Vom Simulations- zum Debattenparlament

ShortId
17.3526
Id
20173526
Updated
01.07.2023 10:13
Language
de
Title
Vom Simulations- zum Debattenparlament
AdditionalIndexing
0421
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Viele organisierte "Debatten" im Nationalrat sind heute keine eigentlichen Debatten, sondern Simulationen davon. Aufgrund der stark eingeschränkten Redefreiheit zumindest in den Kategorien IIIa, IIIb und IV findet im Plenum des Nationalrates selten eine echte Auseinandersetzung statt. Vielmehr beschränken sich oft auch die Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Mehr- und Minderheiten auf eine Art protokollarische Wiedergabe der Debatte in der Kommission. Sehr oft werden dabei schlicht schriftlich vorbereitete Statements abgelesen. Eine echte Debatte findet - gerade für Nichtmitglieder der entsprechenden Kommission - nicht statt. Diese Logik zwingt die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in zunehmende Abhängigkeit von den jeweiligen Fachspezialistinnen und Fachspezialisten aus den Kommissionen. Die Möglichkeit der freien Meinungsbildung wird eingeschränkt, das touchiert nicht zuletzt Sinn und Zweck des Instruktionsverbots nach Artikel 161 der Bundesverfassung. Zudem entsteht mit diesem System eine starke Ungleichheit zwischen den Mitgliedern von Kommissionen mit vielen Geschäften und solchen mit wenigen, z. B. den Aufsichtskommissionen. Die immer wieder von Bürgerinnen und Bürgern zu Recht monierte Unruhe im Saal ist zumindest teilweise auch auf diesen Umstand zurückzuführen. Diese Einschränkungen führen auch dazu, dass umgekehrt Debatten in Kategorie I zu einem völlig unsinnigen Schaulaufen verkommen. Die Anpassung hat zum Ziel, die frei(er)e Rede bei wichtigen Geschäften zu ermöglichen. Eine Möglichkeit könnte sein, die Zwischenfrage nach Artikel 42 zu erweitern. Ratsmitglieder könnten die Möglichkeit zu einer kurzen Stellungnahme oder Replik erhalten. Bei der Umsetzung dieser Initiative könnten im Gegenzug z. B. eine vermehrte Anwendung von Artikel 49 GRN (schriftliche Erledigung), die vermehrte Reduktion der Berichterstattung auf eine Person oder die Einschränkung der Anzahl Rednerinnen und Redner bei Volksinitiativen (Kat. I) geprüft werden.</p>
  • <p>Mit dem vorliegenden Postulat soll das Büro beauftragt werden, das Geschäftsreglement des Nationalrates dahingehend zu ändern, dass mehr "echte" Debatten möglich werden.</p><p>Dem Grundanliegen des vorliegenden Postulates steht das Büro positiv gegenüber. Das Büro begrüsst es, wenn die Debatten im Rat lebendig und anregend sind und die Öffentlichkeit an einer interessanten politischen Auseinandersetzung teilhaben kann. Im Vordergrund sowohl der Kommissionsberichterstattung als auch der Voten von Ratsmitgliedern sollten jedoch die Faktentreue sowie eine sachliche und stringente Argumentation sein. Aus institutioneller Sicht ist zu betonen, dass die Berichterstatterinnen und Berichterstatter in erster Linie ihrer Kommission verpflichtet sind, was bedeutet, dass sie die Debatten, Anträge und Beschlüsse der Kommission möglichst korrekt und nachvollziehbar wiedergeben müssen. Dass dies je nach Materie manchmal zu eher technischen Voten führen kann, liegt in der Natur der Sache. Für das Büro steht deshalb ausser Frage, dass gerade bei komplexeren Vorlagen schriftliche Notizen nicht nur hilfreich, sondern unverzichtbar sind. Inwiefern diese schriftlichen Notizen eher in Form von Stichwörtern oder eher als Redetexte verfasst und diskursiv vorgetragen werden sollen, ist situations- und personenabhängig. Das Büro möchte die Entscheidung dazu der Einschätzung der einzelnen Rednerinnen und Redner überlassen.</p><p>Ob mit der vom Postulanten vorgeschlagenen Erweiterung der "Zwischenfrage" (vgl. Art. 42 GRN) mit Repliken und Stellungnahmen das Ziel eines stärkeren Debattenparlamentes tatsächlich erreicht wird, ist für das Büro fraglich. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich dadurch die vom Postulanten als "protokollarische Wiedergabe" kritisierte Berichterstattung wesentlich ändern würde. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass Ratsmitglieder aufgrund dieser neuen Interventionsmöglichkeiten bei Bedarf auf schriftlich vorbereitete und vorgetragene Manuskripte verzichten werden. Hingegen ist davon auszugehen, dass diese Replikmöglichkeit eher von der deutschsprachigen Ratsmehrheit benützt wird, was eine unerwünschte Nebenwirkung dieser Massnahme wäre.</p><p>Im Gegenzug zur Ausweitung des Rederechts für "wichtige Debatten" schlägt der Postulant vor zu prüfen, inwiefern das schriftliche Verfahren häufiger angewendet, die Anzahl Rednerinnen und Redner bei Volksinitiativen eingeschränkt und die Berichterstattung auf eine Person reduziert werden könnte. Letzteres würde wohl wieder die deutschsprachigen Votantinnen und Votanten in den Vordergrund rücken, was wiederum neue Ungleichheiten schaffen würde. Die beiden anderen Vorschläge stehen im Widerspruch zu jüngeren Ratsbeschlüssen. So wurde 2013 mit der Revision des Parlamentsgesetzes und des Geschäftsreglements des Nationalrates (<a href="https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20100440">10.440</a>) das Rederecht explizit auch im schriftlichen Verfahren ausgeweitet (Art. 6 Abs. 4 ParlG bzw. Art. 46 GRN). Zudem hat sich das Büro deutlich zur Beibehaltung des freien Rederechts bei Volksinitiativen ausgesprochen mit der Begründung, dass die Volksinitiative in unserer Demokratie einen besonderen Stellenwert hat.</p><p>Das Büro begrüsst lebendige Debatten und anregende Auseinandersetzungen im Rat. Die vom Postulanten vorgeschlagenen Massnahmen erachtet es aber als nicht zielführend. Vielmehr appelliert das Büro an die Eigenverantwortung der Ratsmitglieder, ihre Voten so vorzubereiten und vorzutragen, dass sowohl dem inhaltlichen (korrekte und sachliche Argumentation) als auch dem Präsentationsaspekt (nachvollziehbare lebendige Argumentation) angemessen Rechnung getragen wird.</p>
  • <p>Das Büro wird eingeladen, einen Bericht darüber zu erstellen, wie das Geschäftsreglement des Nationalrates (GRN) so angepasst werden kann, dass mehr echte Debatten im Parlament möglich werden.</p>
  • Vom Simulations- zum Debattenparlament
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Viele organisierte "Debatten" im Nationalrat sind heute keine eigentlichen Debatten, sondern Simulationen davon. Aufgrund der stark eingeschränkten Redefreiheit zumindest in den Kategorien IIIa, IIIb und IV findet im Plenum des Nationalrates selten eine echte Auseinandersetzung statt. Vielmehr beschränken sich oft auch die Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Mehr- und Minderheiten auf eine Art protokollarische Wiedergabe der Debatte in der Kommission. Sehr oft werden dabei schlicht schriftlich vorbereitete Statements abgelesen. Eine echte Debatte findet - gerade für Nichtmitglieder der entsprechenden Kommission - nicht statt. Diese Logik zwingt die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in zunehmende Abhängigkeit von den jeweiligen Fachspezialistinnen und Fachspezialisten aus den Kommissionen. Die Möglichkeit der freien Meinungsbildung wird eingeschränkt, das touchiert nicht zuletzt Sinn und Zweck des Instruktionsverbots nach Artikel 161 der Bundesverfassung. Zudem entsteht mit diesem System eine starke Ungleichheit zwischen den Mitgliedern von Kommissionen mit vielen Geschäften und solchen mit wenigen, z. B. den Aufsichtskommissionen. Die immer wieder von Bürgerinnen und Bürgern zu Recht monierte Unruhe im Saal ist zumindest teilweise auch auf diesen Umstand zurückzuführen. Diese Einschränkungen führen auch dazu, dass umgekehrt Debatten in Kategorie I zu einem völlig unsinnigen Schaulaufen verkommen. Die Anpassung hat zum Ziel, die frei(er)e Rede bei wichtigen Geschäften zu ermöglichen. Eine Möglichkeit könnte sein, die Zwischenfrage nach Artikel 42 zu erweitern. Ratsmitglieder könnten die Möglichkeit zu einer kurzen Stellungnahme oder Replik erhalten. Bei der Umsetzung dieser Initiative könnten im Gegenzug z. B. eine vermehrte Anwendung von Artikel 49 GRN (schriftliche Erledigung), die vermehrte Reduktion der Berichterstattung auf eine Person oder die Einschränkung der Anzahl Rednerinnen und Redner bei Volksinitiativen (Kat. I) geprüft werden.</p>
    • <p>Mit dem vorliegenden Postulat soll das Büro beauftragt werden, das Geschäftsreglement des Nationalrates dahingehend zu ändern, dass mehr "echte" Debatten möglich werden.</p><p>Dem Grundanliegen des vorliegenden Postulates steht das Büro positiv gegenüber. Das Büro begrüsst es, wenn die Debatten im Rat lebendig und anregend sind und die Öffentlichkeit an einer interessanten politischen Auseinandersetzung teilhaben kann. Im Vordergrund sowohl der Kommissionsberichterstattung als auch der Voten von Ratsmitgliedern sollten jedoch die Faktentreue sowie eine sachliche und stringente Argumentation sein. Aus institutioneller Sicht ist zu betonen, dass die Berichterstatterinnen und Berichterstatter in erster Linie ihrer Kommission verpflichtet sind, was bedeutet, dass sie die Debatten, Anträge und Beschlüsse der Kommission möglichst korrekt und nachvollziehbar wiedergeben müssen. Dass dies je nach Materie manchmal zu eher technischen Voten führen kann, liegt in der Natur der Sache. Für das Büro steht deshalb ausser Frage, dass gerade bei komplexeren Vorlagen schriftliche Notizen nicht nur hilfreich, sondern unverzichtbar sind. Inwiefern diese schriftlichen Notizen eher in Form von Stichwörtern oder eher als Redetexte verfasst und diskursiv vorgetragen werden sollen, ist situations- und personenabhängig. Das Büro möchte die Entscheidung dazu der Einschätzung der einzelnen Rednerinnen und Redner überlassen.</p><p>Ob mit der vom Postulanten vorgeschlagenen Erweiterung der "Zwischenfrage" (vgl. Art. 42 GRN) mit Repliken und Stellungnahmen das Ziel eines stärkeren Debattenparlamentes tatsächlich erreicht wird, ist für das Büro fraglich. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich dadurch die vom Postulanten als "protokollarische Wiedergabe" kritisierte Berichterstattung wesentlich ändern würde. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass Ratsmitglieder aufgrund dieser neuen Interventionsmöglichkeiten bei Bedarf auf schriftlich vorbereitete und vorgetragene Manuskripte verzichten werden. Hingegen ist davon auszugehen, dass diese Replikmöglichkeit eher von der deutschsprachigen Ratsmehrheit benützt wird, was eine unerwünschte Nebenwirkung dieser Massnahme wäre.</p><p>Im Gegenzug zur Ausweitung des Rederechts für "wichtige Debatten" schlägt der Postulant vor zu prüfen, inwiefern das schriftliche Verfahren häufiger angewendet, die Anzahl Rednerinnen und Redner bei Volksinitiativen eingeschränkt und die Berichterstattung auf eine Person reduziert werden könnte. Letzteres würde wohl wieder die deutschsprachigen Votantinnen und Votanten in den Vordergrund rücken, was wiederum neue Ungleichheiten schaffen würde. Die beiden anderen Vorschläge stehen im Widerspruch zu jüngeren Ratsbeschlüssen. So wurde 2013 mit der Revision des Parlamentsgesetzes und des Geschäftsreglements des Nationalrates (<a href="https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20100440">10.440</a>) das Rederecht explizit auch im schriftlichen Verfahren ausgeweitet (Art. 6 Abs. 4 ParlG bzw. Art. 46 GRN). Zudem hat sich das Büro deutlich zur Beibehaltung des freien Rederechts bei Volksinitiativen ausgesprochen mit der Begründung, dass die Volksinitiative in unserer Demokratie einen besonderen Stellenwert hat.</p><p>Das Büro begrüsst lebendige Debatten und anregende Auseinandersetzungen im Rat. Die vom Postulanten vorgeschlagenen Massnahmen erachtet es aber als nicht zielführend. Vielmehr appelliert das Büro an die Eigenverantwortung der Ratsmitglieder, ihre Voten so vorzubereiten und vorzutragen, dass sowohl dem inhaltlichen (korrekte und sachliche Argumentation) als auch dem Präsentationsaspekt (nachvollziehbare lebendige Argumentation) angemessen Rechnung getragen wird.</p>
    • <p>Das Büro wird eingeladen, einen Bericht darüber zu erstellen, wie das Geschäftsreglement des Nationalrates (GRN) so angepasst werden kann, dass mehr echte Debatten im Parlament möglich werden.</p>
    • Vom Simulations- zum Debattenparlament

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