Berufsbildung soll Teilhabe ermöglichen, und das Potenzial von Menschen mit Beeinträchtigung muss anerkannt und beachtet werden

ShortId
18.3684
Id
20183684
Updated
28.07.2023 03:31
Language
de
Title
Berufsbildung soll Teilhabe ermöglichen, und das Potenzial von Menschen mit Beeinträchtigung muss anerkannt und beachtet werden
AdditionalIndexing
28;32;44
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Die Schweiz hat das Übereinkommen der Uno über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Uno-BRK) im Jahr 2014 ratifiziert. Der Bund hat seither keine Bemühungen unternommen, die Chancen von Menschen mit schwereren Behinderungen auf berufliche Grundbildung wesentlich zu verbessern. Gemäss Artikel 24 Uno-BRK ist die Schweiz verpflichtet, ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten, das unter anderem zum Ziel hat, Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen und Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen. Menschen mit Behinderungen haben gemäss BBG ein Anrecht auf Unterstützung in der beruflichen Grundbildung, und gemäss IVG besteht für sie die Möglichkeit einer "Vorbereitung auf eine Hilfsarbeit oder auf die Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte". Diese Ausbildungsgänge sind der erstmaligen beruflichen Ausbildung gleichgestellt, allerdings sind sie auf eine spezifische berufliche Tätigkeit ausgerichtet; dies im Unterschied zur beruflichen Grundbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBG), die "die Fähigkeit und die Bereitschaft vermittelt, beruflich flexibel zu sein und in der Arbeitswelt zu bestehen". Mit der Praxis, solche Ausbildungen nur zu finanzieren, wenn eine Anschlusslösung garantiert ist, schränkt die Invalidenversicherung die beruflichen Möglichkeiten von Jugendlichen mit stärkeren Beeinträchtigungen gravierend ein. Eine zukunftsorientierte Berufsbildung sieht anders aus: Sie eröffnet berufliche Perspektiven und bereitet auf eine sich verändernde Arbeitswelt vor. Darauf sollen alle Menschen Anrecht haben. In seinem Bericht zur nationalen Behindertenpolitik vom 9. Mai 2018 sagt der Bundesrat selber, dass der Fokus auf die Behinderung verhindere, "dass das Potential von Menschen mit Behinderungen erkannt und berücksichtigt wird ..."</p>
  • <p>Der Bundesrat teilt das Anliegen des Motionärs, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Möglichkeit haben sollen, eine ihrem Potenzial entsprechende berufliche Grundbildung absolvieren zu können. Er ist jedoch der Meinung, dass das schweizerische Berufsbildungssystem unter Berücksichtigung von Artikel 16 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) bereits heute adäquate Ausbildungsmöglichkeiten und gesellschaftliche Teilhabe für schwerer beeinträchtigte Jugendliche ermöglicht. Ein genereller Anspruch Jugendlicher auf eine berufliche Grundbildung besteht jedoch nicht. Die Forderung, allen stärker beeinträchtigten Jugendlichen einen Anspruch auf eine von der Invalidenversicherung (IV) finanzierte Berufsausbildung zuzugestehen, geht zu weit und ist weder gesellschaftspolitisch (Gleichstellung) noch wirtschaftlich vertretbar.</p><p>Gemäss Artikel 16 Absatz 1 IVG muss eine erstmalige berufliche Ausbildung den Fähigkeiten der versicherten Person und damit deren Potenzial entsprechen. Dies gilt auch für niederschwellige erstmalige Ausbildungen, die auf eine Hilfsarbeit oder auf eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte vorbereiten (Art. 16 Abs. 2 Bst. a IVG). Diese Ausbildungen sind gerade deshalb auf eine spezifische Tätigkeit hin ausgerichtet, weil stärker beeinträchtigte Personen oft über eine geringere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verfügen. Für die Zusprache einer solchen Massnahme ist eine garantierte Anschlusslösung nicht erforderlich. Die Ausbildung muss jedoch prognostisch ein gewisses Mass an Eingliederungswirksamkeit aufweisen. So muss die Ausbildung unter anderem zu einem ausreichend wirtschaftlich verwertbaren Einkommen führen. Bei niederschwelligen Ausbildungen bedeutet dies konkret, dass die versicherte Person gemäss Rechtsprechung nach Abschluss der Ausbildung mindestens einen Stundenlohn von Fr. 2.55 erzielen kann. Dieser Stundenlohn entspricht für beschränkt arbeitsfähige Versicherte dem Mindestbetrag, um im AHV-rechtlichen Sinne als erwerbstätig zu gelten.</p><p>Die IV erfüllt die im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (SR 0.109) vorgesehenen Verpflichtungen bereits. Zusätzlich verbessern die im Rahmen der Weiterentwicklung der IV geplanten Massnahmen die Eingliederungschancen der Versicherten. In besonderem Mass gilt dies für Jugendliche und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, vor allem beim Übergang I (zwischen Schule und beruflicher Ausbildung) und beim Übergang II (zwischen beruflicher Ausbildung und Arbeitsmarkt). So sind Massnahmen in Form von Beratung und Begleitung vor, während und nach einer erstmaligen beruflichen Ausbildung, die Möglichkeit, eine berufliche Massnahme zu wiederholen, eine verstärkte Ausrichtung der erstmaligen beruflichen Ausbildung auf den ersten Arbeitsmarkt und die Mitfinanzierung kantonaler Brückenangebote sowie des Case Management Berufsbildung auf Kantonsebene vorgesehen.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, die gesetzlichen Vorgaben zur erstmaligen beruflichen Ausbildung dahingehend zu ändern, dass auch Jugendliche mit stärkeren Beeinträchtigungen Anrecht auf eine berufliche Ausbildung haben, die ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringt und sie zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft befähigt.</p>
  • Berufsbildung soll Teilhabe ermöglichen, und das Potenzial von Menschen mit Beeinträchtigung muss anerkannt und beachtet werden
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Schweiz hat das Übereinkommen der Uno über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Uno-BRK) im Jahr 2014 ratifiziert. Der Bund hat seither keine Bemühungen unternommen, die Chancen von Menschen mit schwereren Behinderungen auf berufliche Grundbildung wesentlich zu verbessern. Gemäss Artikel 24 Uno-BRK ist die Schweiz verpflichtet, ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten, das unter anderem zum Ziel hat, Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen und Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen. Menschen mit Behinderungen haben gemäss BBG ein Anrecht auf Unterstützung in der beruflichen Grundbildung, und gemäss IVG besteht für sie die Möglichkeit einer "Vorbereitung auf eine Hilfsarbeit oder auf die Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte". Diese Ausbildungsgänge sind der erstmaligen beruflichen Ausbildung gleichgestellt, allerdings sind sie auf eine spezifische berufliche Tätigkeit ausgerichtet; dies im Unterschied zur beruflichen Grundbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBG), die "die Fähigkeit und die Bereitschaft vermittelt, beruflich flexibel zu sein und in der Arbeitswelt zu bestehen". Mit der Praxis, solche Ausbildungen nur zu finanzieren, wenn eine Anschlusslösung garantiert ist, schränkt die Invalidenversicherung die beruflichen Möglichkeiten von Jugendlichen mit stärkeren Beeinträchtigungen gravierend ein. Eine zukunftsorientierte Berufsbildung sieht anders aus: Sie eröffnet berufliche Perspektiven und bereitet auf eine sich verändernde Arbeitswelt vor. Darauf sollen alle Menschen Anrecht haben. In seinem Bericht zur nationalen Behindertenpolitik vom 9. Mai 2018 sagt der Bundesrat selber, dass der Fokus auf die Behinderung verhindere, "dass das Potential von Menschen mit Behinderungen erkannt und berücksichtigt wird ..."</p>
    • <p>Der Bundesrat teilt das Anliegen des Motionärs, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Möglichkeit haben sollen, eine ihrem Potenzial entsprechende berufliche Grundbildung absolvieren zu können. Er ist jedoch der Meinung, dass das schweizerische Berufsbildungssystem unter Berücksichtigung von Artikel 16 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) bereits heute adäquate Ausbildungsmöglichkeiten und gesellschaftliche Teilhabe für schwerer beeinträchtigte Jugendliche ermöglicht. Ein genereller Anspruch Jugendlicher auf eine berufliche Grundbildung besteht jedoch nicht. Die Forderung, allen stärker beeinträchtigten Jugendlichen einen Anspruch auf eine von der Invalidenversicherung (IV) finanzierte Berufsausbildung zuzugestehen, geht zu weit und ist weder gesellschaftspolitisch (Gleichstellung) noch wirtschaftlich vertretbar.</p><p>Gemäss Artikel 16 Absatz 1 IVG muss eine erstmalige berufliche Ausbildung den Fähigkeiten der versicherten Person und damit deren Potenzial entsprechen. Dies gilt auch für niederschwellige erstmalige Ausbildungen, die auf eine Hilfsarbeit oder auf eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte vorbereiten (Art. 16 Abs. 2 Bst. a IVG). Diese Ausbildungen sind gerade deshalb auf eine spezifische Tätigkeit hin ausgerichtet, weil stärker beeinträchtigte Personen oft über eine geringere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verfügen. Für die Zusprache einer solchen Massnahme ist eine garantierte Anschlusslösung nicht erforderlich. Die Ausbildung muss jedoch prognostisch ein gewisses Mass an Eingliederungswirksamkeit aufweisen. So muss die Ausbildung unter anderem zu einem ausreichend wirtschaftlich verwertbaren Einkommen führen. Bei niederschwelligen Ausbildungen bedeutet dies konkret, dass die versicherte Person gemäss Rechtsprechung nach Abschluss der Ausbildung mindestens einen Stundenlohn von Fr. 2.55 erzielen kann. Dieser Stundenlohn entspricht für beschränkt arbeitsfähige Versicherte dem Mindestbetrag, um im AHV-rechtlichen Sinne als erwerbstätig zu gelten.</p><p>Die IV erfüllt die im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (SR 0.109) vorgesehenen Verpflichtungen bereits. Zusätzlich verbessern die im Rahmen der Weiterentwicklung der IV geplanten Massnahmen die Eingliederungschancen der Versicherten. In besonderem Mass gilt dies für Jugendliche und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, vor allem beim Übergang I (zwischen Schule und beruflicher Ausbildung) und beim Übergang II (zwischen beruflicher Ausbildung und Arbeitsmarkt). So sind Massnahmen in Form von Beratung und Begleitung vor, während und nach einer erstmaligen beruflichen Ausbildung, die Möglichkeit, eine berufliche Massnahme zu wiederholen, eine verstärkte Ausrichtung der erstmaligen beruflichen Ausbildung auf den ersten Arbeitsmarkt und die Mitfinanzierung kantonaler Brückenangebote sowie des Case Management Berufsbildung auf Kantonsebene vorgesehen.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, die gesetzlichen Vorgaben zur erstmaligen beruflichen Ausbildung dahingehend zu ändern, dass auch Jugendliche mit stärkeren Beeinträchtigungen Anrecht auf eine berufliche Ausbildung haben, die ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringt und sie zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft befähigt.</p>
    • Berufsbildung soll Teilhabe ermöglichen, und das Potenzial von Menschen mit Beeinträchtigung muss anerkannt und beachtet werden

Back to List