Ungenügende medizinische und psychotherapeutische Versorgung minderjähriger Asylsuchender

ShortId
23.3796
Id
20233796
Updated
26.03.2024 21:40
Language
de
Title
Ungenügende medizinische und psychotherapeutische Versorgung minderjähriger Asylsuchender
AdditionalIndexing
2811;28;2841
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>1. Im laufenden Jahr haben insgesamt 12'188 Personen (Stand 30.06.2023) einen Antrag auf Asyl gestellt, dabei waren 4’777 Personen minderjährig, wovon es sich bei rund 1'300 Personen um Geburten handelte. Von den minderjährigen Personen waren 1’284 unbegleitet (Stand 6.7.2023).</p><p>&nbsp;</p><p>2. Die Erhebung und Auswertung von Gesundheitsdaten ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Gemäss Einschätzungen der Gesundheitsfachstellen in den Bundesasylzentren (BAZ) sind unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) jedoch tendenziell häufiger von gesundheitlichen Problemen betroffen als begleitete minderjährige Asylsuchende (BMA). So hat beispielsweise<strong>&nbsp;</strong>Skabies eine hohe Prävalenz bei den UMA. Dies ist insbesondere auf unhygienische Zustände auf den Migrationsrouten zurückzuführen. Allgemein sind bei Kindern und Jugendlichen häufig psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen oder Angststörungen) festzustellen, da sie in ihren Heimatländern und auf dem Fluchtweg traumatisierende Ereignisse erlebt haben. Es lässt sich vermuten, dass UMA durchschnittlich häufiger als die BMA betroffen sind, da ihnen die familiären Strukturen fehlen und sie als vulnerable Alleinreisende mehr Gefahren ausgesetzt sind.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>3. Gesuchstellende werden bei Eintritt in ein BAZ im Rahmen der medizinischen Erstinformation entsprechend informiert und die Prüfung des Impfstatus erfolgt im Rahmen der Erstkonsultation durch die Pflegefachperson. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat per 1.1.2023 aufgrund des Anstiegs der Asylgesuchszahlen die Personalressourcen bei den Pflegefachpersonen erhöht. Aufgrund des allgemein bestehenden Fachkräftemangels im Bereich der Pflege wird die Rekrutierung allerdings zunehmend schwierig.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>4. Trotz der angespannten Situation in den BAZ sind somatische (Vorsorge-)<br>untersuchungen und Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich gewährleistet. Sie werden im BAZ oder in hausärztlichen bzw. pädiatrischen Partnerpraxen untersucht, behandelt und immunisiert. Der Versorgungsengpass in der Pädiatrie führt allerdings des Öfteren zu längeren Wartezeiten und Anreisewegen (da lokale Praxen keine neuen Patientinnen und Patienten aufnehmen). Es bestehen zudem zeitweise Engpässe bei der Immunisierung wegen fehlenden Impfstoffen. Die zeitnahe Behandlung akuter gesundheitlicher Beschwerden ist jedoch sichergestellt.</p><p>Der psychiatrisch-psychologische Therapiebedarf kann nicht adäquat abgedeckt werden, weil es auch in diesem Bereich an Fachpersonen fehlt. Alternativ können psychoedukative Ansätze zur Stabilisierung des psychischen Gesundheitszustands eingesetzt werden.&nbsp;Das SEM hat diesbezüglich mit verschiedenen Institutionen Vereinbarungen getroffen, um ein Angebot an ambulanten Sprechstunden und niederschwelligen Gruppeninterventionen in den BAZ zu schaffen.&nbsp;</p><p>Zu den Unterschieden der Versorgungssituation in den Kantonen verweist der Bundesrat auf die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) mandatierten Berichte «Regionale Versorgungsgrade pro Fachgebiet als Grundlage für die Höchstzahlen in der ambulanten ärztlichen Versorgung» (2022) und «Psychische Gesundheit von traumatisierten Asylsuchenden: Situationsanalyse und Empfehlungen» (2018). Die Versorgungssituation in den Asylregionen widerspiegelt teilweise die allgemeine Situation in den jeweiligen Kantonen.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>5. Der Versorgungsengpass im psychiatrisch-psychologischen Bereich kann kurzfristig über psychoedukative Interventionen und weitere niederschwellige Entlastungsgespräche gelindert werden. Eine Übersicht solcher Angebote findet sich im Bericht «Niederschwellige Kurzinterventionen für psychisch belastete Asylsuchende und Flüchtlinge» (2020, Update 2021). Das SEM prüft laufend die Ausweitung dieser Kurzinterventionen in den BAZ. Mittel- bis langfristig dürfte die Neuregelung der psychologischen Psychotherapie (Anordnungsmodell), die Umsetzung der Pflegeinitiative sowie das Sonderprogramm «Erhöhung der Anzahl Abschlüsse in Humanmedizin» zu einer Verbesserung der Versorgungssituation im Gesundheitswesen beitragen.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>6. Medizinische Leistungen werden über die obligatorische Grundversicherung der Asylsuchenden abgerechnet. Die Koordinations- und Vernetzungsarbeit der behandelnden Partnerärztinnen und -ärzte wird über eine monatliche Pauschale durch das SEM vergütet. Das SEM übernimmt zudem die Kosten für die Übersetzungen, die im Rahmen der pflegerischen Versorgung im BAZ, der ambulanten medizinischen Versorgung durch die Partnerärztinnen und -ärzte sowie der ambulanten Folgeuntersuchungen anfallen.</p>
  • <p>Gemäss Medienberichten steigt die Zahl der unbegleiteten und begleiteten minderjährigen Asylsuchenden kontinuierlich. Von den insgesamt 14 928 Asylgesuchen wurden 44 Prozent (6505) von Minderjährigen gestellt (2021). </p><p>Die ungenügende Gesundheitsversorgung dieser Kinder und Jugendlichen stellt ein grosses Problem dar. Oft bestehen Impflücken und es bestehen teils akute infektiologische oder psychiatrische Probleme. Viele der Kinder leiden an traumatischen Erlebnissen und können nicht in die Schule gehen oder eine Ausbildung machen. Ohne rasche Behandlungen steigt das Risiko von grösserem Leid, Chronifizierungen und es können hohe Folgekosten entstehen.</p><p>Ich fordere den Bundesrat auf, sich diesem Problem anzunehmen und zusammen mit den Kantonen entsprechende Massnahmen zu ergreifen. </p><p>In diesem Zusammenhang stelle ich dem Bundesrat folgende Fragen:</p><p>1. Wie viele minderjährige, unbegleitete und begleitete Asylsuchende sind im laufenden Jahr in die Schweiz eingereist und haben einen Asylantrag gestellt?</p><p>2. Welche medizinischen Probleme haben diese Kinder- und Jugendlichen? Bestehen gesundheitliche Unterschiede zwischen unbegleiteten und begleiteten Kindern?</p><p>3. Welche medizinischen Ressourcen stehen beim ersten Gesundheitscheck in den Bundesasylzentren zur Verfügung? Wer führt die Gesundheitschecks durch? </p><p>4. Können notwendige Behandlungen von jugendlichen Asylsuchenden rasch in die Wege geleitet werden oder bestehen Versorgungsengpässe?</p><p>- Werden die notwendigen Immunisierungen und entwicklungspädiatrische Beurteilungen bereits in den Zentren durchgeführt?</p><p>- Können die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen in den ersten vier Lebensjahren garantiert werden?</p><p>- Können adäquate psychiatrisch-psychologische Beurteilungen durchgeführt und die notwendigen Behandlungen sichergestellt werden?</p><p>- Gibt es Kriseninterventionsmöglichkeiten bei auffälligen Jugendlichen?</p><p>- Welche Unterschiede bezüglich der Versorgungs-Settings bestehen zwischen den Kantonen?</p><p>5. Welche Massnahmen können Bund und Kantone ergreifen, damit jugendliche Asylsuchende im Falle von Versorgungsengpässen eine angemessene medizinische Versorgung erhalten?</p><p>6. Was ist der Stand der Vergütung der medizinischen Leistungen (inkl. Koordinations- und Vernetzungsarbeit) und von interkulturellen Dolmetschenden, sofern professionelle Übersetzungsleistungen für den therapeutischen Erfolg notwendig sind?</p>
  • Ungenügende medizinische und psychotherapeutische Versorgung minderjähriger Asylsuchender
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1. Im laufenden Jahr haben insgesamt 12'188 Personen (Stand 30.06.2023) einen Antrag auf Asyl gestellt, dabei waren 4’777 Personen minderjährig, wovon es sich bei rund 1'300 Personen um Geburten handelte. Von den minderjährigen Personen waren 1’284 unbegleitet (Stand 6.7.2023).</p><p>&nbsp;</p><p>2. Die Erhebung und Auswertung von Gesundheitsdaten ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Gemäss Einschätzungen der Gesundheitsfachstellen in den Bundesasylzentren (BAZ) sind unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) jedoch tendenziell häufiger von gesundheitlichen Problemen betroffen als begleitete minderjährige Asylsuchende (BMA). So hat beispielsweise<strong>&nbsp;</strong>Skabies eine hohe Prävalenz bei den UMA. Dies ist insbesondere auf unhygienische Zustände auf den Migrationsrouten zurückzuführen. Allgemein sind bei Kindern und Jugendlichen häufig psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen oder Angststörungen) festzustellen, da sie in ihren Heimatländern und auf dem Fluchtweg traumatisierende Ereignisse erlebt haben. Es lässt sich vermuten, dass UMA durchschnittlich häufiger als die BMA betroffen sind, da ihnen die familiären Strukturen fehlen und sie als vulnerable Alleinreisende mehr Gefahren ausgesetzt sind.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>3. Gesuchstellende werden bei Eintritt in ein BAZ im Rahmen der medizinischen Erstinformation entsprechend informiert und die Prüfung des Impfstatus erfolgt im Rahmen der Erstkonsultation durch die Pflegefachperson. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat per 1.1.2023 aufgrund des Anstiegs der Asylgesuchszahlen die Personalressourcen bei den Pflegefachpersonen erhöht. Aufgrund des allgemein bestehenden Fachkräftemangels im Bereich der Pflege wird die Rekrutierung allerdings zunehmend schwierig.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>4. Trotz der angespannten Situation in den BAZ sind somatische (Vorsorge-)<br>untersuchungen und Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich gewährleistet. Sie werden im BAZ oder in hausärztlichen bzw. pädiatrischen Partnerpraxen untersucht, behandelt und immunisiert. Der Versorgungsengpass in der Pädiatrie führt allerdings des Öfteren zu längeren Wartezeiten und Anreisewegen (da lokale Praxen keine neuen Patientinnen und Patienten aufnehmen). Es bestehen zudem zeitweise Engpässe bei der Immunisierung wegen fehlenden Impfstoffen. Die zeitnahe Behandlung akuter gesundheitlicher Beschwerden ist jedoch sichergestellt.</p><p>Der psychiatrisch-psychologische Therapiebedarf kann nicht adäquat abgedeckt werden, weil es auch in diesem Bereich an Fachpersonen fehlt. Alternativ können psychoedukative Ansätze zur Stabilisierung des psychischen Gesundheitszustands eingesetzt werden.&nbsp;Das SEM hat diesbezüglich mit verschiedenen Institutionen Vereinbarungen getroffen, um ein Angebot an ambulanten Sprechstunden und niederschwelligen Gruppeninterventionen in den BAZ zu schaffen.&nbsp;</p><p>Zu den Unterschieden der Versorgungssituation in den Kantonen verweist der Bundesrat auf die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) mandatierten Berichte «Regionale Versorgungsgrade pro Fachgebiet als Grundlage für die Höchstzahlen in der ambulanten ärztlichen Versorgung» (2022) und «Psychische Gesundheit von traumatisierten Asylsuchenden: Situationsanalyse und Empfehlungen» (2018). Die Versorgungssituation in den Asylregionen widerspiegelt teilweise die allgemeine Situation in den jeweiligen Kantonen.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>5. Der Versorgungsengpass im psychiatrisch-psychologischen Bereich kann kurzfristig über psychoedukative Interventionen und weitere niederschwellige Entlastungsgespräche gelindert werden. Eine Übersicht solcher Angebote findet sich im Bericht «Niederschwellige Kurzinterventionen für psychisch belastete Asylsuchende und Flüchtlinge» (2020, Update 2021). Das SEM prüft laufend die Ausweitung dieser Kurzinterventionen in den BAZ. Mittel- bis langfristig dürfte die Neuregelung der psychologischen Psychotherapie (Anordnungsmodell), die Umsetzung der Pflegeinitiative sowie das Sonderprogramm «Erhöhung der Anzahl Abschlüsse in Humanmedizin» zu einer Verbesserung der Versorgungssituation im Gesundheitswesen beitragen.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>6. Medizinische Leistungen werden über die obligatorische Grundversicherung der Asylsuchenden abgerechnet. Die Koordinations- und Vernetzungsarbeit der behandelnden Partnerärztinnen und -ärzte wird über eine monatliche Pauschale durch das SEM vergütet. Das SEM übernimmt zudem die Kosten für die Übersetzungen, die im Rahmen der pflegerischen Versorgung im BAZ, der ambulanten medizinischen Versorgung durch die Partnerärztinnen und -ärzte sowie der ambulanten Folgeuntersuchungen anfallen.</p>
    • <p>Gemäss Medienberichten steigt die Zahl der unbegleiteten und begleiteten minderjährigen Asylsuchenden kontinuierlich. Von den insgesamt 14 928 Asylgesuchen wurden 44 Prozent (6505) von Minderjährigen gestellt (2021). </p><p>Die ungenügende Gesundheitsversorgung dieser Kinder und Jugendlichen stellt ein grosses Problem dar. Oft bestehen Impflücken und es bestehen teils akute infektiologische oder psychiatrische Probleme. Viele der Kinder leiden an traumatischen Erlebnissen und können nicht in die Schule gehen oder eine Ausbildung machen. Ohne rasche Behandlungen steigt das Risiko von grösserem Leid, Chronifizierungen und es können hohe Folgekosten entstehen.</p><p>Ich fordere den Bundesrat auf, sich diesem Problem anzunehmen und zusammen mit den Kantonen entsprechende Massnahmen zu ergreifen. </p><p>In diesem Zusammenhang stelle ich dem Bundesrat folgende Fragen:</p><p>1. Wie viele minderjährige, unbegleitete und begleitete Asylsuchende sind im laufenden Jahr in die Schweiz eingereist und haben einen Asylantrag gestellt?</p><p>2. Welche medizinischen Probleme haben diese Kinder- und Jugendlichen? Bestehen gesundheitliche Unterschiede zwischen unbegleiteten und begleiteten Kindern?</p><p>3. Welche medizinischen Ressourcen stehen beim ersten Gesundheitscheck in den Bundesasylzentren zur Verfügung? Wer führt die Gesundheitschecks durch? </p><p>4. Können notwendige Behandlungen von jugendlichen Asylsuchenden rasch in die Wege geleitet werden oder bestehen Versorgungsengpässe?</p><p>- Werden die notwendigen Immunisierungen und entwicklungspädiatrische Beurteilungen bereits in den Zentren durchgeführt?</p><p>- Können die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen in den ersten vier Lebensjahren garantiert werden?</p><p>- Können adäquate psychiatrisch-psychologische Beurteilungen durchgeführt und die notwendigen Behandlungen sichergestellt werden?</p><p>- Gibt es Kriseninterventionsmöglichkeiten bei auffälligen Jugendlichen?</p><p>- Welche Unterschiede bezüglich der Versorgungs-Settings bestehen zwischen den Kantonen?</p><p>5. Welche Massnahmen können Bund und Kantone ergreifen, damit jugendliche Asylsuchende im Falle von Versorgungsengpässen eine angemessene medizinische Versorgung erhalten?</p><p>6. Was ist der Stand der Vergütung der medizinischen Leistungen (inkl. Koordinations- und Vernetzungsarbeit) und von interkulturellen Dolmetschenden, sofern professionelle Übersetzungsleistungen für den therapeutischen Erfolg notwendig sind?</p>
    • Ungenügende medizinische und psychotherapeutische Versorgung minderjähriger Asylsuchender

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