Für eine wirksame Anwendung von Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung durch das Seco und die Arbeitslosenkassen

ShortId
17.3701
Id
20173701
Updated
28.07.2023 04:15
Language
de
Title
Für eine wirksame Anwendung von Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung durch das Seco und die Arbeitslosenkassen
AdditionalIndexing
2836;44
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Die Artikel 51ff. des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) sehen vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines zahlungsunfähigen Arbeitgebers bei der Arbeitslosenkasse um eine Insolvenzentschädigung (IE) ersuchen können.</p><p>Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) legt fest, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine IE geltend machen, der Kasse ihren Versicherungsausweis der AHV sowie ihre Aufenthaltsbewilligung oder eine Wohnsitzbescheinigung der Gemeinde oder, wenn sie ausländischer Staatsangehörigkeit sind, den Ausländerausweis einreichen müssen.</p><p>Die Punkte B9 und B11 der Weisungen des Seco zur IE führen aus:</p><p>1. Der Anspruch auf IE unterliegt keinen weiteren Bedingungen als der Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit.</p><p>2. Nicht entscheidend ist, ob die Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich bezahlt worden sind oder ob die arbeitnehmende Person über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt.</p><p>3. Schwarzarbeitende Personen haben einen Anspruch auf IE.</p><p>Gegenüber der Tageszeitung "24 heures" vom 26. August 2017 erklärte Jean-Claude Frésard, Präsident des Verbands der Arbeitslosenkassen, dass alle Arbeitslosenkassen der Schweiz dieselbe Praxis verfolgen und dass sie sich nach den Weisungen des Seco richten, die von den Arbeitslosenkassen nicht verlangen zu kontrollieren, ob die arbeitnehmende Person die Sozialversicherungsbeiträge wirklich bezahlt oder ob sie über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt. Im Falle von Schwarzarbeit, was eine Minderheit betrifft, müsse daher ebenfalls entschädigt werden.</p><p>Aus den obengenannten Darstellungen geht hervor, dass Artikel 77 Aviv weder vom Seco in seinen Weisungen noch von den Arbeitslosenkassen in ihrer Praxis angewendet wird. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Schwarzarbeit, welche gemäss der Antwort des Bundesrates auf die Interpellation 17.3293 eine politische Priorität ist, nicht annehmbar. Dieser Umstand muss daher geändert werden.</p>
  • <p>Die Insolvenzentschädigung (IE) ist eine Leistung, die nicht bei Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmenden ausbezahlt wird, sondern wenn diese aufgrund der Insolvenz ihres Arbeitgebers den Lohn für bereits geleistete Arbeit nicht erhalten.</p><p>Es handelt sich hierbei um ein atypisches Instrument der Arbeitslosenversicherung (ALV), das sich auf Artikel 110 der Bundesverfassung hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmenden stützt und das erlaubt, fällige Lohnforderungen effizient und zügig zu decken. Der Gesetzgeber hat diesen Mechanismus eingeführt, damit die Arbeitnehmenden ihren finanziellen Verpflichtungen weiterhin nachkommen können. Da sie ihre Arbeitsleistung erbringen, bevor sie dafür entschädigt werden, sind sie im Insolvenzfall ihres Arbeitgebers besonders exponiert. Mit den - oft langwierigen - Betreibungsverfahren können diese Forderungen zudem nicht rasch gedeckt werden.</p><p>Gemäss dem Bundesgericht (BGer) behält der Arbeitsvertrag seine Gültigkeit, auch wenn die Arbeitnehmenden keine Arbeitsbewilligung in der Schweiz besitzen. Der Lohn für die geleistete Arbeit bleibt geschuldet. Sind Arbeitnehmende in der Schweiz erwerbstätig, sind sie nach dem Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) obligatorisch versichert. Das Fehlen einer Arbeitsbewilligung ändert daran nichts. Tritt ein Versicherungsfall ein, haben Arbeitnehmende auch ohne Arbeitsbewilligung Anspruch auf die Sozialversicherungsleistungen. Meldet der Arbeitgeber die Löhne nicht bei der AHV, kann die Ausgleichskasse die entsprechenden Beiträge bei ihm immer noch einfordern.</p><p>Schwarzarbeitende Personen haben Anspruch auf IE, sofern sie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sowie die im Gesetz verankerten Pflichten erfüllen (obligatorische Beitragspflicht für die Sozialversicherungen unabhängig davon, ob die Beiträge effektiv bezahlt wurden; Bestehen einer Lohnforderung; Konkurs oder Pfändung; Pflicht zur Unterstützung der Arbeitslosenkasse bei ihrem Vorgehen).</p><p>Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) wird von den Arbeitslosenkassen angewendet. Sie verlangen die AHV-Nummer und die Aufenthaltsbewilligung zusammen mit dem Formular "Antrag auf Insolvenzentschädigung". Können diese Unterlagen von der arbeitnehmenden Person nicht vorgewiesen werden, ist dies kein Hinderungsgrund für die Auszahlung von IE, sofern die Lohnausstände ausreichend belegt sind. Denn das Vorliegen dieser Dokumente ist keine im Gesetz vorgesehene Anspruchsvoraussetzung für IE. Diese Verordnungsbestimmung dient vielmehr dazu, dass die Kassen ihre Aufgaben erfüllen können (Überweisung der AHV-Beiträge und Entrichtung der Quellensteuer). Liegt jedoch ein stichhaltiger Hinweis auf Schwarzarbeit vor, müssen die Kassen dies den dafür zuständigen Behörden melden. In diesem Punkt wird das Seco die entsprechenden Weisungen präzisieren.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, die Massnahmen zu treffen, die notwendig sind, damit Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung, der die Insolvenzentschädigung regelt, in den Weisungen des Seco und in der Praxis der Arbeitslosenkassen umgesetzt wird.</p>
  • Für eine wirksame Anwendung von Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung durch das Seco und die Arbeitslosenkassen
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Artikel 51ff. des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) sehen vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines zahlungsunfähigen Arbeitgebers bei der Arbeitslosenkasse um eine Insolvenzentschädigung (IE) ersuchen können.</p><p>Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) legt fest, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine IE geltend machen, der Kasse ihren Versicherungsausweis der AHV sowie ihre Aufenthaltsbewilligung oder eine Wohnsitzbescheinigung der Gemeinde oder, wenn sie ausländischer Staatsangehörigkeit sind, den Ausländerausweis einreichen müssen.</p><p>Die Punkte B9 und B11 der Weisungen des Seco zur IE führen aus:</p><p>1. Der Anspruch auf IE unterliegt keinen weiteren Bedingungen als der Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit.</p><p>2. Nicht entscheidend ist, ob die Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich bezahlt worden sind oder ob die arbeitnehmende Person über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt.</p><p>3. Schwarzarbeitende Personen haben einen Anspruch auf IE.</p><p>Gegenüber der Tageszeitung "24 heures" vom 26. August 2017 erklärte Jean-Claude Frésard, Präsident des Verbands der Arbeitslosenkassen, dass alle Arbeitslosenkassen der Schweiz dieselbe Praxis verfolgen und dass sie sich nach den Weisungen des Seco richten, die von den Arbeitslosenkassen nicht verlangen zu kontrollieren, ob die arbeitnehmende Person die Sozialversicherungsbeiträge wirklich bezahlt oder ob sie über eine gültige Arbeitsbewilligung verfügt. Im Falle von Schwarzarbeit, was eine Minderheit betrifft, müsse daher ebenfalls entschädigt werden.</p><p>Aus den obengenannten Darstellungen geht hervor, dass Artikel 77 Aviv weder vom Seco in seinen Weisungen noch von den Arbeitslosenkassen in ihrer Praxis angewendet wird. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Schwarzarbeit, welche gemäss der Antwort des Bundesrates auf die Interpellation 17.3293 eine politische Priorität ist, nicht annehmbar. Dieser Umstand muss daher geändert werden.</p>
    • <p>Die Insolvenzentschädigung (IE) ist eine Leistung, die nicht bei Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmenden ausbezahlt wird, sondern wenn diese aufgrund der Insolvenz ihres Arbeitgebers den Lohn für bereits geleistete Arbeit nicht erhalten.</p><p>Es handelt sich hierbei um ein atypisches Instrument der Arbeitslosenversicherung (ALV), das sich auf Artikel 110 der Bundesverfassung hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmenden stützt und das erlaubt, fällige Lohnforderungen effizient und zügig zu decken. Der Gesetzgeber hat diesen Mechanismus eingeführt, damit die Arbeitnehmenden ihren finanziellen Verpflichtungen weiterhin nachkommen können. Da sie ihre Arbeitsleistung erbringen, bevor sie dafür entschädigt werden, sind sie im Insolvenzfall ihres Arbeitgebers besonders exponiert. Mit den - oft langwierigen - Betreibungsverfahren können diese Forderungen zudem nicht rasch gedeckt werden.</p><p>Gemäss dem Bundesgericht (BGer) behält der Arbeitsvertrag seine Gültigkeit, auch wenn die Arbeitnehmenden keine Arbeitsbewilligung in der Schweiz besitzen. Der Lohn für die geleistete Arbeit bleibt geschuldet. Sind Arbeitnehmende in der Schweiz erwerbstätig, sind sie nach dem Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) obligatorisch versichert. Das Fehlen einer Arbeitsbewilligung ändert daran nichts. Tritt ein Versicherungsfall ein, haben Arbeitnehmende auch ohne Arbeitsbewilligung Anspruch auf die Sozialversicherungsleistungen. Meldet der Arbeitgeber die Löhne nicht bei der AHV, kann die Ausgleichskasse die entsprechenden Beiträge bei ihm immer noch einfordern.</p><p>Schwarzarbeitende Personen haben Anspruch auf IE, sofern sie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sowie die im Gesetz verankerten Pflichten erfüllen (obligatorische Beitragspflicht für die Sozialversicherungen unabhängig davon, ob die Beiträge effektiv bezahlt wurden; Bestehen einer Lohnforderung; Konkurs oder Pfändung; Pflicht zur Unterstützung der Arbeitslosenkasse bei ihrem Vorgehen).</p><p>Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung (Aviv) wird von den Arbeitslosenkassen angewendet. Sie verlangen die AHV-Nummer und die Aufenthaltsbewilligung zusammen mit dem Formular "Antrag auf Insolvenzentschädigung". Können diese Unterlagen von der arbeitnehmenden Person nicht vorgewiesen werden, ist dies kein Hinderungsgrund für die Auszahlung von IE, sofern die Lohnausstände ausreichend belegt sind. Denn das Vorliegen dieser Dokumente ist keine im Gesetz vorgesehene Anspruchsvoraussetzung für IE. Diese Verordnungsbestimmung dient vielmehr dazu, dass die Kassen ihre Aufgaben erfüllen können (Überweisung der AHV-Beiträge und Entrichtung der Quellensteuer). Liegt jedoch ein stichhaltiger Hinweis auf Schwarzarbeit vor, müssen die Kassen dies den dafür zuständigen Behörden melden. In diesem Punkt wird das Seco die entsprechenden Weisungen präzisieren.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, die Massnahmen zu treffen, die notwendig sind, damit Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung, der die Insolvenzentschädigung regelt, in den Weisungen des Seco und in der Praxis der Arbeitslosenkassen umgesetzt wird.</p>
    • Für eine wirksame Anwendung von Artikel 77 der Arbeitslosenversicherungsverordnung durch das Seco und die Arbeitslosenkassen

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