Synthetische Pestizide. Hirntumore und Atemwegserkrankungen bei Kindern

ShortId
20.4166
Id
20204166
Updated
28.07.2023 14:13
Language
de
Title
Synthetische Pestizide. Hirntumore und Atemwegserkrankungen bei Kindern
AdditionalIndexing
2841;52;55
1
PriorityCouncil1
Ständerat
Texts
  • <p>Eine 2018 in Bordeaux von der Universitätsprofessorin und bekannten Spitalärztin Isabelle Baldi durchgeführte Studie kommt zum Schluss, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Fungiziden, deren Marker im Urin quantitativ gemessen werden können, und einem drei bis vier Mal höheren Asthmarisiko bei Kindern gibt.</p><p>Die Studie ist Teil einer langen wissenschaftlichen Karriere, die der Untersuchung der Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit gewidmet ist. Baldi hat unter anderem zwei Forschungsarbeiten verfasst. Der Titel der einen Arbeit lautet: Chronische Auswirkungen auf das Zentralnervensystem bei beruflich bedingter Pestizid-Exposition. </p><p>Das Risiko von Atemwegserkrankungen bei Landwirtinnen und Landwirten ist bekannt. Die chronische Pestizid-Exposition am Arbeitsplatz ist für die Entwicklung von Asthma oder COPD in der Tat ein erwiesener Risikofaktor. Synthetische Pestizide der Familie der Carbamate sind besonders problematisch. Eine sehr breit angelegte Studie mit mehr als 180 000 Teilnehmenden, die seit 2005 observiert werden (Agrican-Kohorte), hat aufgezeigt, welche Rolle die Pestizid-Exposition in der Landwirtschaft bei der Inzidenz der wichtigsten histologischen Typen von Tumoren des Zentralnervensystems spielt.</p><p>Die Risiken für Anwohnerinnen und Anwohner sind jedoch viel weniger gut dokumentiert. </p><p>Die neusten Studien zeigen aber, dass das Risiko, Atemprobleme oder Asthma zu entwickeln, bei kleinen Kindern oder gar ungeborenen Kinder, die synthetischen Pestiziden ausgesetzt sind, höher ist. In seiner Antwort vom Mai 2019 auf die Interpellation 19.3101 hat der Bundesrat erklärt: "In der Schweiz wird die Luftverfrachtung von Pestiziden nicht systematisch gemessen. Die Aufnahme eines systematischen Monitorings der Verbreitung von zugelassenen Pestiziden auf dem Luftweg ist auch nicht geplant." </p><p>Die Interpellation 20.3767 mit dem Titel "Erhöhtes Krebsrisiko bei Kindern durch Pestizide", die im Juni behandelt wurde, zitiert eine Studie der Universität Bern, wonach in zwei Regionen, in denen intensiv Landwirtschaft betrieben wird, für Kinder ein prozentual signifikant höheres Risiko besteht, an Krebs (Hirntumor) zu erkranken. Der Bundesrat zeigte sich sichtlich besorgt und gab zur Antwort: "Eine Pilotkampagne mit Messungen in der Luft und im Regenwasser begann im Mai 2020 an 9 Standorten und wird bis Herbst 2020 fortgesetzt. Es handelt sich dabei um eine Zusammenarbeit zwischen dem BAFU und den Kantonen Basel, Jura, Graubünden, Thurgau und Zürich. Es liegen noch keine Ergebnisse vor. Ein Monitoring ist nicht vorgesehen, aber im Sommer 2020 werden an bestimmten Ausbringungsorten experimentelle Messungen durchgeführt, um das Ausmass der Verfrachtung mit zunehmender Entfernung vom Ausbringungsort zu bestimmen."</p><p>Im Gegensatz zu den Vorschriften zu den Abständen, die zwischen einer Ausbringungszone und einem Gewässer oder einem Wald (Pufferstreifen) einzuhalten sind, sieht das Bundesrecht keine Schutzdistanz zwischen einem Gebiet, in dem synthetische Pestizide ausgebracht werden, und einem Wohngebiet vor. Nur sehr wenige Kantone und Gemeinden haben bis heute auf diesen Mangel reagiert. Das heisst, dass es rechtlich nicht verboten ist, neben einer Schule oder Wohnsiedlung oder gar neben einem Spielplatz synthetische Pestizide auszubringen. </p><p>In Anbetracht der obigen Äusserungen ist festzuhalten, dass der Bundesrat seinen Standpunkt in diesem Jahr geändert hat, insbesondere nach der Veröffentlichung der Resultate der Studie, die von der Universität Bern durchgeführt wurde. Wenigstens teilt er jetzt die Meinung, dass die Verbreitung von synthetischen Pestiziden durch die Luft ein Faktor für oder die Ursache von ernsthaften gesundheitlichen Problemen bei Kindern sein kann. Im Moment sind aber keine Massnahmen vorgesehen. </p><p>Wie lässt sich erklären, dass zum Schutz der Bevölkerung kein Sicherheitsabstand empfohlen wird, wenn das Schweizer Recht bei Wäldern eine Distanz von mindestens drei Metern und bei Gewässern eine Distanz von sechs bis hundert Metern vorschreibt. Darum fordere ich den Bundesrat auf, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen und rasch wirksame Massnahmen vorzusehen, um:</p><p>- in den Gebieten in der Nähe von Ausbringungszonen das Auftreten von Lungenkrankheiten insbesondere bei Kindern zu untersuchen;</p><p>- die Verwendung von synthetischen Pestiziden und anderen stark reizenden Produkten in der Nähe von Wohngebieten zu verhindern oder zu reduzieren;</p><p>- ausreichend und klare Pufferstreifen zwischen Ausbringungszonen und Wohngebieten zu schaffen;</p><p>- die Auswirkungen der Umstellung kritischer Zonen auf biologischen Anbau in der Nähe von Wohngebieten zu untersuchen.</p><p>Es soll ein Bericht vorgelegt werden, der die Resultate der erwähnten zurzeit laufenden Pilotkampagne betreffend die Messungen in der Luft und im Regenwasser darlegt.</p>
  • <p>In seiner Antwort auf die Interpellation 20.3767 Baumann erläuterte der Bundesrat, dass es in der zitierten Studie des Kantons Bern nur teilweise möglich war, einen Zusammenhang zwischen den regionalen Unterschieden betreffend das Auftreten der Tumore und den in der Studie untersuchten Faktoren nachzuweisen.</p><p>Ausserdem wurden die Pflanzenschutzmittel in dieser Studie nicht als Einflussfaktoren untersucht. Diese Produkte wurden zwar als ein weiterer Faktor genannt, der bei regionalen Unterschieden eine Rolle spielen könnte, sie wurden aber in dieser Studie nicht mitanalysiert.</p><p>Asthma ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Bronchien, die sich durch Atemnot, Husten, pfeifendes Atmen und manchmal durch permanente Atembeschwerden äussert. Asthma wird durch eine Kombination aus einer genetischen Veranlagung für Allergien und aus Umweltfaktoren wie beispielsweise Pollen, Milben, Tierschuppen und -haare, Schaben, Schimmel, Rauch oder Schadstoffe verursacht. Unter dem Namen "Schweizer Gesundheitsstudie - Pilotphase" wurde 2020 eine Pilotstudie für ein landesweites Projekt im Bereich Human Biomonitoring (HBM) gestartet. In diesem Projekt wird der Wirkstoffgehalt in biologischen Proben gemessen und mit Gesundheitsdaten verknüpft. Dieses Projekt ist allerdings auf die allgemeine erwachsene Bevölkerung ausgerichtet und erlaubt in der gegenwärtigen Form keine Rückschlüsse auf Lungenerkrankungen bei Kindern, die in der Nähe von Ausbringungsgebieten wohnen. Aufgrund der grossen Zahl von Faktoren, die eine Asthmaerkrankung hervorrufen können, wird eine solche Studie derzeit nicht in Betracht gezogen.</p><p>Seit 2017 werden im Rahmen der Produktebewertung auch die Risiken für Nebenstehende sowie Anwohnerinnen und Anwohner berücksichtigt und gegebenenfalls Abstandsauflagen festgelegt. Da auch Naturstoffe eine Asthmaerkrankung auslösen können, ist es nicht angebracht, eine Studie über die Auswirkungen des Einsatzes von Produkten, die für die Verwendung in der biologischen Landwirtschaft in der Nähe von bewohnten Gebieten zugelassen sind, durchzuführen.</p><p>Schliesslich schlägt der Bundesrat in seiner Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) vor, die Gewährung von Direktzahlungen an die Verwendung von Behandlungsmethoden zu knüpfen, die die Abdrift um 75 Prozent reduzieren. Diese generelle Massnahme wird die Exposition in Wohngebieten deutlich verringern.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, ob es zweckmässig ist, Massnahmen treffen, um die Gesundheit von Kindern vor der Belastung durch synthetische Pestizide zu schützen. Zudem soll ein Bericht zu diesem Thema vorgelegt werden.</p>
  • Synthetische Pestizide. Hirntumore und Atemwegserkrankungen bei Kindern
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Eine 2018 in Bordeaux von der Universitätsprofessorin und bekannten Spitalärztin Isabelle Baldi durchgeführte Studie kommt zum Schluss, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Fungiziden, deren Marker im Urin quantitativ gemessen werden können, und einem drei bis vier Mal höheren Asthmarisiko bei Kindern gibt.</p><p>Die Studie ist Teil einer langen wissenschaftlichen Karriere, die der Untersuchung der Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit gewidmet ist. Baldi hat unter anderem zwei Forschungsarbeiten verfasst. Der Titel der einen Arbeit lautet: Chronische Auswirkungen auf das Zentralnervensystem bei beruflich bedingter Pestizid-Exposition. </p><p>Das Risiko von Atemwegserkrankungen bei Landwirtinnen und Landwirten ist bekannt. Die chronische Pestizid-Exposition am Arbeitsplatz ist für die Entwicklung von Asthma oder COPD in der Tat ein erwiesener Risikofaktor. Synthetische Pestizide der Familie der Carbamate sind besonders problematisch. Eine sehr breit angelegte Studie mit mehr als 180 000 Teilnehmenden, die seit 2005 observiert werden (Agrican-Kohorte), hat aufgezeigt, welche Rolle die Pestizid-Exposition in der Landwirtschaft bei der Inzidenz der wichtigsten histologischen Typen von Tumoren des Zentralnervensystems spielt.</p><p>Die Risiken für Anwohnerinnen und Anwohner sind jedoch viel weniger gut dokumentiert. </p><p>Die neusten Studien zeigen aber, dass das Risiko, Atemprobleme oder Asthma zu entwickeln, bei kleinen Kindern oder gar ungeborenen Kinder, die synthetischen Pestiziden ausgesetzt sind, höher ist. In seiner Antwort vom Mai 2019 auf die Interpellation 19.3101 hat der Bundesrat erklärt: "In der Schweiz wird die Luftverfrachtung von Pestiziden nicht systematisch gemessen. Die Aufnahme eines systematischen Monitorings der Verbreitung von zugelassenen Pestiziden auf dem Luftweg ist auch nicht geplant." </p><p>Die Interpellation 20.3767 mit dem Titel "Erhöhtes Krebsrisiko bei Kindern durch Pestizide", die im Juni behandelt wurde, zitiert eine Studie der Universität Bern, wonach in zwei Regionen, in denen intensiv Landwirtschaft betrieben wird, für Kinder ein prozentual signifikant höheres Risiko besteht, an Krebs (Hirntumor) zu erkranken. Der Bundesrat zeigte sich sichtlich besorgt und gab zur Antwort: "Eine Pilotkampagne mit Messungen in der Luft und im Regenwasser begann im Mai 2020 an 9 Standorten und wird bis Herbst 2020 fortgesetzt. Es handelt sich dabei um eine Zusammenarbeit zwischen dem BAFU und den Kantonen Basel, Jura, Graubünden, Thurgau und Zürich. Es liegen noch keine Ergebnisse vor. Ein Monitoring ist nicht vorgesehen, aber im Sommer 2020 werden an bestimmten Ausbringungsorten experimentelle Messungen durchgeführt, um das Ausmass der Verfrachtung mit zunehmender Entfernung vom Ausbringungsort zu bestimmen."</p><p>Im Gegensatz zu den Vorschriften zu den Abständen, die zwischen einer Ausbringungszone und einem Gewässer oder einem Wald (Pufferstreifen) einzuhalten sind, sieht das Bundesrecht keine Schutzdistanz zwischen einem Gebiet, in dem synthetische Pestizide ausgebracht werden, und einem Wohngebiet vor. Nur sehr wenige Kantone und Gemeinden haben bis heute auf diesen Mangel reagiert. Das heisst, dass es rechtlich nicht verboten ist, neben einer Schule oder Wohnsiedlung oder gar neben einem Spielplatz synthetische Pestizide auszubringen. </p><p>In Anbetracht der obigen Äusserungen ist festzuhalten, dass der Bundesrat seinen Standpunkt in diesem Jahr geändert hat, insbesondere nach der Veröffentlichung der Resultate der Studie, die von der Universität Bern durchgeführt wurde. Wenigstens teilt er jetzt die Meinung, dass die Verbreitung von synthetischen Pestiziden durch die Luft ein Faktor für oder die Ursache von ernsthaften gesundheitlichen Problemen bei Kindern sein kann. Im Moment sind aber keine Massnahmen vorgesehen. </p><p>Wie lässt sich erklären, dass zum Schutz der Bevölkerung kein Sicherheitsabstand empfohlen wird, wenn das Schweizer Recht bei Wäldern eine Distanz von mindestens drei Metern und bei Gewässern eine Distanz von sechs bis hundert Metern vorschreibt. Darum fordere ich den Bundesrat auf, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen und rasch wirksame Massnahmen vorzusehen, um:</p><p>- in den Gebieten in der Nähe von Ausbringungszonen das Auftreten von Lungenkrankheiten insbesondere bei Kindern zu untersuchen;</p><p>- die Verwendung von synthetischen Pestiziden und anderen stark reizenden Produkten in der Nähe von Wohngebieten zu verhindern oder zu reduzieren;</p><p>- ausreichend und klare Pufferstreifen zwischen Ausbringungszonen und Wohngebieten zu schaffen;</p><p>- die Auswirkungen der Umstellung kritischer Zonen auf biologischen Anbau in der Nähe von Wohngebieten zu untersuchen.</p><p>Es soll ein Bericht vorgelegt werden, der die Resultate der erwähnten zurzeit laufenden Pilotkampagne betreffend die Messungen in der Luft und im Regenwasser darlegt.</p>
    • <p>In seiner Antwort auf die Interpellation 20.3767 Baumann erläuterte der Bundesrat, dass es in der zitierten Studie des Kantons Bern nur teilweise möglich war, einen Zusammenhang zwischen den regionalen Unterschieden betreffend das Auftreten der Tumore und den in der Studie untersuchten Faktoren nachzuweisen.</p><p>Ausserdem wurden die Pflanzenschutzmittel in dieser Studie nicht als Einflussfaktoren untersucht. Diese Produkte wurden zwar als ein weiterer Faktor genannt, der bei regionalen Unterschieden eine Rolle spielen könnte, sie wurden aber in dieser Studie nicht mitanalysiert.</p><p>Asthma ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Bronchien, die sich durch Atemnot, Husten, pfeifendes Atmen und manchmal durch permanente Atembeschwerden äussert. Asthma wird durch eine Kombination aus einer genetischen Veranlagung für Allergien und aus Umweltfaktoren wie beispielsweise Pollen, Milben, Tierschuppen und -haare, Schaben, Schimmel, Rauch oder Schadstoffe verursacht. Unter dem Namen "Schweizer Gesundheitsstudie - Pilotphase" wurde 2020 eine Pilotstudie für ein landesweites Projekt im Bereich Human Biomonitoring (HBM) gestartet. In diesem Projekt wird der Wirkstoffgehalt in biologischen Proben gemessen und mit Gesundheitsdaten verknüpft. Dieses Projekt ist allerdings auf die allgemeine erwachsene Bevölkerung ausgerichtet und erlaubt in der gegenwärtigen Form keine Rückschlüsse auf Lungenerkrankungen bei Kindern, die in der Nähe von Ausbringungsgebieten wohnen. Aufgrund der grossen Zahl von Faktoren, die eine Asthmaerkrankung hervorrufen können, wird eine solche Studie derzeit nicht in Betracht gezogen.</p><p>Seit 2017 werden im Rahmen der Produktebewertung auch die Risiken für Nebenstehende sowie Anwohnerinnen und Anwohner berücksichtigt und gegebenenfalls Abstandsauflagen festgelegt. Da auch Naturstoffe eine Asthmaerkrankung auslösen können, ist es nicht angebracht, eine Studie über die Auswirkungen des Einsatzes von Produkten, die für die Verwendung in der biologischen Landwirtschaft in der Nähe von bewohnten Gebieten zugelassen sind, durchzuführen.</p><p>Schliesslich schlägt der Bundesrat in seiner Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) vor, die Gewährung von Direktzahlungen an die Verwendung von Behandlungsmethoden zu knüpfen, die die Abdrift um 75 Prozent reduzieren. Diese generelle Massnahme wird die Exposition in Wohngebieten deutlich verringern.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, ob es zweckmässig ist, Massnahmen treffen, um die Gesundheit von Kindern vor der Belastung durch synthetische Pestizide zu schützen. Zudem soll ein Bericht zu diesem Thema vorgelegt werden.</p>
    • Synthetische Pestizide. Hirntumore und Atemwegserkrankungen bei Kindern

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