Bundesverfassung. Reform

Details

ID
19960091
Title
Bundesverfassung. Reform
Description
Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung
InitialSituation
<p>Im Jahre 1998 feiert die Schweiz das 150jährige Bestehen des Bundesstaates. Auf diesen Zeitpunkt hin sollen die Vorarbeiten für die Verfassungsreform zum Abschluss gebracht werden. Diese Vorarbeiten sind zwar bereits Mitte der sechziger Jahre begonnen worden, und das Parlament hat sich 1987 eingehend damit befasst; sie haben aber erst nach der Ablehnung des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum wieder neuen Auftrieb erhalten. Der Bundesrat hat im Sommer 1994 ihre Wiederaufnahme beschlossen.</p><p>Die vorgeschlagene Verfassungsreform will einerseits deutlich machen, was heute gestützt auf einen breiten politischen Grundkonsens als gelebte Verfassungswirklichkeit und verbindliches Verfassungsrecht gilt. Die bestehenden Lücken im Verfassungstext sollen geschlossen, die Gliederung soll verbessert, die normative Dichte reduziert und die Sprache modernisiert werden. Die Verfassungsreform ist damit auch Anlass, die Elemente, welche die Schweizerische Eidgenossenschaft kennzeichnen, wieder bewusst zu machen und aufzuzeigen, was den Zusammenhalt der "Willensnation Schweiz" sichert. Gleichzeitig schafft sie mehr Transparenz, was für das gute Funktionieren der staatlichen Institutionen und für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat unerlässlich ist.</p><p>Anderseits will die Verfassungsreform sich aber nicht darauf beschränken, das geltende Verfassungsrecht aufzubereiten. Denn namentlich im Bereich der Behörden und der Volksrechte sind Neuerungen notwendig, um die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Staates mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft zu sichern und zu stärken. Die Institutionen des schweizerischen Bundesstaates, die im wesentlichen aus dem letzten Jahrhundert stammen, haben sich insgesamt bewährt. Grundlegende Änderungen sind somit nicht notwendig. Hingegen sind gewisse Anpassungen vor allem im Bereich der Volksrechte und der Justiz nötig, um zu verhindern, dass das institutionelle Gefüge unseres Staates auf die Dauer Schaden nimmt.</p><p>Ausgehend von diesen Zielen umfasst die Botschaft über die Reform der Bundesverfassung drei verschiedene Vorlagen: einen Bundesbeschluss über eine nachgeführte Bundesverfassung (Vorlage A), einen Bundesbeschluss über die Reform der Volksrechte (Vorlage B) und einen Bundesbeschluss über die Reform der Justiz (Vorlage C). Angestrebt wird somit weder eine Totalrevision im klassischen Sinn, die - wie dies beim Verfassungsentwurf der Expertenkommission Furgler im Jahre 1977 noch der Fall war - alle Bereiche des Verfassungsrechts betrifft, noch eine rein formale, auf die Neuformulierung des geltenden Verfassungsrechts beschränkte Revision. Die Verfassungsreform verbindet die sogenannte Nachführung, die "mise à jour" des geltenden Verfassungsrechts, mit institutionellen Neuerungen in zwei Schwerpunktbereichen. Sie verzichtet auf umfassende materielle Neuerungen, ist aber als offener Prozess konzipiert, der den Einbezug weiterer Reformbereiche ermöglicht.</p><p>Die Vorlage A erfüllt den Auftrag der Bundesversammlung aus dem Jahre 1987. Nach diesem Auftrag soll der Bundesrat einen Entwurf zu einer neuen Bundesverfassung unterbreiten, der das geltende geschriebene und ungeschriebene Verfassungsrecht nachführt, es verständlich darstellt, systematisch ordnet sowie Dichte und Sprache vereinheitlicht. Es geht mit andern Worten darum, das geltende Verfassungsrecht möglichst vollständig, klar strukturiert und in verständlicher Form zum Ausdruck zu bringen und damit die für die Bürgerinnen und Bürger unerlässliche Transparenz der grundlegenden Normen unseres Staates zu schaffen. </p><p>Der Entwurf einer nachgeführten Bundesverfassung macht die Wesensmerkmale unseres Staates (Volksrechte, Rechtsstaatlichkeit, Föderalismus, Sozialstaatlichkeit) deutlich und trägt der Entwicklung des Verfassungsrechts Rechnung. Diese hat zu einem erheblichen Teil ausserhalb des Verfassungstexts stattgefunden: Die Rechtsprechung des Bundesgerichts, die Praxis von Bundesversammlung und Bundesrat und zahlreiche völkerrechtliche Normen, die für die Schweiz verbindlich sind, haben das Verfassungsrecht in den letzten Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt. Ganz besonders gilt dies für die Entwicklung der Grundrechte und für die allgemeinen Grundsätze staatlichen Handelns. Es trifft aber auch zu für das Verhältnis von Bund und Kantonen sowie für das Zusammenwirken und die Zuständigkeiten der verschiedenen Bundesbehörden.</p><p>Der neue Verfassungstext vermeidet zu dichte Normierungen. Er ist deshalb trotz des Einbezugs materiellen Verfassungsrechts deutlich kürzer als die geltende Bundesverfassung. Seine klare, sachlichen Kriterien gehorchende Gliederung und eine zeitgemässe Sprache und Terminologie machen die Bundesverfassung wesentlich verständlicher.</p><p>Die Vorlage B enthält ein ausgewogenes Paket von Reformvorschlägen der Volksrechte. Ziel dieser Reformvorschläge ist weder der Abbau noch ein einseitiger Ausbau der direkt-demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Es geht vielmehr darum, einzelne Elemente der Volksrechte umzugestalten, zu verfeinern und zu ergänzen, um die Funktionsfähigkeit der direkten Demokratie mit Blick auf die Zukunft zu sichern. Die Mitwirkung und Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger bei den wichtigen politischen Fragen muss auch in Zukunft gewährleistet sein. Die einzelnen Reformvorschläge tragen der besonderen Bedeutung der Volksrechte in unserem Staat Rechnung. Sie gehen mit andern Worten von einer Gesamtheit der Institutionen aus.</p><p>Die Reformvorschläge wollen dazu beitragen, dass die Volksrechte vor allem dort zum Tragen kommen, wo es um Wichtiges und Grundlegendes, um Grundsatzentscheide geht. Sie streben darüber hinaus eine Differenzierung des bestehenden Instrumentariums an und antworten auf die zunehmende Internationalisierung des Rechts. Schliesslich geht es nicht zuletzt auch darum, die Impulsfunktion der Volksrechte zu stärken und ihre eher bremsenden Wirkungen zu mindern. Als bedeutsame Neuerungen werden namentlich vorgeschlagen: die Einführung der allgemeinen Volksinitiative und des fakultativen Verwaltungs- und Finanzreferendums; die Ausdehnung des fakultativen Staatsvertragsreferendums verbunden mit der Möglichkeit, die Genehmigung von Staatsverträgen zusammen mit den Gesetzesänderungen zur Abstimmung zu unterbreiten; die Zuständigkeit des Bundesgerichts, in Zweifelsfällen über die Gültigkeit von Volksinitiativen zu entscheiden; die Möglichkeit, Alternativtexte vorzulegen und mehrere Volksinitiativen gleichzeitig zur Abstimmung zu unterbreiten; und schliesslich die Erhöhung der Unterschriftenzahlen.</p><p>Die Vorlage C will vor allem die Funktionsfähigkeit des Bundesgerichts als oberstes Gericht sicherstellen. Zu den Aufgaben des Bundesgerichts gehören die Entscheidung rechtlicher Grundsatzfragen, die Sicherung der Kohärenz der Rechtsordnung und die dynamische Fortentwicklung des Rechts. Die Funktionsfähigkeit des Bundesgerichts darf nicht länger durch Überlastung und sachfremde Aufgaben beeinträchtigt werden. Zudem gilt es, den Rechtsschutz in allen Bereichen zu gewährleisten. Um diese Ziele zu erreichen, werden eine Entlastung des Bundesgerichts durch den Abbau von Direktprozessen und die Vorschaltung richterlicher Behörden in allen Bereichen sowie die Ermöglichung von Zugangsbeschränkungen vorgeschlagen. Vorgesehen ist im weiteren auch die Verbesserung des Rechtsschutzes durch die Einführung einer allgemeinen Rechtsweggarantie. Eine besonders bedeutsame Neuerung stellt sodann der Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit dar: Im Zusammenhang mit einem Anwendungsakt soll das Bundesgericht künftig prüfen können, ob ein Bundesgesetz oder ein allgemeinverbindlicher Bundesbeschluss gegen verfassungsmässige Rechte oder gegen Völkerrecht verstösst. Und schliesslich stellt die Vorlage zur Reform der Justiz auch die erforderlichen Verfassungsgrundlagen für eine Vereinheitlichung des Zivil- und Strafprozessrechts bereit.</p><p>Die Vorlagen zur Nachführung des geltenden Verfassungsrechts und zu den beiden Reformbereichen werden dem Parlament gleichzeitig unterbreitet. Es handelt sich aber um separate Vorlagen, über die auch separat abgestimmt werden soll. Dabei kann vorläufig offen bleiben, ob die Vorlagen gleichzeitig oder allenfalls zeitlich gestaffelt zur Abstimmung unterbreitet werden.</p><p>Konzept der Verfassungsreform, Grundsatzbeschlüsse der Verfassungskommissionen</p><p>(gemäss Presserohstoff zur Pressekonferenz vom 28.11.1997)</p><p>Das Resultat der Gesamtabstimmung über die "nachgeführte" Bundesverfassung lautete in der nationalrätlichen Kommission: 22:1 Stimmen bei 9 Enthaltungen; in der Kommission des Ständerates: 17:0 Stimmen bei einer Enthaltung. Beide Kommissionen beurteilen die "Nachführung" also als sinnvolles Unterfangen. Die relativ hohe Zahl von Enthaltungen wie auch die 128 Minderheitsanträge in der nationalrätlichen Kommission zeigen, dass die "Nachführung" des geltenden Verfassungsrechtes keine blosse Abschreibeübung sein kann. Bereits bei der Beantwortung der Frage, was nun als geltendes Verfassungsrecht betrachtet werden kann, hat sich in vielen Fällen ein weiter Interpretationsspielraum geöffnet, der allein schon Anlass genug für intensive politische Auseinandersetzungen bieten kann. Der geltende Verfassungstext, der über weite Strecken noch aus dem letzten Jahrhundert stammt, gibt eben auch nicht mehr die heutige Verfassungswirklichkeit wieder, und die Wahrnehmung der Realität ist naturgemäss je nach Standort unterschiedlich. Jede Neuformulierung impliziert Änderungen: insofern kann es eine "reine Nachführung" gar nicht geben. Darüber hinaus stellte sich im Laufe der Beratungen in beiden Kommissionen immer wieder die Frage, ob die Gelegenheit nicht genutzt werden sollte, um entgegen dem bundesrätlichen Konzept der strikten rechtlichen "Nachführung" auch bestimmte Neuerungen in der Verfassung festzuschreiben. Die Kommissionen waren sich dabei bewusst, dass politisch umstrittene Neuerungen eine Kumulation von verschiedenen Oppositionen gegen die neue Bundesverfassung bewirken und damit zum Scheitern des ganzen Projektes führen müssten. Entsprechende Anträge sind daher konsequent abgelehnt worden. Beide Kommissionen haben aber auch in einigen Punkten entgegen dem Entwurf des Bundesrates Neuerungen beschlossen, die gemäss ihrer Einschätzung konsensfähig sind. Bei diesen Neuerungen handelt es sich einerseits um das Abschneiden "alter Zöpfe" (wie z.B. den Ausschluss der Geistlichen aus dem Nationalrat) und andererseits um Klarstellungen in Bereichen ungeschriebenen Rechts. In heiklen Bereichen wie der Wirtschafts- und Sozialordnung sowie der Bundeskompetenzen hielten sich beide Kommissionen an einen relativ eng verstandenen Nachführungsbegriff</p><p>Zu Organisation und Verfahren des Parlamentes und zur Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat liegen ausser dem Entwurf des Bundesrates auch zahlreiche Anträge der Staatspolitischen Kommissionen beider Räte (SPK) vor, die aufgrund umfangreicher Vorarbeiten in der Form eines Zusatzberichtes vom 6. März 1997 zur Verfassungsreform den Räten unterbreitet worden sind. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 9. Juni 1997 zu den meisten Anträgen der SPK ablehnend Stellung genommen. Zudem machte der Bundesrat geltend, diese Anträge seien als Neuerungen zu qualifizieren; ihre Behandlung solle daher auf die "Staatsleitungsreform" verschoben werden.</p><p>Beide Kommissionen stimmten u.a. folgenden von den SPK vorgeschlagenen Änderungen des bundesrätlichen Entwurfes zu: Streichung des Ausschlusses der Geistlichen aus dem Nationalrat, flexiblere Regelung der Unvereinbarkeiten, Schaffung eines zweiten Vizepräsidiums in beiden Räten, Unterstellung der Parlamentsdienste unter die Bundesversammlung, Vereinfachung der Erlassformen der Bundesversammlung, Einführung eines materiellen Gesetzesbegriffes. Von beiden Kommissionen abgelehnt wurde die Verankerung einer Ombudsstelle in der Verfassung und die Einführung einer ausserordentlichen Gesamterneuerung des Bundesrates auf Begehren von drei Vierteln der Mitglieder der Bundesversammlung.</p><p>Vorlage A: Bundesbeschluss über eine neue Bundesverfassung</p>
Objectives
  • Number
    0
    Text
    Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung
    Resolutions
    Date Council Text
  • Number
    1
    Text
    A1, Teil 1: Bundesbeschluss über eine nachgeführte Bundesverfassung (Titel, Ingress, Art. 1-83a)
    Resolutions
    Date Council Text
    21.01.1998 2 Beschluss abweichend vom Entwurf
    19.03.1998 1 Abweichend (Art. 1 bis 11a)
    28.04.1998 1 Abweichung
    18.06.1998 2 Abweichend (bis und mit Art. 57g)
    21.09.1998 2 Abweichend (Art. 57h bis 83a)
    23.09.1998 1 Abweichend (Art. 1 bis 57g)
    07.10.1998 2 Abweichung
    30.11.1998 1 Abweichung
    14.12.1998 1 Zustimmung zum Antrag der Einigungskonferenz.
    15.12.1998 2 Zustimmung zum Antrag der Einigungskonferenz.
    18.12.1998 2 Annahme in der Schlussabstimmung
    18.12.1998 1 Annahme in der Schlussabstimmung
  • Number
    2
    Text
    A1, Teil 2: Bundesbeschluss über eine nachgeführte Bundesverfassung (Art. 84-126, Art. 185, Schlussbestimmungen)
    Resolutions
    Date Council Text
    04.03.1998 2 Beschluss abweichend vom Entwurf
    29.04.1998 1 Abweichend (Art. 60 und 84 bis 95)
    08.06.1998 1 Abweichend (Art. 96 bis Ende)
    21.09.1998 2 Abweichend (Art. 84 bis 95)
    22.09.1998 2 Abweichend (Art. 97 bis 126, Art. 185; Schlussbestimmungen)
    06.10.1998 1 Abweichend (Art. 57k - 126)
    01.12.1998 2 Abweichung
    09.12.1998 1 Abweichend (die Varianten werden abgelehnt).
    14.12.1998 1 Zustimmung zum Antrag der Einigungskonferenz.
    15.12.1998 2 Zustimmung zum Antrag der Einigungskonferenz.
    18.12.1998 2 Annahme in der Schlussabstimmung
    18.12.1998 1 Annahme in der Schlussabstimmung
  • Number
    3
    Text
    A 2: Bundesbeschluss über eine nachgeführte Bundesverfassung (Art. 127-184)
    Resolutions
    Date Council Text
    22.01.1998 1 Beschluss abweichend vom Entwurf
    09.03.1998 2 Abweichend (Art. 127 bis 153)
    30.04.1998 2 Abweichung
    25.06.1998 1 Abweichung
    22.09.1998 2 Abweichung
    30.11.1998 1 Abweichung
    08.12.1998 2 Abweichend (die Varianten werden abgelehnt).
    14.12.1998 1 Zustimmung zum Antrag der Einigungskonferenz.
    15.12.1998 2 Zustimmung zum Antrag der Einigungskonferenz.
    18.12.1998 1 Annahme in der Schlussabstimmung
    18.12.1998 2 Annahme in der Schlussabstimmung
  • Number
    4
    Text
    B: Bundesbeschluss über eine Reform der Volksrechte
    Resolutions
    Date Council Text
    09.06.1999 1 Nichteintreten.
    30.08.1999 2 Nichteintreten.
  • Number
    5
    Text
    C: Bundesbeschluss über eine Reform der Justiz
    Resolutions
    Date Council Text
    05.03.1998 2 Beschluss abweichend vom Entwurf
    25.06.1998 1 Abweichung
    01.10.1998 2 Abweichung
    09.06.1999 1 Abweichung
    30.08.1999 2 Abweichung
    06.10.1999 1 Abweichung
    07.10.1999 2 Beschluss gemäss Antrag der Einigungskonferenz.
    07.10.1999 1 Beschluss gemäss Antrag der Einigungskonferenz.
    08.10.1999 1 Annahme in der Schlussabstimmung
    08.10.1999 2 Annahme in der Schlussabstimmung
Proceedings
<p></p><p><a href="https://www.parlament.ch/de/über-das-parlament/wie-funktioniert-das-parlament/parlamentsrecht/bundesverfassung/bundesverfassung-reform">Zusammenfassungen der Debatten siehe: Dossier</a></p>
Updated
10.04.2024 10:17

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