Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen

Details

ID
20180475
Title
Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen
Description
InitialSituation
<p><strong>Am 29. September 2023 haben die Räte drei Vorlagen zur Änderung des Obligationenrechts verabschiedet. Eine dieser Änderungen betrifft die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Die heute geltenden Voraussetzungen, die für die Geltendmachung von Eigenbedarf eine zeitliche und sachliche Dringlichkeit vorsehen, sollen gelockert werden, sodass es für eine neue Eigentümerin oder einen neuen Eigentümer einfacher wird, mit Hinweis auf den Eigenbedarf eine Kündigung auszusprechen und durchzusetzen. Da das fakultative Referendum ergriffen wurde, wird die Vorlage am 24.&nbsp;November 2024 dem Volk zur Abstimmung unterbreitet.</strong></p><p>Am 12. Dezember 2018 reichte der damalige Nationalrat Giovanni Merlini (RL, TI) die parlamentarische Initiative «Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf des Vermieters oder seiner Familienangehörigen» (<a href="https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20180475">18.475</a>) ein. Mit dieser wurde die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes zur Änderung des Obligationenrechts (OR) und/oder der Zivilprozessordnung (ZPO) gefordert. Dadurch soll die durchschnittliche Verfahrensdauer bei der Kündigung des Mietverhältnisses gestützt auf die Geltendmachung von Eigenbedarf gemäss den Artikeln 261 Absatz 2 Buchstabe a, 271a Absatz 3 Buchstabe a und 272 Absatz 2 Buchstabe d OR im Vergleich zur heutigen Situation in signifikanter Weise reduziert werden. Erstens soll der Gesetzesentwurf die von der Rechtsprechung angewandten Voraussetzungen für die Anerkennung der Dringlichkeit des Eigenbedarfs im Sinne der erwähnten OR-Bestimmungen lockern. Zweitens soll der Gesetzesentwurf bei der Kündigung des Mietverhältnisses ein summarisches Verfahren vorsehen. Dessen Fristen sollen die Erledigung von zivilrechtlichen Streitigkeiten innerhalb eines angemessen kurzen Zeitraums sicherstellen. Dies kann nach der Auffassung des Urhebers auch durch eine Begrenzung der Rechtsmittel realisiert werden.</p><p>&nbsp;</p><p>Die parlamentarische Initiative wurde am 5. Dezember 2019 von Nationalrätin Christa Markwalder (RL, BE) übernommen.</p><p>&nbsp;</p><p>Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) gab der parlamentarischen Initiative am 14. November 2019 mit 18 zu 6 Stimmen Folge. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) stimmte diesem Beschluss am 10. August 2020 mit 8 zu 5 Stimmen zu.</p><p>&nbsp;</p><p>Die RK-N verabschiedete ihren Erlassentwurf am 18. August 2022.&nbsp;Die Kommission beantragte Anpassungen an <strong>Artikel 261 (Wechsel des Eigentümers aufgrund Veräusserung der Sache)</strong>, <strong>Artikel 271a (Kündigung durch den Vermieter)</strong> und <strong>Artikel 272 (Erstreckung des Mietverhältnisses)</strong> des Obligationenrechts, verzichtete aber auf Anpassungen im Verfahrensrecht (der ZPO).</p><p>&nbsp;</p><p><strong>Wechsel des Eigentümers aufgrund Veräusserung der Sache&nbsp;</strong></p><p>Ein Wechsel der Eigentümerin oder des Eigentümers kann gemäss geltendem Artikel 261 Absatz 1 OR erfolgen, wenn die Vermieterin oder der Vermieter die Sache nach Abschluss des Mietvertrags veräussert oder wenn die Sache ihr oder ihm in einem Schuldbetreibungs- oder Konkursverfahren entzogen wird. Das Mietverhältnis geht mit dem Eigentum an der Sache auf die Erwerberin oder den Erwerber über. Gestützt auf Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a OR kann die neue Eigentümerin oder der neue Eigentümer bei Wohn- und Geschäftsräumen das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen, wenn sie oder er einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht.</p><p>&nbsp;</p><p>Die Vorlage der RK-N sieht eine Anpassung von Artikel 261 Absatz 2 Buchstabe a OR vor. Das Recht der neuen Eigentümerin oder des neuen Eigentümers, das Mietverhältnis mittels Kündigung aufzulösen, soll geltend gemacht werden können, wenn ein bei objektiver Beurteilung bedeutender und aktueller Eigenbedarf besteht. Mit dieser neuen Formulierung soll die Anrufung dieses Kündigungsgrundes vereinfacht und dessen Umsetzung beschleunigt werden.</p><p>&nbsp;</p><p><strong>Kündigung durch die Vermieterin oder den Vermieter&nbsp;</strong></p><p>Der geltende Artikel 271a OR konkretisiert den Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen dahingehend, dass die Kündigung durch die Vermieterin oder den Vermieter unter anderem anfechtbar ist, wenn sie während eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens ausgesprochen wird, sofern die Mieterin oder der Mieter das Verfahren nicht missbräuchlich eingeleitet hat (Abs. 1 Bst.&nbsp;d). Anfechtbar ist eine Kündigung ferner auch, wenn sie ausgesprochen wird vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens, in dem die Vermieterin oder der Vermieter zu einem erheblichen Teil unterlegen ist, ihre bzw. seine Forderung oder Klage zurückgezogen oder erheblich eingeschränkt hat, auf die Anrufung des Gerichts verzichtet hat, mit der Mieterin oder dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonst wie geeinigt hat (Abs. 1 Bst. e). Durch den geltenden Absatz 3 Buchstabe a wird die Anwendbarkeit dieser beiden Anfechtungsgründe für Kündigungen ausgeschlossen, die wegen dringenden Eigenbedarfs der Vermieterin oder des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte erfolgen.</p><p>&nbsp;</p><p>Neu soll die Anwendbarkeit der Anfechtungsgründe nach Absatz 1 Buchstaben d und e ausgeschlossen sein, wenn ein bei objektiver Beurteilung bedeutender und aktueller Eigenbedarf besteht. Mit dieser neuen Charakterisierung soll die Anwendbarkeit von Anfechtungsgründen im Zusammenhang mit Eigenbedarfskündigungen eingeschränkt werden, sodass solche Kündigungen einfacher umsetzbar sind.</p><p>&nbsp;</p><p><strong>Erstreckung des Mietverhältnisses&nbsp;</strong></p><p>Der heute geltende Artikel 272 Absatz 2 OR enthält eine nicht abschliessende Aufzählung von Kriterien, die durch die zuständige Behörde bei der Beurteilung eines Erstreckungsgesuchs zu berücksichtigen sind. Gemäss dem geltenden Buchstaben d gehört dazu der allfällige Eigenbedarf der Vermieterin oder des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die zeitliche oder sachliche Dringlichkeit dieses Bedarfs.</p><p>&nbsp;</p><p>Die Vorlage der RK-N enthält auch eine Anpassung von Artikel 272 Absatz 2 Buchstabe d OR. Bei der Interessensabwägung soll eine objektiv zu beurteilende Bedeutung und Aktualität des Eigenbedarfs berücksichtigt werden. Mit dieser Umformulierung werden die Anforderungen an die Dringlichkeit herabgesetzt, sodass der Eigenbedarf bei der Interessensabwägung stärker zu gewichten ist.</p>
Objectives
  • Number
    0
    Text
    Resolutions
    Date Council Text
    14.11.2019 0 Folge geben (Erstrat)
    10.08.2020 0 Zustimmung
  • Number
    1
    Text
    Obligationenrecht (Mietrecht: Kündigung wegen Eigenbedarfs)
    Resolutions
    Date Council Text
    07.03.2023 1 Beschluss gemäss Entwurf
    18.09.2023 2 Zustimmung
    29.09.2023 1 Annahme in der Schlussabstimmung
    29.09.2023 2 Annahme in der Schlussabstimmung
Proceedings
<p>Die Vorlage der RK-N wurde vom <strong>Nationalrat&nbsp;</strong>in der Frühjahrssession 2023 beraten. Eine rot-grüne Minderheit beantragte Nichteintreten. Der Bundesrat hatte sich bereits in seiner Stellungnahme vom 19. Oktober 2022 gegen die Vorlage ausgesprochen. Wie die Kommissionsminderheit sah er darin einen Eingriff in das Gleichgewicht zwischen den Interessen der beiden Mietparteien. Die geltende Regelung für die Kündigung bei Eigenbedarf sehe bereits vor, dass ein Mietverhältnis bei dringendem Eigenbedarf aufgelöst werden könne. Auch die Statistik der Schlichtungsverfahren lasse diesbezüglich keinen besonderen Handlungsbedarf erkennen, da sich die Parteien in mehr als der Hälfte der Fälle einigen könnten und es somit nicht zu Gerichtsverfahren komme.</p><p>&nbsp;</p><p>Für die beantragte Revision argumentierten Mitglieder der SVP-, FDP-Liberalen und der Mitte-Fraktionen. Es gehe einzig darum, den Wohnungseigentümerinnen und ‑eigentümern das Recht zurückzugeben, die von ihnen gekaufte Immobilie zu bewohnen. Heute bestehe ein Machtgefälle zugunsten der Mieterinnen und Mieter. Der Eigenbedarf müsse schneller und einfacher geltend gemacht werden können.</p><p>Der Rat folgte schliesslich der Kommissionsmehrheit und trat mit 108 zu 80 Stimmen bei 1&nbsp;Enthaltung auf die Vorlage ein.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>In der Detailberatung wollte eine rot-grüne Minderheit beim Artikel 261 die Geltendmachung des Kündigungsgrundes an einen konkreten, bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf knüpfen, beim Artikel 271a erst dann einen Ausschluss der Anfechtungsgründe von Absatz 1 Buchstabe d und e, wenn ein dringender, konkreter, aktueller und bedeutender Eigenbedarf vorliegt, und beim Artikel 272 forderte sie strengere Kriterien bei der Interessensabwägung. Die objektiv zu beurteilende Dringlichkeit, Aktualität und Bedeutung des Eigenbedarfs sollen herangezogen werden.</p><p>&nbsp;</p><p>Der Rat folgte jedoch auch in diesen Punkten der Kommissionsmehrheit und lehnte alle Minderheitsanträge ab.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>In der Gesamtabstimmung nahm der Rat die Vorlage mit 114 gegen 79 Stimmen bei 1&nbsp;Enthaltung an. Gegen die Vorlage stimmten die Mitglieder der Sozialdemokratischen und der Grünen Fraktion und Mitglieder der der Grünliberalen Fraktion und der Mitte-Fraktion.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>Der <strong>Ständerat</strong> behandelte die Vorlage in der Herbstsession 2023. Auch in der kleinen Kammer beantragte eine rot-grüne Minderheit Nichteintreten. In der Praxis gebe es heute, so diese Minderheit, kein Problem mit der Anwendung des Rechts. Die beantragte Revision sei lediglich ein rechtliches, ideologisches und politisches Konstrukt, um Kündigungen zu vereinfachen, indem zuerst gekündigt und dann der Mietzins erhöht werde. Auch der Vertreter des Bundesrates wiederholte seine Bedenken.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p>Befürworterinnen und Befürworter der Vorlage wiesen darauf hin, dass das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfs gestellt habe, sodass selbst bei Vorliegen eines konkreten Eigenbedarfs eine Kündigung oft nicht oder nur mit grosser Verzögerung möglich sei. Die Revision wäre nicht notwendig gewesen, wenn die Rechtsprechung die geltende Bestimmung anders gehandhabt hätte.</p><p>&nbsp;</p><p>Der Rat folgte schliesslich der Kommissionsmehrheit und trat mit 29 zu 11 Stimmen bei 2&nbsp;Enthaltungen auf die Vorlage ein und nahm sie dann sogleich in der Gesamtabstimmung mit dem gleichen Stimmenverhältnis an.&nbsp;</p><p>&nbsp;</p><p><strong>In der Schlussabstimmung stimmte der Nationalrat der Vorlage mit 123 zu 72 Stimmen bei 1&nbsp;Enthaltung und der Ständerat mit 33 zu 11 Stimmen zu.&nbsp;</strong></p><p>(Quellen: Kommissionsbericht, Medienmitteilung und Stellungnahme des Bundesrates, Amtliches Bulletin)</p>
Updated
22.10.2024 14:17

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