Ist das Zulassungssystem für Pestizide so ausgestaltet, dass die Zulassung von Wirkstoffen aufgrund von neuen Informationen aus Forschung und Praxis automatisch überprüft wird?

ShortId
19.4288
Id
20194288
Updated
28.07.2023 02:14
Language
de
Title
Ist das Zulassungssystem für Pestizide so ausgestaltet, dass die Zulassung von Wirkstoffen aufgrund von neuen Informationen aus Forschung und Praxis automatisch überprüft wird?
AdditionalIndexing
55;52;36;2841
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>1. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat im Mai 2014 aufgrund von Rückstandsbefunden von Chlorothalonil-Metaboliten im Grundwasser des Kantonslabors Waadt diese Metaboliten vorsorglich als relevant eingestuft. Diese Einstufung wurde ohne toxikologische Beurteilung der Metaboliten aufgrund der gesundheitsschädigenden Eigenschaften der Muttersubstanz durchgeführt. Der Verband der Kantonschemiker der Schweiz wurde ebenfalls in Kenntnis gesetzt. Es wurden daraufhin entsprechende regionale Massnahmen zur Risikominderung im Kanton Waadt getroffen.</p><p>2. Die Verkaufsmenge von chlorothalonilhaltigen Produkten lag im Jahr 2013 bei rund 60 Tonnen und ist seitdem zurückgegangen auf 45 Tonnen im Jahr 2017.</p><p>3. Der Wirkstoff Chlorothalonil ist bereits länger durch die EU als vermutlich kanzerogen eingestuft. Diese Information über die potenzielle Toxizität wurde berücksichtigt, um das Risiko sowie die nötigen Massnahmen für den Schutz der menschlichen Gesundheit zu bestimmen.</p><p>Seit dem 30. Januar 2018 wurde durch eine Publikation der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) bekannt, dass bei einzelnen Metaboliten eine genotoxische Wirkung nicht auszuschliessen ist.</p><p>4. Gemäss den Artikeln 29 und 29a PSMV kann die Bewilligung von Pflanzenschutzmitteln jederzeit überprüft werden, wenn Anzeichen dafür vorliegen, dass die Anforderungen nicht mehr erfüllt werden. Die Überprüfung erfolgt nicht automatisch. Aus Effizienzgründen basiert sie vor allem auf den Ergebnissen des Verfahrens zur Erneuerung der Genehmigung von Wirkstoffen in der EU.</p><p>5. Eine gezielte Überprüfung aller chlorothalonilhaltigen Produkte wurde im Dezember 2018 hinsichtlich der Gefährdung des Grundwassers gestartet. Weil die Bewilligung für chlorothalonilhaltige Produkte, die per Helikopter ausgebracht werden, bereits im Jahr 2015 zurückgezogen wurde, war eine Überprüfung dieser Ausbringungsart nicht mehr nötig.</p><p>6. Im Rahmen der Zulassung ist die ökotoxikologische Beurteilung ein wichtiger Aspekt. Dabei werden insbesondere auch mögliche ökotoxische Wirkungen auf Wasserorganismen beurteilt und mögliche Konzentrationen in Oberflächengewässern aufgrund der Anwendung eines Pflanzenschutzmittels berechnet. Basierend darauf kann beurteilt werden, ob es durch die Anwendung eines Pflanzenschutzmittels zu unannehmbaren Risiken für Wasserorganismen kommt.</p><p>Gemäss internationalen Beurteilungsmethoden sind toxikologische Untersuchungen an Amphibien nur selten erforderlich. In einer Risikobewertung ist es nie möglich, alle potenziell durch eine Pflanzenschutzmittel-Anwendung betroffenen Nichtzielarten zu testen. Aus diesem Grund werden Standard-Testorganismen wie die Regenbogenforelle oder die Wasserflöhe verwendet, die als Stellvertreterarten fungieren. Dieser Ansatz begrenzt die Anzahl der an Tieren durchgeführten Tests.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Die zuständige Europäische Kommission kam in ihrem finalen Report vom März 2019 zum Schluss, dass die Zulassung des Wirkstoffes Chlorothalonil nicht erneuert werden soll, weil seine Metaboliten im Grundwasser in Konzentrationen von über 0,1 Mikrogramm pro Liter zu erwarten seien und weil "erhebliche Bedenken" bestehen betreffend seine Wirkung auf das genetische Material von Zellen (Genotoxizität), seine krebserzeugende Wirkung (Kanzerogenität) und seine hohen Risiken für Fische und Amphibien. Das Dokument ist im Internet zugänglich. </p><p>Ich bitte den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten:</p><p>1. Vor acht Jahren wurde in der Motion 11.3238 darauf hingewiesen, dass das giftige und vermutlich krebserregende Pestizid Chlorotal, mit dem Wirkstoff Chlorothalonil, in Schweizer Rebbergen per Helikopter versprüht wird. Wie die Zeitung "24 heures" berichtete, wies die Stadt Lausanne den Kanton offenbar bereits 2013 auf die Chlorothalonil-Metaboliten hin und ersuchte via Kanton beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und beim Bundesamt für Veterinärwesen um eine Stellungnahme zu diesen Stoffen. Hat der Bund diese Informationen damals nachweislich verfolgt? Wenn ja, in welcher Weise, und welche Erkenntnisse konnten damals gewonnen werden?</p><p>2. Ist die Anwendung von Chlorotal bzw. anderen chlorothalonilhaltigen Produkten seither eingeschränkt worden? Ist die Verkaufsmenge dieser Produkte zurückgegangen? </p><p>3. Seit wann genau verfügt der Bund über die Information, dass Chlorothalonil kanzerogen bzw. genotoxisch wirkt? Wo und seit wann weist er diese Information aus? </p><p>4. Ist das Zulassungssystem für Pestizide so ausgestaltet, dass aufgrund von neuen Informationen aus Forschung und Praxis die Zulassung des entsprechenden Wirkstoffes automatisch überprüft wird?</p><p>5. In seiner Antwort auf meine Interpellation 19.3101 schrieb der Bundesrat zum Thema Luftverfrachtung, in der Zulassung würden die damit verbundenen Risiken für Mensch und Umwelt bewertet. Nachdem 2018 bekannt wurde, dass Wirkstoffe über weit grössere Distanzen verfrachtet werden als bisher angenommen: Wurde die Zulassung von Chlorothalonil automatisch überprüft, insbesondere für die Ausbringung per Helikopter? </p><p>6. Wird im Schweizer Zulassungssystem die Wirkung von Pestiziden auf Fische und Amphibien evaluiert? Wenn ja, wie genau? Wenn nein, warum nicht und wann wird das Zulassungssystem entsprechend angepasst?</p>
  • Ist das Zulassungssystem für Pestizide so ausgestaltet, dass die Zulassung von Wirkstoffen aufgrund von neuen Informationen aus Forschung und Praxis automatisch überprüft wird?
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat im Mai 2014 aufgrund von Rückstandsbefunden von Chlorothalonil-Metaboliten im Grundwasser des Kantonslabors Waadt diese Metaboliten vorsorglich als relevant eingestuft. Diese Einstufung wurde ohne toxikologische Beurteilung der Metaboliten aufgrund der gesundheitsschädigenden Eigenschaften der Muttersubstanz durchgeführt. Der Verband der Kantonschemiker der Schweiz wurde ebenfalls in Kenntnis gesetzt. Es wurden daraufhin entsprechende regionale Massnahmen zur Risikominderung im Kanton Waadt getroffen.</p><p>2. Die Verkaufsmenge von chlorothalonilhaltigen Produkten lag im Jahr 2013 bei rund 60 Tonnen und ist seitdem zurückgegangen auf 45 Tonnen im Jahr 2017.</p><p>3. Der Wirkstoff Chlorothalonil ist bereits länger durch die EU als vermutlich kanzerogen eingestuft. Diese Information über die potenzielle Toxizität wurde berücksichtigt, um das Risiko sowie die nötigen Massnahmen für den Schutz der menschlichen Gesundheit zu bestimmen.</p><p>Seit dem 30. Januar 2018 wurde durch eine Publikation der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) bekannt, dass bei einzelnen Metaboliten eine genotoxische Wirkung nicht auszuschliessen ist.</p><p>4. Gemäss den Artikeln 29 und 29a PSMV kann die Bewilligung von Pflanzenschutzmitteln jederzeit überprüft werden, wenn Anzeichen dafür vorliegen, dass die Anforderungen nicht mehr erfüllt werden. Die Überprüfung erfolgt nicht automatisch. Aus Effizienzgründen basiert sie vor allem auf den Ergebnissen des Verfahrens zur Erneuerung der Genehmigung von Wirkstoffen in der EU.</p><p>5. Eine gezielte Überprüfung aller chlorothalonilhaltigen Produkte wurde im Dezember 2018 hinsichtlich der Gefährdung des Grundwassers gestartet. Weil die Bewilligung für chlorothalonilhaltige Produkte, die per Helikopter ausgebracht werden, bereits im Jahr 2015 zurückgezogen wurde, war eine Überprüfung dieser Ausbringungsart nicht mehr nötig.</p><p>6. Im Rahmen der Zulassung ist die ökotoxikologische Beurteilung ein wichtiger Aspekt. Dabei werden insbesondere auch mögliche ökotoxische Wirkungen auf Wasserorganismen beurteilt und mögliche Konzentrationen in Oberflächengewässern aufgrund der Anwendung eines Pflanzenschutzmittels berechnet. Basierend darauf kann beurteilt werden, ob es durch die Anwendung eines Pflanzenschutzmittels zu unannehmbaren Risiken für Wasserorganismen kommt.</p><p>Gemäss internationalen Beurteilungsmethoden sind toxikologische Untersuchungen an Amphibien nur selten erforderlich. In einer Risikobewertung ist es nie möglich, alle potenziell durch eine Pflanzenschutzmittel-Anwendung betroffenen Nichtzielarten zu testen. Aus diesem Grund werden Standard-Testorganismen wie die Regenbogenforelle oder die Wasserflöhe verwendet, die als Stellvertreterarten fungieren. Dieser Ansatz begrenzt die Anzahl der an Tieren durchgeführten Tests.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Die zuständige Europäische Kommission kam in ihrem finalen Report vom März 2019 zum Schluss, dass die Zulassung des Wirkstoffes Chlorothalonil nicht erneuert werden soll, weil seine Metaboliten im Grundwasser in Konzentrationen von über 0,1 Mikrogramm pro Liter zu erwarten seien und weil "erhebliche Bedenken" bestehen betreffend seine Wirkung auf das genetische Material von Zellen (Genotoxizität), seine krebserzeugende Wirkung (Kanzerogenität) und seine hohen Risiken für Fische und Amphibien. Das Dokument ist im Internet zugänglich. </p><p>Ich bitte den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten:</p><p>1. Vor acht Jahren wurde in der Motion 11.3238 darauf hingewiesen, dass das giftige und vermutlich krebserregende Pestizid Chlorotal, mit dem Wirkstoff Chlorothalonil, in Schweizer Rebbergen per Helikopter versprüht wird. Wie die Zeitung "24 heures" berichtete, wies die Stadt Lausanne den Kanton offenbar bereits 2013 auf die Chlorothalonil-Metaboliten hin und ersuchte via Kanton beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und beim Bundesamt für Veterinärwesen um eine Stellungnahme zu diesen Stoffen. Hat der Bund diese Informationen damals nachweislich verfolgt? Wenn ja, in welcher Weise, und welche Erkenntnisse konnten damals gewonnen werden?</p><p>2. Ist die Anwendung von Chlorotal bzw. anderen chlorothalonilhaltigen Produkten seither eingeschränkt worden? Ist die Verkaufsmenge dieser Produkte zurückgegangen? </p><p>3. Seit wann genau verfügt der Bund über die Information, dass Chlorothalonil kanzerogen bzw. genotoxisch wirkt? Wo und seit wann weist er diese Information aus? </p><p>4. Ist das Zulassungssystem für Pestizide so ausgestaltet, dass aufgrund von neuen Informationen aus Forschung und Praxis die Zulassung des entsprechenden Wirkstoffes automatisch überprüft wird?</p><p>5. In seiner Antwort auf meine Interpellation 19.3101 schrieb der Bundesrat zum Thema Luftverfrachtung, in der Zulassung würden die damit verbundenen Risiken für Mensch und Umwelt bewertet. Nachdem 2018 bekannt wurde, dass Wirkstoffe über weit grössere Distanzen verfrachtet werden als bisher angenommen: Wurde die Zulassung von Chlorothalonil automatisch überprüft, insbesondere für die Ausbringung per Helikopter? </p><p>6. Wird im Schweizer Zulassungssystem die Wirkung von Pestiziden auf Fische und Amphibien evaluiert? Wenn ja, wie genau? Wenn nein, warum nicht und wann wird das Zulassungssystem entsprechend angepasst?</p>
    • Ist das Zulassungssystem für Pestizide so ausgestaltet, dass die Zulassung von Wirkstoffen aufgrund von neuen Informationen aus Forschung und Praxis automatisch überprüft wird?

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