Gegenüber Minderjährigen unter 15 Jahren ist die Haftanordnung gemäss Artikel 80 Absatz 4 sowie Artikel 80a Absatz 5 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG; SR 142.20) gänzlich ausgeschlossen. </p><p>Bereits heute sind im AIG weitere Alternativen zur Administrativhaft vorgesehen. So können Personen, die von einer Wegweisungsverfügung betroffen sind, gemäss Artikel 64e AIG dazu verpflichtet werden, sich regelmässig bei einer Behörde zu melden, eine angemessene finanzielle Sicherheit zu leisten oder ihre Reisedokumente zu hinterlegen. Im Weiteren kann einer ausreisepflichtigen Person gemäss Artikel 74 AIG die Auflage gemacht werden, ein ihr zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen (Eingrenzung) oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten (Ausgrenzung). Wie der Bundesrat in der Antwort zur Motion Nantermod 18.3079 (Ausschaffungshaft. Elektronische Fussfessel erlauben) festgehalten hat, beabsichtigt das Staatssekretariat für Migration (SEM), gemeinsam mit den Kantonen die Zweckmässigkeit der elektronischen Überwachung im ausländerrechtlichen Bereich zu prüfen. Zudem verfolgt das SEM auf europäischer Ebene die Diskussionen bezüglich weiterer Alternativen zur Administrativhaft. Dabei hat sich bis anhin jedoch gezeigt, dass die Alternativen, welche die anderen europäischen Staaten im Rückkehrbereich anwenden, zum Grossteil auch in der schweizerischen Gesetzgebung bereits vorgesehen sind bzw. von den Kantonen bereits angewendet werden. Trotz dieser Ausgangslage hat der vom EJPD und von der KKJPD eingesetzte paritätische Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug aufgrund der Empfehlungen der GPK-N im Dezember 2018 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche unter anderem den Auftrag hat, Best Practices im Bereich der Alternativen zur Administrativhaft für Minderjährige und Familien zu prüfen. In diesem Sinne ist das Anliegen des Motionärs bereits erfüllt, weshalb der Bundesrat aktuell keinen weiteren Handlungsbedarf sieht.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, sich gegenüber den Kantonen für wirksame Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen im Migrationsbereich einzusetzen.</p>
    • Wirksamen Alternativen zur Administrativhaft von Minderjährigen im Migrationsbereich den Vorzug geben

Back to List