Entsprechen die Weisungen des Seco und die Praxis der Arbeitslosenkassen betreffend die Insolvenzentschädigung wirklich dem geltenden Recht?

ShortId
17.3700
Id
20173700
Updated
28.07.2023 04:13
Language
de
Title
Entsprechen die Weisungen des Seco und die Praxis der Arbeitslosenkassen betreffend die Insolvenzentschädigung wirklich dem geltenden Recht?
AdditionalIndexing
2836;44
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Die Insolvenzentschädigung (IE) ist eine Leistung, die nicht bei Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmenden ausbezahlt wird, sondern wenn diese aufgrund der Insolvenz ihres Arbeitgebers ihren Lohn nicht mehr erhalten. Es handelt sich hierbei um ein atypisches Instrument der Arbeitslosenversicherung (ALV), das sich auf Artikel 110 der Bundesverfassung hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmenden stützt und das erlaubt, fällige Lohnforderungen effizient und zügig zu decken.</p><p>Der Gesetzgeber hat diesen Mechanismus eingeführt, damit die Arbeitnehmenden ihren finanziellen Verpflichtungen weiterhin nachkommen können. Da sie ihre Arbeitsleistung erbringen, bevor sie dafür entschädigt werden, sind sie im Insolvenzfall ihres Arbeitgebers besonders exponiert. Mit den - oft langwierigen - Betreibungsverfahren können diese Forderungen zudem nicht rasch gedeckt werden.</p><p>Gemäss dem Bundesgericht (BGer) behält der Arbeitsvertrag seine Gültigkeit, auch wenn die Arbeitnehmenden keine Arbeitsbewilligung in der Schweiz besitzen. Der Lohn für die geleistete Arbeit bleibt geschuldet. Sind Arbeitnehmende in der Schweiz erwerbstätig, sind sie nach dem Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) obligatorisch versichert. Das Fehlen einer Arbeitsbewilligung ändert daran nichts. Tritt ein Versicherungsfall ein, haben Arbeitnehmende auch ohne Arbeitsbewilligung Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen. Meldet der Arbeitgeber die Löhne nicht bei der AHV, kann die Ausgleichskasse die entsprechenden Beiträge bei ihm immer noch einfordern.</p><p>1. Es ist korrekt, dass im Arbeitslosenversicherungsgesetz (Avig) der Anspruch von schwarzarbeitenden Personen auf IE nicht explizit erwähnt wird. Dennoch besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, ihnen die Gewährung von IE zu verweigern. Sie haben Anspruch auf IE, sofern sie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sowie die im Gesetz abschliessend ausgeführten Pflichten erfüllen (obligatorische Beitragspflicht für die Sozialversicherungen unabhängig davon, ob die Beiträge effektiv bezahlt wurden; Bestehen einer Lohnforderung; Konkurs oder Pfändung; Pflicht zur Unterstützung der Arbeitslosenkasse bei ihrem Vorgehen). Die Weisungen des Seco stehen im Einklang mit dem Avig, da sie diese Grundsätze einhalten.</p><p>2. Es stimmt, dass Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) etwas irreführend ist, da er von den Arbeitnehmenden, die IE beantragen, die Vorlage des AHV-Ausweises und einer gültigen Arbeitsbewilligung verlangt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine im Avig verankerte IE-Anspruchsvoraussetzung, sodass, falls diese Dokumente nicht vorgelegt werden können, der Anspruch auf IE nur abgelehnt werden darf, wenn die obengenannten gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt sind. Vielmehr handelt es sich bei diesem Artikel der Verordnung um eine Ausführungsbestimmung, die es der Kasse ermöglichen soll, ihre Aufgaben zu erfüllen (Überweisung der AHV-Beiträge und Entrichtung der Quellensteuer). In jedem Fall kann Schwarzarbeit auch vorliegen, wenn eine arbeitnehmende Person aus der Schweiz oder aus dem Ausland über eine Niederlassungsbewilligung verfügt und diese vorweisen kann.</p><p>3. Die Auszahlung von IE an schwarzarbeitende Personen steht im Einklang mit dem Avig und der Rechtsprechung des BGer.</p><p>4. Die Arbeitslosenkassen verlangen die erforderlichen Unterlagen zusammen mit dem Formular "Antrag auf Insolvenzentschädigung". Können diese Unterlagen nicht vorgewiesen werden, ist dies kein Hinderungsgrund für die Auszahlung von IE, sofern die Lohnausstände ausreichend belegt sind. Liegt jedoch ein stichhaltiger Hinweis auf Schwarzarbeit vor, muss die Kasse dies den dafür zuständigen Behörden melden. In diesem Punkt wird das Seco die entsprechenden Weisungen präzisieren.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Die Artikel 51ff. des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) sehen vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines zahlungsunfähigen Arbeitgebers bei der Arbeitslosenkasse um eine Insolvenzentschädigung (IE) ersuchen können.</p><p>Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) legt fest, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine IE geltend machen, der Kasse ihren Versicherungsausweis der AHV sowie ihre Aufenthaltsbewilligung oder eine Wohnsitzbescheinigung der Gemeinde oder, wenn sie ausländischer Staatsangehörigkeit sind, den Ausländerausweis einreichen müssen.</p><p>Die Punkte B9 und B11 der Weisungen des Seco zur IE führen aus:</p><p>- Der Anspruch auf IE unterliegt keinen weiteren Bedingungen als der Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit.</p><p>- Nicht entscheidend ist, ob die Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich bezahlt worden sind oder ob die arbeitnehmende Person über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt.</p><p>- Schwarzarbeitende Personen haben einen Anspruch auf IE.</p><p>Gegenüber der Tageszeitung "24 heures" vom 26. August 2017 erklärte Jean-Claude Frésard, Präsident des Verbands der Arbeitslosenkassen, dass alle Arbeitslosenkassen der Schweiz dieselbe Praxis verfolgen und dass sie sich nach den Weisungen des Seco richten, die von den Arbeitslosenkassen nicht verlangen zu kontrollieren, ob die arbeitnehmende Person die Sozialversicherungsbeiträge wirklich bezahlt oder ob sie über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt. Im Falle von Schwarzarbeit, was eine Minderheit betrifft, müsse daher ebenfalls entschädigt werden.</p><p>In der Antwort auf die Interpellation 17.3293 bestätigt der Bundesrat, dass die Weisungen des Seco mit dem Avig im Einklang stehen.</p><p>1. Die Artikel 51ff. Avig sehen keine Auszahlungen von IE an schwarzarbeitende Personen vor. Wie kann der Bundesrat diesbezüglich bestätigen, dass die Weisungen des Seco, die Auszahlungen der IE an schwarzarbeitende Personen zulassen, dem Avig entsprechen?</p><p>2. Artikel 77 Aviv sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Anspruch auf eine IE erheben, der Kasse ihren Versicherungsausweis der AHV sowie ihre Aufenthaltsbewilligung einreichen müssen. Wie können demnach die Weisungen des Seco zulassen, dass schwarzarbeitenden Personen, die definitionsgemäss weder einen Versicherungsausweis der AHV noch eine Aufenthaltsbewilligung haben, die IE ausbezahlt wird?</p><p>3. Ist der Bundesrat der Meinung, dass die Praxis der Arbeitslosenkassen, die IE an schwarzarbeitende Personen auszubezahlen, im Einklang mit Artikel 77 Aviv steht?</p><p>4. Welche Massnahmen hat der Bundesrat ergriffen, um die Einhaltung von Artikel 77 Aviv in den Weisungen des Seco und in der Praxis der Arbeitslosenkassen sicherzustellen?</p>
  • Entsprechen die Weisungen des Seco und die Praxis der Arbeitslosenkassen betreffend die Insolvenzentschädigung wirklich dem geltenden Recht?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Insolvenzentschädigung (IE) ist eine Leistung, die nicht bei Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmenden ausbezahlt wird, sondern wenn diese aufgrund der Insolvenz ihres Arbeitgebers ihren Lohn nicht mehr erhalten. Es handelt sich hierbei um ein atypisches Instrument der Arbeitslosenversicherung (ALV), das sich auf Artikel 110 der Bundesverfassung hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmenden stützt und das erlaubt, fällige Lohnforderungen effizient und zügig zu decken.</p><p>Der Gesetzgeber hat diesen Mechanismus eingeführt, damit die Arbeitnehmenden ihren finanziellen Verpflichtungen weiterhin nachkommen können. Da sie ihre Arbeitsleistung erbringen, bevor sie dafür entschädigt werden, sind sie im Insolvenzfall ihres Arbeitgebers besonders exponiert. Mit den - oft langwierigen - Betreibungsverfahren können diese Forderungen zudem nicht rasch gedeckt werden.</p><p>Gemäss dem Bundesgericht (BGer) behält der Arbeitsvertrag seine Gültigkeit, auch wenn die Arbeitnehmenden keine Arbeitsbewilligung in der Schweiz besitzen. Der Lohn für die geleistete Arbeit bleibt geschuldet. Sind Arbeitnehmende in der Schweiz erwerbstätig, sind sie nach dem Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) obligatorisch versichert. Das Fehlen einer Arbeitsbewilligung ändert daran nichts. Tritt ein Versicherungsfall ein, haben Arbeitnehmende auch ohne Arbeitsbewilligung Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen. Meldet der Arbeitgeber die Löhne nicht bei der AHV, kann die Ausgleichskasse die entsprechenden Beiträge bei ihm immer noch einfordern.</p><p>1. Es ist korrekt, dass im Arbeitslosenversicherungsgesetz (Avig) der Anspruch von schwarzarbeitenden Personen auf IE nicht explizit erwähnt wird. Dennoch besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, ihnen die Gewährung von IE zu verweigern. Sie haben Anspruch auf IE, sofern sie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sowie die im Gesetz abschliessend ausgeführten Pflichten erfüllen (obligatorische Beitragspflicht für die Sozialversicherungen unabhängig davon, ob die Beiträge effektiv bezahlt wurden; Bestehen einer Lohnforderung; Konkurs oder Pfändung; Pflicht zur Unterstützung der Arbeitslosenkasse bei ihrem Vorgehen). Die Weisungen des Seco stehen im Einklang mit dem Avig, da sie diese Grundsätze einhalten.</p><p>2. Es stimmt, dass Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) etwas irreführend ist, da er von den Arbeitnehmenden, die IE beantragen, die Vorlage des AHV-Ausweises und einer gültigen Arbeitsbewilligung verlangt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine im Avig verankerte IE-Anspruchsvoraussetzung, sodass, falls diese Dokumente nicht vorgelegt werden können, der Anspruch auf IE nur abgelehnt werden darf, wenn die obengenannten gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt sind. Vielmehr handelt es sich bei diesem Artikel der Verordnung um eine Ausführungsbestimmung, die es der Kasse ermöglichen soll, ihre Aufgaben zu erfüllen (Überweisung der AHV-Beiträge und Entrichtung der Quellensteuer). In jedem Fall kann Schwarzarbeit auch vorliegen, wenn eine arbeitnehmende Person aus der Schweiz oder aus dem Ausland über eine Niederlassungsbewilligung verfügt und diese vorweisen kann.</p><p>3. Die Auszahlung von IE an schwarzarbeitende Personen steht im Einklang mit dem Avig und der Rechtsprechung des BGer.</p><p>4. Die Arbeitslosenkassen verlangen die erforderlichen Unterlagen zusammen mit dem Formular "Antrag auf Insolvenzentschädigung". Können diese Unterlagen nicht vorgewiesen werden, ist dies kein Hinderungsgrund für die Auszahlung von IE, sofern die Lohnausstände ausreichend belegt sind. Liegt jedoch ein stichhaltiger Hinweis auf Schwarzarbeit vor, muss die Kasse dies den dafür zuständigen Behörden melden. In diesem Punkt wird das Seco die entsprechenden Weisungen präzisieren.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Die Artikel 51ff. des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) sehen vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines zahlungsunfähigen Arbeitgebers bei der Arbeitslosenkasse um eine Insolvenzentschädigung (IE) ersuchen können.</p><p>Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) legt fest, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine IE geltend machen, der Kasse ihren Versicherungsausweis der AHV sowie ihre Aufenthaltsbewilligung oder eine Wohnsitzbescheinigung der Gemeinde oder, wenn sie ausländischer Staatsangehörigkeit sind, den Ausländerausweis einreichen müssen.</p><p>Die Punkte B9 und B11 der Weisungen des Seco zur IE führen aus:</p><p>- Der Anspruch auf IE unterliegt keinen weiteren Bedingungen als der Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit.</p><p>- Nicht entscheidend ist, ob die Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich bezahlt worden sind oder ob die arbeitnehmende Person über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt.</p><p>- Schwarzarbeitende Personen haben einen Anspruch auf IE.</p><p>Gegenüber der Tageszeitung "24 heures" vom 26. August 2017 erklärte Jean-Claude Frésard, Präsident des Verbands der Arbeitslosenkassen, dass alle Arbeitslosenkassen der Schweiz dieselbe Praxis verfolgen und dass sie sich nach den Weisungen des Seco richten, die von den Arbeitslosenkassen nicht verlangen zu kontrollieren, ob die arbeitnehmende Person die Sozialversicherungsbeiträge wirklich bezahlt oder ob sie über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt. Im Falle von Schwarzarbeit, was eine Minderheit betrifft, müsse daher ebenfalls entschädigt werden.</p><p>In der Antwort auf die Interpellation 17.3293 bestätigt der Bundesrat, dass die Weisungen des Seco mit dem Avig im Einklang stehen.</p><p>1. Die Artikel 51ff. Avig sehen keine Auszahlungen von IE an schwarzarbeitende Personen vor. Wie kann der Bundesrat diesbezüglich bestätigen, dass die Weisungen des Seco, die Auszahlungen der IE an schwarzarbeitende Personen zulassen, dem Avig entsprechen?</p><p>2. Artikel 77 Aviv sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Anspruch auf eine IE erheben, der Kasse ihren Versicherungsausweis der AHV sowie ihre Aufenthaltsbewilligung einreichen müssen. Wie können demnach die Weisungen des Seco zulassen, dass schwarzarbeitenden Personen, die definitionsgemäss weder einen Versicherungsausweis der AHV noch eine Aufenthaltsbewilligung haben, die IE ausbezahlt wird?</p><p>3. Ist der Bundesrat der Meinung, dass die Praxis der Arbeitslosenkassen, die IE an schwarzarbeitende Personen auszubezahlen, im Einklang mit Artikel 77 Aviv steht?</p><p>4. Welche Massnahmen hat der Bundesrat ergriffen, um die Einhaltung von Artikel 77 Aviv in den Weisungen des Seco und in der Praxis der Arbeitslosenkassen sicherzustellen?</p>
    • Entsprechen die Weisungen des Seco und die Praxis der Arbeitslosenkassen betreffend die Insolvenzentschädigung wirklich dem geltenden Recht?

Back to List