Wann hat der Heimatschein ausgedient?

ShortId
18.3818
Id
20183818
Updated
28.07.2023 03:22
Language
de
Title
Wann hat der Heimatschein ausgedient?
AdditionalIndexing
04;34;2446
1
PriorityCouncil1
Ständerat
Texts
  • <p>"Von der Wiege bis zur Bahre schreibt der Schweizer Formulare" - diese sprichwörtliche Bürokratiekritik trifft kaum irgendwo so treffend zu wie beim Heimatschein, der einen tatsächlich lebenslang verfolgt.</p><p>In Zeiten des E-Governments ist es aber schwer nachvollziehbar, dass Bürgerinnen und Bürger für diverse Amtsgeschäfte nach wie vor gezwungen sind, von ihrer Heimatgemeinde einen physischen Heimatschein ausstellen zu lassen und diesen dem Zivilstandsamt ihres Wohnsitzes vorzulegen. Die moderne Informatik sollte einen solch mühseligen und kostenpflichtigen Papierkrieg überflüssig machen.</p><p>Seit dem 1. Juli 2004 gibt es von Bundesrechts wegen keine Vorgabe mehr für den Heimatschein. Die meisten Kantone bzw. Gemeinden verlangen aber noch regelmässig einen solchen. Eine solche administrative Einschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV) bedarf nebst einer (kantonalen) gesetzlichen Grundlage auch eines öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit (Art. 36 BV).</p><p>Mit der ZGB-Revision vom 15. Dezember 2017 hat das Parlament in Artikel 43a Absatz 4 Ziffer 6 nZGB eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen, die es den kantonalen und kommunalen Einwohnerdiensten erlaubt, in Infostar mittels eines Abrufverfahrens auf Daten zuzugreifen, die für die Überprüfung der Identität einer Person notwendig sind. Der Heimatschein selber dient auch einzig als Datenbasis zur Erfassung der Personalien für die amtliche Registerführung und nicht etwa als Identitätsausweis. Sobald also ein Gemeinwesen in der Lage ist, die notwendigen Daten auf elektronische Weise mittels Infostar einzusehen, entfällt jeder Grund, hierfür einen physischen Nachweis von den Bürgerinnen und Bürgern zu verlangen; dies sowohl unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung von Grundrechten als auch unter dem Gesichtspunkt der effizienten Verwaltungsführung und der Bürgerfreundlichkeit - der "Once only"-Grundsatz verlangt, dass Bürger und Unternehmen bestimmte Standardinformationen den Behörden nur einmal mitteilen müssen.</p>
  • <p>1. Die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 24 der Bundesverfassung (BV; SR 101) betrifft primär die melderechtliche Niederlassung. Sie verpflichtet die Gemeinden und Kantone, Schweizerinnen und Schweizern zu erlauben, sich auf ihrem Gebiet aufzuhalten oder niederzulassen. Die Behörden des Ortes müssen folglich eine Anmeldung entgegennehmen und die Person in die Register aufnehmen. Umgekehrt besteht für Personen, die sich an einem Ort niederlassen wollen, die Pflicht, sich bei der zuständigen Behörde anzumelden und die diesbezüglichen Formalitäten zu erfüllen. Die Kantone können dabei festlegen, welche Anwesenheitsverhältnisse meldepflichtig sind und welche administrativen Unterlagen eine Person bei ihrer Anmeldung auf einer Gemeinde vorlegen muss. Somit bestimmt das kantonale Recht, ob ein Heimatschein vorzulegen ist oder nicht.</p><p>Mit dem neuen Artikel 43a Absatz 4 Ziffer 6 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210; BBl 2017 7899), der voraussichtlich auf den 1. Januar 2019 in Kraft treten wird, wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die Kantone für die Einwohnerdienste technisch einen elektronischen Zugriff im Abrufverfahren auf das Informatisierte Personenstandsregister (Infostar) einrichten können. Sollten die Kantone von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so ist bei der polizeilichen Anmeldung auf einer Gemeinde der Nachweis des Schweizer Bürgerrechts in Form eines papiernen Heimatscheins nicht mehr erforderlich, da die Einwohnerdienste die für die Registrierung notwendigen Personalien direkt in Infostar abfragen können. Der Bundesrat geht deshalb davon aus, dass in diesen Kantonen das Erfordernis der Vorlage eines Heimatscheins in Form eines physischen Dokuments gemäss Artikel 36 BV keinem öffentlichen Interesse mehr entsprechen und mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht länger in Einklang stehen dürfte.</p><p>2. Die Gebühr des Zivilstandsamtes für die Erstellung eines Heimatscheins beträgt 30 Franken, plus Portoauslagen (Anhang I Ziff. 1.1 der Verordnung vom 27. Oktober 1999 über die Gebühren im Zivilstandswesen, ZStGV, SR 172.042.110; Art. 7 Abs. 1 Bst. a ZStGV). Seit Einführung von Infostar im Jahr 2004 wurden bis 2017 im Durchschnitt 175 000 Heimatscheine pro Jahr erstellt. Dies ergibt ein Gebührenvolumen von durchschnittlich 5,25 Millionen Franken jährlich, zuzüglich Portoauslagen.</p><p>3. Der Bundesrat rechnet heute damit, dass das Abrufverfahren für Einwohnerdienste ab 2024 an die Hand genommen werden kann. Diese Vorlaufzeit hat zwei Gründe: Erstens sieht die aktuelle Anwendung Infostar die Umsetzung einer elektronischen Abrufschnittstelle für die Einwohnerdienste nicht vor. Zweitens wird Infostar zurzeit neu gebaut ("Infostar New Generation"). Die neue Lösung soll per Mitte 2023 produktiv sein. Aus Ressourcengründen werden, wie bei der Überholung von Grosssystemen üblich, Anpassungen und Ausbauten am bestehenden System auf das Notwendigste beschränkt (System Freeze).</p><p>Zusätzlich zur Umsetzung der technischen Lösung müssen die Kantone und Gemeinden ihre rechtlichen Grundlagen hinsichtlich eines elektronischen Abrufverfahrens prüfen und allenfalls anpassen (siehe Antwort auf Frage 1). Dies wird entsprechend Zeit in Anspruch nehmen.</p><p>4. Gemäss neuem Artikel 45a Absatz 6 ZGB (BBl 2017 7899), der voraussichtlich ebenfalls auf den 1. Januar 2019 in Kraft treten wird, kann der Bund die Kosten für den laufenden Betrieb, die laufende Weiterentwicklung wie auch für einen Neubau von Infostar den Einwohnerdiensten in Rechnung stellen, soweit diese Kosten die Funktionalitäten zugunsten der Einwohnerdienste betreffen.</p><p>Im heutigen Zeitpunkt existiert noch kein Gebührenmodell. Denkbar sind eine Gebühr für jeden individuellen Abruf in Infostar oder generelle "Schnittstellenabonnemente" für Kantone und Gemeinden. Ausgeschlossen ist jedenfalls, dass mit der neuen Gebühr die ganze heutige Gebühr von 30 Franken pro papiernen Heimatschein kompensiert werden soll (so ausdrücklich die Botschaft des Bundesrates zur Änderung des ZGB, BBl 2014 3551, 3567, Abs. 3).</p><p>5. Der Bund hat im Personenmeldewesen keine Kompetenz. Es fehlen schweizweite harmonisierte Regeln, welche über den eingeschränkten Anwendungsbereich des Registerharmonisierungsgesetzes (RHG; SR 431.02) hinausgehen. Dies erschwert teilweise die Umsetzung neuer, flächendeckender Lösungen und führt zu hohem Koordinations- und Standardisierungsaufwand zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Der Bundesrat wird eingeladen, folgende Fragen zu beantworten:</p><p>1. Teilt er die Einschätzung, dass mit der Umsetzung des bevorstehenden elektronischen Abrufverfahrens für Zivilstandsbehörden in Infostar (vgl. Art. 43a Abs. 4 Ziff. 6 nZGB) kantonale und kommunale Regeln, die weiterhin einen physischen Heimatschein verlangen, bundesrechtswidrig sein werden?</p><p>2. Wie viele Gebühren erheben die Behörden jährlich im Durchschnitt durch die Ausstellung des Heimatscheins?</p><p>3. Wann wird das elektronische Abrufverfahren schweizweit eingeführt sein?</p><p>4. Welche Gebührenregelung ist für das Abrufverfahren geplant?</p><p>5. Behindert die heutige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen ein effizientes und bürgernahes E-Government im Bereich Personenmeldewesen?</p>
  • Wann hat der Heimatschein ausgedient?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>"Von der Wiege bis zur Bahre schreibt der Schweizer Formulare" - diese sprichwörtliche Bürokratiekritik trifft kaum irgendwo so treffend zu wie beim Heimatschein, der einen tatsächlich lebenslang verfolgt.</p><p>In Zeiten des E-Governments ist es aber schwer nachvollziehbar, dass Bürgerinnen und Bürger für diverse Amtsgeschäfte nach wie vor gezwungen sind, von ihrer Heimatgemeinde einen physischen Heimatschein ausstellen zu lassen und diesen dem Zivilstandsamt ihres Wohnsitzes vorzulegen. Die moderne Informatik sollte einen solch mühseligen und kostenpflichtigen Papierkrieg überflüssig machen.</p><p>Seit dem 1. Juli 2004 gibt es von Bundesrechts wegen keine Vorgabe mehr für den Heimatschein. Die meisten Kantone bzw. Gemeinden verlangen aber noch regelmässig einen solchen. Eine solche administrative Einschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV) bedarf nebst einer (kantonalen) gesetzlichen Grundlage auch eines öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit (Art. 36 BV).</p><p>Mit der ZGB-Revision vom 15. Dezember 2017 hat das Parlament in Artikel 43a Absatz 4 Ziffer 6 nZGB eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen, die es den kantonalen und kommunalen Einwohnerdiensten erlaubt, in Infostar mittels eines Abrufverfahrens auf Daten zuzugreifen, die für die Überprüfung der Identität einer Person notwendig sind. Der Heimatschein selber dient auch einzig als Datenbasis zur Erfassung der Personalien für die amtliche Registerführung und nicht etwa als Identitätsausweis. Sobald also ein Gemeinwesen in der Lage ist, die notwendigen Daten auf elektronische Weise mittels Infostar einzusehen, entfällt jeder Grund, hierfür einen physischen Nachweis von den Bürgerinnen und Bürgern zu verlangen; dies sowohl unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung von Grundrechten als auch unter dem Gesichtspunkt der effizienten Verwaltungsführung und der Bürgerfreundlichkeit - der "Once only"-Grundsatz verlangt, dass Bürger und Unternehmen bestimmte Standardinformationen den Behörden nur einmal mitteilen müssen.</p>
    • <p>1. Die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 24 der Bundesverfassung (BV; SR 101) betrifft primär die melderechtliche Niederlassung. Sie verpflichtet die Gemeinden und Kantone, Schweizerinnen und Schweizern zu erlauben, sich auf ihrem Gebiet aufzuhalten oder niederzulassen. Die Behörden des Ortes müssen folglich eine Anmeldung entgegennehmen und die Person in die Register aufnehmen. Umgekehrt besteht für Personen, die sich an einem Ort niederlassen wollen, die Pflicht, sich bei der zuständigen Behörde anzumelden und die diesbezüglichen Formalitäten zu erfüllen. Die Kantone können dabei festlegen, welche Anwesenheitsverhältnisse meldepflichtig sind und welche administrativen Unterlagen eine Person bei ihrer Anmeldung auf einer Gemeinde vorlegen muss. Somit bestimmt das kantonale Recht, ob ein Heimatschein vorzulegen ist oder nicht.</p><p>Mit dem neuen Artikel 43a Absatz 4 Ziffer 6 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210; BBl 2017 7899), der voraussichtlich auf den 1. Januar 2019 in Kraft treten wird, wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die Kantone für die Einwohnerdienste technisch einen elektronischen Zugriff im Abrufverfahren auf das Informatisierte Personenstandsregister (Infostar) einrichten können. Sollten die Kantone von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so ist bei der polizeilichen Anmeldung auf einer Gemeinde der Nachweis des Schweizer Bürgerrechts in Form eines papiernen Heimatscheins nicht mehr erforderlich, da die Einwohnerdienste die für die Registrierung notwendigen Personalien direkt in Infostar abfragen können. Der Bundesrat geht deshalb davon aus, dass in diesen Kantonen das Erfordernis der Vorlage eines Heimatscheins in Form eines physischen Dokuments gemäss Artikel 36 BV keinem öffentlichen Interesse mehr entsprechen und mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht länger in Einklang stehen dürfte.</p><p>2. Die Gebühr des Zivilstandsamtes für die Erstellung eines Heimatscheins beträgt 30 Franken, plus Portoauslagen (Anhang I Ziff. 1.1 der Verordnung vom 27. Oktober 1999 über die Gebühren im Zivilstandswesen, ZStGV, SR 172.042.110; Art. 7 Abs. 1 Bst. a ZStGV). Seit Einführung von Infostar im Jahr 2004 wurden bis 2017 im Durchschnitt 175 000 Heimatscheine pro Jahr erstellt. Dies ergibt ein Gebührenvolumen von durchschnittlich 5,25 Millionen Franken jährlich, zuzüglich Portoauslagen.</p><p>3. Der Bundesrat rechnet heute damit, dass das Abrufverfahren für Einwohnerdienste ab 2024 an die Hand genommen werden kann. Diese Vorlaufzeit hat zwei Gründe: Erstens sieht die aktuelle Anwendung Infostar die Umsetzung einer elektronischen Abrufschnittstelle für die Einwohnerdienste nicht vor. Zweitens wird Infostar zurzeit neu gebaut ("Infostar New Generation"). Die neue Lösung soll per Mitte 2023 produktiv sein. Aus Ressourcengründen werden, wie bei der Überholung von Grosssystemen üblich, Anpassungen und Ausbauten am bestehenden System auf das Notwendigste beschränkt (System Freeze).</p><p>Zusätzlich zur Umsetzung der technischen Lösung müssen die Kantone und Gemeinden ihre rechtlichen Grundlagen hinsichtlich eines elektronischen Abrufverfahrens prüfen und allenfalls anpassen (siehe Antwort auf Frage 1). Dies wird entsprechend Zeit in Anspruch nehmen.</p><p>4. Gemäss neuem Artikel 45a Absatz 6 ZGB (BBl 2017 7899), der voraussichtlich ebenfalls auf den 1. Januar 2019 in Kraft treten wird, kann der Bund die Kosten für den laufenden Betrieb, die laufende Weiterentwicklung wie auch für einen Neubau von Infostar den Einwohnerdiensten in Rechnung stellen, soweit diese Kosten die Funktionalitäten zugunsten der Einwohnerdienste betreffen.</p><p>Im heutigen Zeitpunkt existiert noch kein Gebührenmodell. Denkbar sind eine Gebühr für jeden individuellen Abruf in Infostar oder generelle "Schnittstellenabonnemente" für Kantone und Gemeinden. Ausgeschlossen ist jedenfalls, dass mit der neuen Gebühr die ganze heutige Gebühr von 30 Franken pro papiernen Heimatschein kompensiert werden soll (so ausdrücklich die Botschaft des Bundesrates zur Änderung des ZGB, BBl 2014 3551, 3567, Abs. 3).</p><p>5. Der Bund hat im Personenmeldewesen keine Kompetenz. Es fehlen schweizweite harmonisierte Regeln, welche über den eingeschränkten Anwendungsbereich des Registerharmonisierungsgesetzes (RHG; SR 431.02) hinausgehen. Dies erschwert teilweise die Umsetzung neuer, flächendeckender Lösungen und führt zu hohem Koordinations- und Standardisierungsaufwand zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Der Bundesrat wird eingeladen, folgende Fragen zu beantworten:</p><p>1. Teilt er die Einschätzung, dass mit der Umsetzung des bevorstehenden elektronischen Abrufverfahrens für Zivilstandsbehörden in Infostar (vgl. Art. 43a Abs. 4 Ziff. 6 nZGB) kantonale und kommunale Regeln, die weiterhin einen physischen Heimatschein verlangen, bundesrechtswidrig sein werden?</p><p>2. Wie viele Gebühren erheben die Behörden jährlich im Durchschnitt durch die Ausstellung des Heimatscheins?</p><p>3. Wann wird das elektronische Abrufverfahren schweizweit eingeführt sein?</p><p>4. Welche Gebührenregelung ist für das Abrufverfahren geplant?</p><p>5. Behindert die heutige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen ein effizientes und bürgernahes E-Government im Bereich Personenmeldewesen?</p>
    • Wann hat der Heimatschein ausgedient?

Back to List