Angemessene Vertretung beider Geschlechter im Bundesrat
- ShortId
-
93.406
- Id
-
19930406
- Updated
-
10.04.2024 18:42
- Language
-
de
- Title
-
Angemessene Vertretung beider Geschlechter im Bundesrat
- AdditionalIndexing
-
freie Schlagwörter: Staatspolitik;freie Schlagwörter: Regierung;freie Schlagwörter: Bundesrat
- 1
-
- PriorityCouncil1
-
Nationalrat
- Texts
-
- <p>Eigentlich würde sich eine theoretische Begründung für meine parlamentarische Initiative erübrigen. Die "vorgeführte Praxis" rund um die Ersatzwahl für den freigewordenen Bundesratssitz von René Felber hat die Berechtigung und Notwendigkeit einer Verfassungsänderung endgültig bestätigt.</p><p>Wenn 2 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechtes und 12 Jahre nach der Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in der Verfassung die gesetzgebenden Behörden ihren Verfassungsauftrag dermassen missachten, drängt sich eine Festschreibung des Frauenanspruches in der Verfassung geradezu auf. Die letzten Jahre und insbesondere die letzten Wochen haben gezeigt, dass ohne gezielte Massnahmen eine gerechte, gleichmässige Vertretung der Frauen in absehbarer Zeit nicht erreicht wird. </p><p>Positive Grundsatzerklärungen, wie sie die vorberatende Kommission bei der Ablehnung der ähnlich lautenden pa. iv. Leutenegger Oberholzer (90.241) abgab, "die Kommission ist sich grundsätzlich einig, dass eine bessere Frauenvertretung in allen Bereichen wünschenswert ist", reichen nicht mehr. Praktisch bei jeder Bundesratsvakanz der letzten Jahre wurden Frauenkandidaturen mit fadenscheinigen bis ha(h)nebüchenen Argumenten bekämpft, und wenn die zu wenig Wirkung hatten, Schlammschlachten inszeniert. Dies zeigt, wie unredlich das Argument "es kommt doch nicht auf das Geschlecht an" tatsächlich ist. Wäre dem so, hätten wir längst mehrere Bundesrätinnen.</p><p>Es ist nicht haltbar, dass am Ende des 20. Jahrhunderts "Argumente" wie: "zu kühl, zu spontan, zu modisch oder eben gerade zu wenig modisch, zu blond, lieber braun" etc., den Ausschlag geben, um die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung im Bundesrat vertreten ist oder nicht. Ebenso wenig darf es sein, dass während einigen Jahren bloss eine Frau im Bundesrat sitzt, um dann bei der nächsten Vakanz wieder eine frauenlose Zeit einzuführen. </p><p>Jetzt gilt es, den Verfassungsauftrag von Art. 4 Abs. 2 BV umzusetzen. Nach modernem Grundrechtsverständnis beinhaltet er nicht bloss ein Diskriminierungsverbot, sondern auch die positive Verpflichtung für staatliche Organe, "aktiv gestaltend für eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in der sozialen Wirklichkeit einzutreten" (Karl-Heinrich Friauf: Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag, Stuttgart 1981). Gleichberechtigung ist somit als kollektives Rechtsgut anzusehen, für dessen Verwirklichung kompensatorische Massnahmen erforderlich sind. </p><p>Der Berner Staatsrechtler Jörg Paul Müller hält fest: "Anerkennt man als Ziel des Satzes 2 von Art. 4 Abs. 2 BV nicht nur die Garantie formeller sondern auch materieller Gleichheit, so stellt sich die Frage, wie weit der Staat diese durch kompensatorisches Recht verwirklichen muss und insbesondere, wie weit ihn eine Pflicht zur Frauenförderung trifft" (Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991). Eine Form von kompensatorischem Recht ist die Quotenregelung. </p><p>Mittlerweile müsste es sich herumgesprochen haben, dass die Quotenregelung eine in unserem Staat durchaus bekannte Massnahme ist. Der heutige Artikel 96 BV enthält eine Kantons-Quote. Die bernische Kantonsverfassung z.B. garantiert der sprachlichen Minderheit des Berner Juras einen Sitz im Regierungsrat. Und in der Weisung des Bundesrates über die Vertretung der sprachlichen Gemeinschaften in der allgemeinen Bundesverwaltung steht: "Die Wahlbehörden achten darauf, dass das Verhältnis zwischen den Bediensteten deutscher, französischer, italienischer und rätoromanischer Muttersprache jenem der Schweizer Bevölkerung laut der offiziellen Statistik entspricht."</p><p>Mit der Formulierung "angemessen vertreten", nehme ich in meiner pa. iv. den demokratischen Grundsatz auf, der in der oben zitierten Weisung zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig lässt sie mehr Spielraum als eine fixe Zahl und verliert ihre Gültigkeit auch bei einer Reform mit Erhöhung der Zahl der Regierungssitze nicht.</p><p>Ich habe meine Initiative in der Form der allgemeinen Anregung eingereicht. Die staatspolitische Kommission müsste sich deshalb auch überlegen, ob nicht eine Verankerung der Quotenregelung auf Gesetzesstufe das richtige Vorgehen wäre. In Frage käme das Verwaltungsorganisationsgesetz (VwOG), Artikel 1.</p><p>Aehnlich lautende Vorstösse wie der vorliegende wurden nicht zuletzt mit dem Argument bekämpft, das aktive Wahlrecht würde damit unzulässig eingeschränkt. In einem ausführlichen Antwortschreiben zur Petition "Nationalrat 2000" vom 14.12.1992 an die Staatspolitische Kommission hat die Bundeskanzlei diesen Einwand widerlegt. Sie weist auf die konstante Praxis der eidgenössischen Räte hin, kantonale Verfassungen zu gewährleisten, mit denen das aktive Wahlrecht bei Ständeratswahlen eingeschränkt wurde, sei es durch Statuierung von Unvereinbarkeiten oder von Amtszeitbeschränkungen (Punkt 41/42). Was ist vom Argument zu halten, das bis heute immer vorgebracht wurde, "Quoten bräuchten eine breite und tragfähige Abstützung in der Bevölkerung", und die sei im Moment nicht vorhanden?</p><p>Mehrere repräsentative Umfragen im Zusammenhang mit der letzten Bundesrats/Bundesrätinnen-Wahl haben diese Behauptung in aller Deutlichkeit widerlegt.Eine Quotenregelung für die Bundesrats/Bundesrätinnen-Wahl könnte zur neuen Zauberformel werden. Sie widerspiegelt einer der Grundsätze unseres Staatswesens, wonach möglichst alle Bevölkerungsgruppen in den politischen Gremien vertreten sein müssen. Sie entspräche im übrigen der Forderung nach partnerschaftlicher Zusammenarbeit von Frau und Mann, wie sie in allen Parteiprogrammen - speziell vor den Wahlen - unterstrichen wird.</p>
- <p>Gestützt auf Artikel 93 BV und Artikel 21bis des Geschäftsverkehrsgesetzes reiche ich in Form der allgemeinen Anregung folgende Parlamentarische Initiative ein:</p><p>Artikel 96 BV ist so zu revidieren, dass beiden Geschlechtern eine angemessene Vertretung im Bundesrat garantiert ist.</p>
- Angemessene Vertretung beider Geschlechter im Bundesrat
- State
-
Erledigt
- Related Affairs
-
- Drafts
-
-
- Index
- 0
- Texts
-
- <p>Eigentlich würde sich eine theoretische Begründung für meine parlamentarische Initiative erübrigen. Die "vorgeführte Praxis" rund um die Ersatzwahl für den freigewordenen Bundesratssitz von René Felber hat die Berechtigung und Notwendigkeit einer Verfassungsänderung endgültig bestätigt.</p><p>Wenn 2 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechtes und 12 Jahre nach der Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in der Verfassung die gesetzgebenden Behörden ihren Verfassungsauftrag dermassen missachten, drängt sich eine Festschreibung des Frauenanspruches in der Verfassung geradezu auf. Die letzten Jahre und insbesondere die letzten Wochen haben gezeigt, dass ohne gezielte Massnahmen eine gerechte, gleichmässige Vertretung der Frauen in absehbarer Zeit nicht erreicht wird. </p><p>Positive Grundsatzerklärungen, wie sie die vorberatende Kommission bei der Ablehnung der ähnlich lautenden pa. iv. Leutenegger Oberholzer (90.241) abgab, "die Kommission ist sich grundsätzlich einig, dass eine bessere Frauenvertretung in allen Bereichen wünschenswert ist", reichen nicht mehr. Praktisch bei jeder Bundesratsvakanz der letzten Jahre wurden Frauenkandidaturen mit fadenscheinigen bis ha(h)nebüchenen Argumenten bekämpft, und wenn die zu wenig Wirkung hatten, Schlammschlachten inszeniert. Dies zeigt, wie unredlich das Argument "es kommt doch nicht auf das Geschlecht an" tatsächlich ist. Wäre dem so, hätten wir längst mehrere Bundesrätinnen.</p><p>Es ist nicht haltbar, dass am Ende des 20. Jahrhunderts "Argumente" wie: "zu kühl, zu spontan, zu modisch oder eben gerade zu wenig modisch, zu blond, lieber braun" etc., den Ausschlag geben, um die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung im Bundesrat vertreten ist oder nicht. Ebenso wenig darf es sein, dass während einigen Jahren bloss eine Frau im Bundesrat sitzt, um dann bei der nächsten Vakanz wieder eine frauenlose Zeit einzuführen. </p><p>Jetzt gilt es, den Verfassungsauftrag von Art. 4 Abs. 2 BV umzusetzen. Nach modernem Grundrechtsverständnis beinhaltet er nicht bloss ein Diskriminierungsverbot, sondern auch die positive Verpflichtung für staatliche Organe, "aktiv gestaltend für eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in der sozialen Wirklichkeit einzutreten" (Karl-Heinrich Friauf: Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag, Stuttgart 1981). Gleichberechtigung ist somit als kollektives Rechtsgut anzusehen, für dessen Verwirklichung kompensatorische Massnahmen erforderlich sind. </p><p>Der Berner Staatsrechtler Jörg Paul Müller hält fest: "Anerkennt man als Ziel des Satzes 2 von Art. 4 Abs. 2 BV nicht nur die Garantie formeller sondern auch materieller Gleichheit, so stellt sich die Frage, wie weit der Staat diese durch kompensatorisches Recht verwirklichen muss und insbesondere, wie weit ihn eine Pflicht zur Frauenförderung trifft" (Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991). Eine Form von kompensatorischem Recht ist die Quotenregelung. </p><p>Mittlerweile müsste es sich herumgesprochen haben, dass die Quotenregelung eine in unserem Staat durchaus bekannte Massnahme ist. Der heutige Artikel 96 BV enthält eine Kantons-Quote. Die bernische Kantonsverfassung z.B. garantiert der sprachlichen Minderheit des Berner Juras einen Sitz im Regierungsrat. Und in der Weisung des Bundesrates über die Vertretung der sprachlichen Gemeinschaften in der allgemeinen Bundesverwaltung steht: "Die Wahlbehörden achten darauf, dass das Verhältnis zwischen den Bediensteten deutscher, französischer, italienischer und rätoromanischer Muttersprache jenem der Schweizer Bevölkerung laut der offiziellen Statistik entspricht."</p><p>Mit der Formulierung "angemessen vertreten", nehme ich in meiner pa. iv. den demokratischen Grundsatz auf, der in der oben zitierten Weisung zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig lässt sie mehr Spielraum als eine fixe Zahl und verliert ihre Gültigkeit auch bei einer Reform mit Erhöhung der Zahl der Regierungssitze nicht.</p><p>Ich habe meine Initiative in der Form der allgemeinen Anregung eingereicht. Die staatspolitische Kommission müsste sich deshalb auch überlegen, ob nicht eine Verankerung der Quotenregelung auf Gesetzesstufe das richtige Vorgehen wäre. In Frage käme das Verwaltungsorganisationsgesetz (VwOG), Artikel 1.</p><p>Aehnlich lautende Vorstösse wie der vorliegende wurden nicht zuletzt mit dem Argument bekämpft, das aktive Wahlrecht würde damit unzulässig eingeschränkt. In einem ausführlichen Antwortschreiben zur Petition "Nationalrat 2000" vom 14.12.1992 an die Staatspolitische Kommission hat die Bundeskanzlei diesen Einwand widerlegt. Sie weist auf die konstante Praxis der eidgenössischen Räte hin, kantonale Verfassungen zu gewährleisten, mit denen das aktive Wahlrecht bei Ständeratswahlen eingeschränkt wurde, sei es durch Statuierung von Unvereinbarkeiten oder von Amtszeitbeschränkungen (Punkt 41/42). Was ist vom Argument zu halten, das bis heute immer vorgebracht wurde, "Quoten bräuchten eine breite und tragfähige Abstützung in der Bevölkerung", und die sei im Moment nicht vorhanden?</p><p>Mehrere repräsentative Umfragen im Zusammenhang mit der letzten Bundesrats/Bundesrätinnen-Wahl haben diese Behauptung in aller Deutlichkeit widerlegt.Eine Quotenregelung für die Bundesrats/Bundesrätinnen-Wahl könnte zur neuen Zauberformel werden. Sie widerspiegelt einer der Grundsätze unseres Staatswesens, wonach möglichst alle Bevölkerungsgruppen in den politischen Gremien vertreten sein müssen. Sie entspräche im übrigen der Forderung nach partnerschaftlicher Zusammenarbeit von Frau und Mann, wie sie in allen Parteiprogrammen - speziell vor den Wahlen - unterstrichen wird.</p>
- <p>Gestützt auf Artikel 93 BV und Artikel 21bis des Geschäftsverkehrsgesetzes reiche ich in Form der allgemeinen Anregung folgende Parlamentarische Initiative ein:</p><p>Artikel 96 BV ist so zu revidieren, dass beiden Geschlechtern eine angemessene Vertretung im Bundesrat garantiert ist.</p>
- Angemessene Vertretung beider Geschlechter im Bundesrat
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