Wer vertritt die Arbeitnehmer in der Schweiz?

ShortId
19.3568
Id
20193568
Updated
28.07.2023 02:21
Language
de
Title
Wer vertritt die Arbeitnehmer in der Schweiz?
AdditionalIndexing
44;15
1
PriorityCouncil1
Ständerat
Texts
  • <p>Die Frage, wer die Mehrheit der Arbeitnehmer in der Schweiz vertritt, ist unklar. Die "NZZ" griff die Thematik in einem Artikel vom 14. Mai 2019 auf. Gemäss den neusten Statistiken des Bundesamtes für Statistik repräsentieren die beiden Dachverbände SGB und Travail Suisse rund 500 000 Mitglieder, unabhängige Arbeitnehmerverbände rund 220 000 Mitglieder. Insgesamt gibt es über 5 Millionen Erwerbstätige in der Schweiz, fast 80 Prozent davon im Dienstleistungssektor. Rund 15 Prozent der Erwerbstätigen gehören also einem Arbeitnehmerverband an. Die beiden Gewerkschaftsdachverbände repräsentieren traditionellerweise eine andere Arbeitnehmerpopulation als die unabhängigen Arbeitnehmerverbände, welche vor allem den Dienstleistungssektor repräsentieren. Anders sieht der Organisationsgrad der Arbeitgeber aus. Rund 90 Prozent der Unternehmen gehören einer Arbeitgebervereinigung an. Gerade weil die Arbeitgeberseite so gut organisiert ist, muss auch die Arbeitnehmerseite umfassender repräsentiert sein.</p><p>Die Arbeitnehmervertretung bei den ausserparlamentarischen Kommissionen des Bundes, bei Sozialpartnerschaftskonsultationen oder nationalen Konferenzen zu Arbeitsthemen wird fast ausschliesslich durch die beiden Dachverbände wahrgenommen. 2003 trafen die beiden Dachverbände eine entsprechende Vereinbarung, dass sie alle verfügbaren Sitze unter sich aufteilen würden. Unabhängigen Verbänden wurden in der Vergangenheit vereinzelt Sitze gewährt. In den letzten paar Jahren, seit sich die Angestelltenverbände zu einer neuen politischen Plattform zusammengeschlossen haben, werden ihnen auch diese strittig gemacht. Von den insgesamt elf Gremien, die sich mit Arbeitnehmerthemen auseinandersetzen, werden 34 Sitze vom SGB und 18 Sitze von Travail Suisse beansprucht. Unabhängigen Verbänden werden gerade mal drei Sitze (in weniger relevanten Kommissionen) zugebilligt. In acht der für Angestellte relevanten Kommissionen, wie z. B. der Tripartiten Kommission des Bundes, der AHV-Kommission, der Eidgenössischen Ausgleichskasse und der Kommission für berufliche Vorsorge sind die moderaten Angestelltenverbände gar nicht erst vertreten, obwohl sie eine andere Arbeitnehmerpopulation vertreten als die Gewerkschaftsdachverbände.</p>
  • <p>1./2. Der Bundesrat teilt das Anliegen des Interpellanten, dass im Grundsatz eine ausgewogene Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeber durch ihre Verbände in den ausserparlamentarischen Gremien, welche sich mit arbeitsmarktlichen Fragen auseinandersetzen, anzustreben ist. Die Vielseitigkeit der Themenbereiche in den ausserparlamentarischen Gremien bedingt grundlegend Flexibilität bei der Zusammensetzung der Vertretungen. Dabei kann die Repräsentativität einzelner Verbände ein Kriterium bei der Verteilung der Kommissionssitze darstellen. Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz sowie die dazugehörige Verordnung fixieren jedoch keine quantitativen Anforderungen zur Repräsentativität. Repräsentativität ist vielmehr ein unbestimmter Rechtsbegriff und muss immer gestützt auf den Einzelfall bestimmt werden. Im Spezialrecht wird zum Teil zwar die Einsitznahme von Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitnehmenden sowie der Arbeitgeber vorgesehen. Welche Verbände eine solche Vertretung wahrnehmen, ist jedoch nicht normiert. </p><p>Der Bundesrat setzt die ausserparlamentarischen Kommissionen ein und wählt deren Mitglieder. Er hat sich hierbei bisher auf die Wahlvorschläge der zahlenmässig bedeutendsten und je nach Kommissionsthematik am stärksten betroffenen Dachverbände abgestützt. Der Bundesrat geht davon aus, dass sich die Dachverbände bei ihren Wahlvorschlägen untereinander absprechen und dabei darauf achten, dass alle Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverbände in genügender Weise die relevanten Interessen und Themen in den ausserparlamentarischen Gremien wahrnehmen können. Falls sich zeigen sollte, dass sich der Organisationsgrad der verschiedenen Sektoren und Berufskategorien massgeblich ändert und das Gleichgewicht in den Kommissionen nicht mehr gewährleistet ist, kann der Bundesrat eine Anpassung der Verteilung im Rahmen der Gesamterneuerungswahl erwirken.</p><p>Zum Anliegen, die Sitze öffentlich auszuschreiben, ist festzuhalten, dass die Wahl der Mitglieder der ausserparlamentarischen Kommissionen (etwa 1500 Mitglieder, 117 Gremien) bereits heute mit einem hohen Aufwand verbunden ist. Aktuell besteht die Möglichkeit, dass einzelne Kommissionssitze öffentlich ausgeschrieben werden, wenn beispielsweise die Geschlechter- und Sprachquoten in einer bestimmten Kommission wiederholt nicht erreicht werden. Ein offenes Ausschreibungsverfahren für jeden Kommissionssitz hingegen würde einen erheblichen und unverhältnismässigen Zusatzaufwand darstellen und könnte im Rahmen der jetzigen Betriebsstruktur der Departemente, Ämter und der Bundeskanzlei nicht umgesetzt werden. </p><p>3. Der Bundesrat teilt die Ansicht des Interpellanten, dass der Strukturwandel in der Wirtschaft und insbesondere die Tertiarisierung sowie die Zunahme des Anteils der hochqualifizierten Beschäftigten die Interessenvertretung auf Arbeitnehmerseite sowie deren Organisationsgrad beeinflussen kann. Sollte sich, wie oben ausgeführt, zeigen, dass das Gleichgewicht zwischen den in den Kommissionen vertretenen Verbänden und den durch Letztere vertretenen Interessen- oder Personengruppen nicht mehr gegeben ist, kann der Bundesrat Anpassungen erwirken. </p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Ich ersuche den Bundesrat gemäss Artikel 125 des Parlamentsgesetzes um Auskunft bezüglich der folgenden Fragen:</p><p>1. Ist angesichts des Ungleichgewichts zwischen Art der Erwerbstätigen und der Vertretung ein besonderes Augenmerk auf die Repräsentation aller Arbeitnehmer respektive Berufsgruppen zu legen und entsprechend ein Überdenken der Arbeitnehmendenvertretung beim Bund nicht angemessen?</p><p>2. Wie können solche Absprachen, wie sie der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail Suisse getroffen haben, überhaupt zulässig sein? Gibt es eine gesetzliche Grundlage dafür? Sollten nicht alle Kommissionssitze in einem offenen Verfahren ausgeschrieben werden?</p><p>3. Ist der Bundesrat bereit, die unabhängigen Angestelltenvertretungen als Teil der Sozialpartnerschaft Schweiz anzuerkennen?</p>
  • Wer vertritt die Arbeitnehmer in der Schweiz?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Frage, wer die Mehrheit der Arbeitnehmer in der Schweiz vertritt, ist unklar. Die "NZZ" griff die Thematik in einem Artikel vom 14. Mai 2019 auf. Gemäss den neusten Statistiken des Bundesamtes für Statistik repräsentieren die beiden Dachverbände SGB und Travail Suisse rund 500 000 Mitglieder, unabhängige Arbeitnehmerverbände rund 220 000 Mitglieder. Insgesamt gibt es über 5 Millionen Erwerbstätige in der Schweiz, fast 80 Prozent davon im Dienstleistungssektor. Rund 15 Prozent der Erwerbstätigen gehören also einem Arbeitnehmerverband an. Die beiden Gewerkschaftsdachverbände repräsentieren traditionellerweise eine andere Arbeitnehmerpopulation als die unabhängigen Arbeitnehmerverbände, welche vor allem den Dienstleistungssektor repräsentieren. Anders sieht der Organisationsgrad der Arbeitgeber aus. Rund 90 Prozent der Unternehmen gehören einer Arbeitgebervereinigung an. Gerade weil die Arbeitgeberseite so gut organisiert ist, muss auch die Arbeitnehmerseite umfassender repräsentiert sein.</p><p>Die Arbeitnehmervertretung bei den ausserparlamentarischen Kommissionen des Bundes, bei Sozialpartnerschaftskonsultationen oder nationalen Konferenzen zu Arbeitsthemen wird fast ausschliesslich durch die beiden Dachverbände wahrgenommen. 2003 trafen die beiden Dachverbände eine entsprechende Vereinbarung, dass sie alle verfügbaren Sitze unter sich aufteilen würden. Unabhängigen Verbänden wurden in der Vergangenheit vereinzelt Sitze gewährt. In den letzten paar Jahren, seit sich die Angestelltenverbände zu einer neuen politischen Plattform zusammengeschlossen haben, werden ihnen auch diese strittig gemacht. Von den insgesamt elf Gremien, die sich mit Arbeitnehmerthemen auseinandersetzen, werden 34 Sitze vom SGB und 18 Sitze von Travail Suisse beansprucht. Unabhängigen Verbänden werden gerade mal drei Sitze (in weniger relevanten Kommissionen) zugebilligt. In acht der für Angestellte relevanten Kommissionen, wie z. B. der Tripartiten Kommission des Bundes, der AHV-Kommission, der Eidgenössischen Ausgleichskasse und der Kommission für berufliche Vorsorge sind die moderaten Angestelltenverbände gar nicht erst vertreten, obwohl sie eine andere Arbeitnehmerpopulation vertreten als die Gewerkschaftsdachverbände.</p>
    • <p>1./2. Der Bundesrat teilt das Anliegen des Interpellanten, dass im Grundsatz eine ausgewogene Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeber durch ihre Verbände in den ausserparlamentarischen Gremien, welche sich mit arbeitsmarktlichen Fragen auseinandersetzen, anzustreben ist. Die Vielseitigkeit der Themenbereiche in den ausserparlamentarischen Gremien bedingt grundlegend Flexibilität bei der Zusammensetzung der Vertretungen. Dabei kann die Repräsentativität einzelner Verbände ein Kriterium bei der Verteilung der Kommissionssitze darstellen. Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz sowie die dazugehörige Verordnung fixieren jedoch keine quantitativen Anforderungen zur Repräsentativität. Repräsentativität ist vielmehr ein unbestimmter Rechtsbegriff und muss immer gestützt auf den Einzelfall bestimmt werden. Im Spezialrecht wird zum Teil zwar die Einsitznahme von Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitnehmenden sowie der Arbeitgeber vorgesehen. Welche Verbände eine solche Vertretung wahrnehmen, ist jedoch nicht normiert. </p><p>Der Bundesrat setzt die ausserparlamentarischen Kommissionen ein und wählt deren Mitglieder. Er hat sich hierbei bisher auf die Wahlvorschläge der zahlenmässig bedeutendsten und je nach Kommissionsthematik am stärksten betroffenen Dachverbände abgestützt. Der Bundesrat geht davon aus, dass sich die Dachverbände bei ihren Wahlvorschlägen untereinander absprechen und dabei darauf achten, dass alle Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverbände in genügender Weise die relevanten Interessen und Themen in den ausserparlamentarischen Gremien wahrnehmen können. Falls sich zeigen sollte, dass sich der Organisationsgrad der verschiedenen Sektoren und Berufskategorien massgeblich ändert und das Gleichgewicht in den Kommissionen nicht mehr gewährleistet ist, kann der Bundesrat eine Anpassung der Verteilung im Rahmen der Gesamterneuerungswahl erwirken.</p><p>Zum Anliegen, die Sitze öffentlich auszuschreiben, ist festzuhalten, dass die Wahl der Mitglieder der ausserparlamentarischen Kommissionen (etwa 1500 Mitglieder, 117 Gremien) bereits heute mit einem hohen Aufwand verbunden ist. Aktuell besteht die Möglichkeit, dass einzelne Kommissionssitze öffentlich ausgeschrieben werden, wenn beispielsweise die Geschlechter- und Sprachquoten in einer bestimmten Kommission wiederholt nicht erreicht werden. Ein offenes Ausschreibungsverfahren für jeden Kommissionssitz hingegen würde einen erheblichen und unverhältnismässigen Zusatzaufwand darstellen und könnte im Rahmen der jetzigen Betriebsstruktur der Departemente, Ämter und der Bundeskanzlei nicht umgesetzt werden. </p><p>3. Der Bundesrat teilt die Ansicht des Interpellanten, dass der Strukturwandel in der Wirtschaft und insbesondere die Tertiarisierung sowie die Zunahme des Anteils der hochqualifizierten Beschäftigten die Interessenvertretung auf Arbeitnehmerseite sowie deren Organisationsgrad beeinflussen kann. Sollte sich, wie oben ausgeführt, zeigen, dass das Gleichgewicht zwischen den in den Kommissionen vertretenen Verbänden und den durch Letztere vertretenen Interessen- oder Personengruppen nicht mehr gegeben ist, kann der Bundesrat Anpassungen erwirken. </p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Ich ersuche den Bundesrat gemäss Artikel 125 des Parlamentsgesetzes um Auskunft bezüglich der folgenden Fragen:</p><p>1. Ist angesichts des Ungleichgewichts zwischen Art der Erwerbstätigen und der Vertretung ein besonderes Augenmerk auf die Repräsentation aller Arbeitnehmer respektive Berufsgruppen zu legen und entsprechend ein Überdenken der Arbeitnehmendenvertretung beim Bund nicht angemessen?</p><p>2. Wie können solche Absprachen, wie sie der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail Suisse getroffen haben, überhaupt zulässig sein? Gibt es eine gesetzliche Grundlage dafür? Sollten nicht alle Kommissionssitze in einem offenen Verfahren ausgeschrieben werden?</p><p>3. Ist der Bundesrat bereit, die unabhängigen Angestelltenvertretungen als Teil der Sozialpartnerschaft Schweiz anzuerkennen?</p>
    • Wer vertritt die Arbeitnehmer in der Schweiz?

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