Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Warum überweist Luxemburg kein Geld, die Schweiz hingegen schon?

ShortId
19.3432
Id
20193432
Updated
28.07.2023 02:47
Language
de
Title
Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Warum überweist Luxemburg kein Geld, die Schweiz hingegen schon?
AdditionalIndexing
10;2446;44
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>1.-3. Die allgemeine Regel für die Besteuerung von Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit, die im Mustersteuerabkommen der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-Musterabkommen) kodifiziert und von der Schweiz übernommen worden ist, sieht vor, dass solche Einkommen in demjenigen Staat besteuert werden können, in dem die unselbstständige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt wird. Der Wohnsitzstaat der unselbstständig erwerbstätigen Person behält jedoch das Recht, Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit zu besteuern. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, muss er eine Anrechnung der Steuern, die im Staat bezahlt worden sind, in dem die unselbstständige Erwerbstätigkeit erbracht wurde, gewähren oder eine Steuerbefreiung vorsehen. Der Kommentar zum OECD-Musterabkommen weist darauf hin, dass im OECD-Musterabkommen keine spezifische Regel für die Grenzgängerinnen und Grenzgänger vorgesehen wurde, "weil die sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden Probleme zweckmässigerweise unmittelbar von den beteiligten Staaten geregelt werden". In der EU liegt die direkte Besteuerung weiter im ausschliesslichen Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Wie schon wiederholt hervorgehoben wurde, z. B. im Bericht des Bundesrates vom 15. November 2013 "Überweisung der Quellensteuer bei Grenzgängerinnen und Grenzgängern", sind die Regelungen der Grenzgängerbesteuerung das Ergebnis historischer Entwicklungen der bilateralen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen in den Grenzregionen. Dies gilt auch im Kontext der bilateralen Beziehungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Es gibt z. B. Nachbarstaaten der Schweiz, welche in ihren bilateralen Beziehungen die ausschliessliche Besteuerung im Wohnsitzstaat der Grenzgängerinnen und Grenzgänger ohne jeden Ausgleich zugunsten des Staates, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, vorsehen.</p><p>4./5. Das europäische Revisionsverfahren der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist nicht abgeschlossen. Am 19. März 2019 schien es, als sei ein Kompromiss zwischen den EU-Gremien zustande gekommen. Dieser Kompromiss konnte jedoch im Ausschuss der ständigen Vertreter (Coreper) nicht die erforderliche Mehrheit auf sich vereinigen. Ab Beginn der neuen Legislatur wird es Sache der EU-Gremien sein, die nötigen Arbeiten wiederaufzunehmen und zu versuchen, einen neuen Kompromiss zu schmieden. Da keine definitive Fassung des revidierten Textes vorliegt, können wir weder in Erfahrung bringen, ob Luxemburg Ausnahmeregelungen von der Anwendung des potenziellen neuen Systems erreicht hat, noch Vorhersagen zu einer allfälligen Übernahme durch die Schweiz machen.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Unsere französischen Nachbarn protestieren: Das Grossherzogtum Luxemburg, wo der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, fast 20 Jahre lang Premierminister war, behält die Gesamtheit der bei den Grenzgängerinnen und Grenzgängern erhobenen Steuern für sich und zahlt weder Frankreich noch Deutschland etwas zurück. Nur Belgien kommt in den Genuss einer kleinen Ausgleichszahlung. Denn Luxemburg wendet die OECD-Richtlinie restriktiv an, wonach ein Land das Recht hat, das Arbeitseinkommen zu besteuern, wenn die Arbeit in diesem Land ausgeübt wird.</p><p>Betrachtet man dagegen die riesigen Beträge, die die Schweiz seit Jahrzehnten an die Nachbarländer überweist, und zwar aufgrund der berüchtigten Vereinbarung von 1974 insbesondere an Italien, so ist die Situation von Luxemburg skandalös. Dies umso mehr, als die Schweiz kein EU-Mitgliedstaat ist, Luxemburg hingegen sogar zu den Gründungsmitgliedern der EU gehört. Louis-François Reitz, Delegierter für institutionelle Zusammenarbeit der lothringischen Stadt Metz und damit zuständig für grenzüberschreitende Beziehungen, erklärte auf der Plattform swissinfo.ch Folgendes: "Luxemburg steht davor, bedeutende Ausnahmen von den neuen EU-Regeln zu erhalten, die vorsehen, dass arbeitslose Grenzgänger in Zukunft von jenem Land Arbeitslosenentschädigung erhalten sollen, in dem sie ihre Stelle verloren, und nicht mehr vom Wohnsitzland wie bisher."</p><p>Sollte dies tatsächlich zutreffen, so würde sich die Politik der Schweiz, die auf übermässigem und systematischem Nachgeben gegenüber der EU beruht, als absolut untragbar erweisen. </p><p>Ich frage den Bundesrat:</p><p>1. Trifft es zu, dass Luxemburg den Herkunftsstaaten keine Ausgleichszahlungen für die bei den Grenzgängerinnen und Grenzgängern erhobenen Steuern überweist und dass die EU diesbezüglich keine Einwände hat?</p><p>2. Falls ja, ist der Bundesrat nicht auch der Ansicht, dass diese Vorzugsbehandlung des Grossherzogtums ungerechtfertigt ist?</p><p>3. Warum überweist die Schweiz Ausgleichszahlungen - die im Fall von Italien auch noch astronomisch sind, nämlich 38,8 Prozent der bei den Personen mit Ausweis G erhobenen Quellensteuer entsprechen und inzwischen mehr als 84 Millionen Franken pro Jahr betragen -, wenn andere Länder nichts überweisen?</p><p>4. Entspricht es den Tatsachen, dass Luxemburg für die Umsetzung der EU-Richtlinie über die Arbeitslosigkeit der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die zurzeit ausgearbeitet wird, "bedeutende Ausnahmen" erreicht hat?</p><p>5. Beabsichtigt der Bundesrat, eine Anwendung der besagten EU-Richtlinie in der Schweiz kategorisch abzulehnen, wie es seine Pflicht wäre, falls diese Richtlinie von den EU-Organen definitiv verabschiedet wird?</p>
  • Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Warum überweist Luxemburg kein Geld, die Schweiz hingegen schon?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1.-3. Die allgemeine Regel für die Besteuerung von Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit, die im Mustersteuerabkommen der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-Musterabkommen) kodifiziert und von der Schweiz übernommen worden ist, sieht vor, dass solche Einkommen in demjenigen Staat besteuert werden können, in dem die unselbstständige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt wird. Der Wohnsitzstaat der unselbstständig erwerbstätigen Person behält jedoch das Recht, Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit zu besteuern. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, muss er eine Anrechnung der Steuern, die im Staat bezahlt worden sind, in dem die unselbstständige Erwerbstätigkeit erbracht wurde, gewähren oder eine Steuerbefreiung vorsehen. Der Kommentar zum OECD-Musterabkommen weist darauf hin, dass im OECD-Musterabkommen keine spezifische Regel für die Grenzgängerinnen und Grenzgänger vorgesehen wurde, "weil die sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden Probleme zweckmässigerweise unmittelbar von den beteiligten Staaten geregelt werden". In der EU liegt die direkte Besteuerung weiter im ausschliesslichen Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Wie schon wiederholt hervorgehoben wurde, z. B. im Bericht des Bundesrates vom 15. November 2013 "Überweisung der Quellensteuer bei Grenzgängerinnen und Grenzgängern", sind die Regelungen der Grenzgängerbesteuerung das Ergebnis historischer Entwicklungen der bilateralen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen in den Grenzregionen. Dies gilt auch im Kontext der bilateralen Beziehungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Es gibt z. B. Nachbarstaaten der Schweiz, welche in ihren bilateralen Beziehungen die ausschliessliche Besteuerung im Wohnsitzstaat der Grenzgängerinnen und Grenzgänger ohne jeden Ausgleich zugunsten des Staates, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, vorsehen.</p><p>4./5. Das europäische Revisionsverfahren der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist nicht abgeschlossen. Am 19. März 2019 schien es, als sei ein Kompromiss zwischen den EU-Gremien zustande gekommen. Dieser Kompromiss konnte jedoch im Ausschuss der ständigen Vertreter (Coreper) nicht die erforderliche Mehrheit auf sich vereinigen. Ab Beginn der neuen Legislatur wird es Sache der EU-Gremien sein, die nötigen Arbeiten wiederaufzunehmen und zu versuchen, einen neuen Kompromiss zu schmieden. Da keine definitive Fassung des revidierten Textes vorliegt, können wir weder in Erfahrung bringen, ob Luxemburg Ausnahmeregelungen von der Anwendung des potenziellen neuen Systems erreicht hat, noch Vorhersagen zu einer allfälligen Übernahme durch die Schweiz machen.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Unsere französischen Nachbarn protestieren: Das Grossherzogtum Luxemburg, wo der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, fast 20 Jahre lang Premierminister war, behält die Gesamtheit der bei den Grenzgängerinnen und Grenzgängern erhobenen Steuern für sich und zahlt weder Frankreich noch Deutschland etwas zurück. Nur Belgien kommt in den Genuss einer kleinen Ausgleichszahlung. Denn Luxemburg wendet die OECD-Richtlinie restriktiv an, wonach ein Land das Recht hat, das Arbeitseinkommen zu besteuern, wenn die Arbeit in diesem Land ausgeübt wird.</p><p>Betrachtet man dagegen die riesigen Beträge, die die Schweiz seit Jahrzehnten an die Nachbarländer überweist, und zwar aufgrund der berüchtigten Vereinbarung von 1974 insbesondere an Italien, so ist die Situation von Luxemburg skandalös. Dies umso mehr, als die Schweiz kein EU-Mitgliedstaat ist, Luxemburg hingegen sogar zu den Gründungsmitgliedern der EU gehört. Louis-François Reitz, Delegierter für institutionelle Zusammenarbeit der lothringischen Stadt Metz und damit zuständig für grenzüberschreitende Beziehungen, erklärte auf der Plattform swissinfo.ch Folgendes: "Luxemburg steht davor, bedeutende Ausnahmen von den neuen EU-Regeln zu erhalten, die vorsehen, dass arbeitslose Grenzgänger in Zukunft von jenem Land Arbeitslosenentschädigung erhalten sollen, in dem sie ihre Stelle verloren, und nicht mehr vom Wohnsitzland wie bisher."</p><p>Sollte dies tatsächlich zutreffen, so würde sich die Politik der Schweiz, die auf übermässigem und systematischem Nachgeben gegenüber der EU beruht, als absolut untragbar erweisen. </p><p>Ich frage den Bundesrat:</p><p>1. Trifft es zu, dass Luxemburg den Herkunftsstaaten keine Ausgleichszahlungen für die bei den Grenzgängerinnen und Grenzgängern erhobenen Steuern überweist und dass die EU diesbezüglich keine Einwände hat?</p><p>2. Falls ja, ist der Bundesrat nicht auch der Ansicht, dass diese Vorzugsbehandlung des Grossherzogtums ungerechtfertigt ist?</p><p>3. Warum überweist die Schweiz Ausgleichszahlungen - die im Fall von Italien auch noch astronomisch sind, nämlich 38,8 Prozent der bei den Personen mit Ausweis G erhobenen Quellensteuer entsprechen und inzwischen mehr als 84 Millionen Franken pro Jahr betragen -, wenn andere Länder nichts überweisen?</p><p>4. Entspricht es den Tatsachen, dass Luxemburg für die Umsetzung der EU-Richtlinie über die Arbeitslosigkeit der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die zurzeit ausgearbeitet wird, "bedeutende Ausnahmen" erreicht hat?</p><p>5. Beabsichtigt der Bundesrat, eine Anwendung der besagten EU-Richtlinie in der Schweiz kategorisch abzulehnen, wie es seine Pflicht wäre, falls diese Richtlinie von den EU-Organen definitiv verabschiedet wird?</p>
    • Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Warum überweist Luxemburg kein Geld, die Schweiz hingegen schon?

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