Gesuch Boliviens um einen IWF-Kredit unter Verletzung der von der Schweizer Vertretung gutgeheissenen demokratischen Regeln. Fakten klären, Transparenz gewährleisten und interne Schweizer Leitlinien beachten

ShortId
20.4174
Id
20204174
Updated
28.07.2023 01:05
Language
de
Title
Gesuch Boliviens um einen IWF-Kredit unter Verletzung der von der Schweizer Vertretung gutgeheissenen demokratischen Regeln. Fakten klären, Transparenz gewährleisten und interne Schweizer Leitlinien beachten
AdditionalIndexing
08;24
1
PriorityCouncil1
Ständerat
Texts
  • <p>1. Der Internationale Währungsfonds (IWF) handelte beim Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 rasch und effektiv. Bis Mitte Oktober 2020 gewährte er an über 70 Länder Notkredite im Umfang von rund USD 30 Milliarden. Für den Zugang zu den Notkrediten hat der IWF einheitliche Voraussetzungen festgelegt. Nachgewiesen werden muss insbesondere ein dringender Zahlungsbilanzbedarf sowie ein bestimmter Verwendungszweck. Die Notkredite bedingen klare Verpflichtungen zu Transparenz der Mittelverwendung, ihre Konditionalität ist aber ansonsten sehr begrenzt. Die Schweiz hat sich im IWF-Exekutivrat dafür eingesetzt, dass der IWF von den Schuldnerländern die volle Zusammenarbeit und eine erhöhte Rechenschaft über den Mitteleinsatz einfordert. Sie vertritt die Haltung, dass Mängel in der Gouvernanz und Korruption in regulären, mehrjährigen IWF-Programmen wirkungsvoller angegangen werden können und dass Notkredite bei anhaltendem Bedarf daher durch solche regulären Programme abgelöst werden sollen.</p><p>Zugunsten Boliviens wurde am 17. April 2020 vom IWF-Exekutivrat ein Notkredit zur Deckung des akuten Finanzierungsbedarfs bei der Bewältigung der Covid-19-Krise bewilligt. Die Vereinbarung wurde nach der üblichen sorgfältigen Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen durch den IWF mit der interimistischen Regierung Boliviens vereinbart. Die Behörden machen darin Zusicherungen ("Safeguards") betreffend Transparenz bei den Gesundheitsausgaben und deren unabhängiger Überprüfung. Der Antrag Boliviens, einschliesslich dieser Zusicherungen ("Letter of Intent"), ist auf der Webseite des IWF öffentlich einsehbar. Dort wird auch ersichtlich, dass die Mittel zwar übertragen wurden, das Parlament aber den Kredit nicht bewilligt hat. Die Mittel sind daher bis auf weiteres bei der Zentralbank blockiert.</p><p>2.-4. Mit der Kreditvereinbarung verpflichten sich die Behörden Boliviens, dem IWF Informationen über die Mittelverwendung zu liefern. Bei der Offenlegung setzt der IWF hohe und einheitliche Massstäbe an Gouvernanz und Korruptionsbekämpfung. Über die Umsetzung dieser Politik muss der IWF dem Exekutivrat regelmässig Rechenschaft ablegen. Der Bundesrat sieht es nicht als seine Aufgabe an, im Rahmen einer bilateralen Untersuchung die Verwendung der IWF-Mittel zusätzlich zu überprüfen. Unabhängig vom Fall Boliviens wird sich die Schweiz im IWF für eine spezielle Untersuchung der Verwendung und Wirkung der Covid-19-Notkredite durch das unabhängige Evaluierungsbüro (IEO) des IWF einsetzen.</p><p>5. Mit ihrem konsistenten und glaubwürdigen Engagement in den IWF-Leitungsgremien trägt die Schweiz zu einem stabilen und effizienten globalen Finanz- und Währungssystem bei. Die Vergabe der Notkredite durch den IWF in der ausserordentlichen Covid-19-Krise steht im Einklang mit den 1999 formulierten und 2017 aktualisierten Grundsätzen.</p> Antwort des Bundesrates.
  • <p>Am 17. April 2020 hat das Exekutivdirektorium des Internationalen Währungsfonds (IWF) der nicht gewählten Übergangsregierung Boliviens auf deren Gesuch einen Kredit von 327 Millionen Dollar bewilligt. Das geschah ohne die dafür nötige Genehmigung durch das bolivianische Parlament, wie die Senatspräsidentin Eva Copa der Regierung und dem IWF mitteilte.</p><p>Dieser Kredit ist ein Instrument zur raschen Finanzierung und muss für die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt werden. Am 30. April 2020 wies die bolivianische Zentralbank auf ihrer offiziellen Website den Kredit als "emprestito" (Anleihe) aus. Die Zahlung ist jedoch in den seither veröffentlichten amtlichen Monatsberichten nicht mehr aufgeführt worden.</p><p>Weder das Parlament noch die Bürgerinnen und Bürger Boliviens können in Erfahrung bringen, ob mit diesem Kredit tatsächlich Massnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie finanziert worden sind und, wenn ja, welche.</p><p>Am 8. September 2020 wurde die Senatspräsidentin darüber informiert, dass die Übergangsregierung unter Interimspräsidentin Jeanine Añez für diesen Kredit 1,6 Millionen Dollar an Zinsen bezahlt habe. Das stellt eine Verletzung von Artikel 322 der bolivianischen Verfassung dar, denn ein internationaler Kredit darf nur mit Genehmigung durch den bolivianischen Gesetzgeber aufgenommen werden. Demnach widerspricht die Zahlung von Zinsen für einen solchen Kredit der Verfassung Boliviens. Hinzu kommt, dass das bolivianische Parlament seine Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Verwendung des Kredits nicht ausüben kann. Denn die Regierung gibt keinerlei Informationen darüber heraus, wo sich die Kreditmittel befinden, wer sie verwaltet und wozu sie verwendet werden.</p><p>Deshalb frage ich den Bundesrat:</p><p>1. Weshalb hat die Schweiz im IWF der Vergabe dieses Kredits zugestimmt? Diese Vergabe ist rechtlich und politisch höchst fragwürdig; mangels einer demokratischen Kontrolle besteht offensichtlich ein sehr hohes Korruptionsrisiko, und die Umstände der Vergabe stehen in klarem Widerspruch zu den "Grundsätzen der schweizerischen Politik im Internationalen Währungsfonds", die der Schweizer Vertretung im IWF in wichtigen Fragen jedoch zwingende Vorgaben machen.</p><p>2. Warum verschliesst sich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) jeglicher Transparenz, indem es den Schweizerinnen und Schweizern, die sich Sorgen über die Lage in Bolivien machen und wissen möchten, wie der Kredit vor Ort eingesetzt wird, keinerlei Informationen liefert?</p><p>3. Ist der Bundesrat bereit, aktiv zu werden und rasch eine Untersuchung einzuleiten, um zu überprüfen, ob die demokratischen Regeln bei der Gesuchstellung, der Verwaltung des Kredits und der Verwendung seiner Mittel eingehalten wurden, und um bei begründetem Verdacht auf Korruption die nötigen Korrekturmassnahmen vorzunehmen?</p><p>4. Ist der Bundesrat bereit, die Bevölkerung, das Parlament und die Regierung Boliviens umgehend über die Ergebnisse seiner Untersuchung zu informieren und so dazu beizutragen, dass die Regierung ihre Verpflichtungen zu Verantwortlichkeit und Transparenz gegenüber dem Kreditgeber, der bolivianischen Verfassung und dem Parlament einhält und, falls erforderlich, nachträgliche Korrekturen vornimmt?</p><p>5. Wie gedenkt der Bundesrat künftig der Einhaltung der "Grundsätze der schweizerischen Politik im Internationalen Währungsfonds" bei allen künftigen Geschäften des IWF Nachachtung zu verschaffen, damit Kreditgesuchen und Kreditvergaben nicht zugestimmt wird, wenn diese den Verfassungsbestimmungen nicht entsprechen, keiner innerstaatlichen Kontrolle unterstehen und ein sehr hohes Korruptionsrisiko darstellen?</p>
  • Gesuch Boliviens um einen IWF-Kredit unter Verletzung der von der Schweizer Vertretung gutgeheissenen demokratischen Regeln. Fakten klären, Transparenz gewährleisten und interne Schweizer Leitlinien beachten
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>1. Der Internationale Währungsfonds (IWF) handelte beim Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 rasch und effektiv. Bis Mitte Oktober 2020 gewährte er an über 70 Länder Notkredite im Umfang von rund USD 30 Milliarden. Für den Zugang zu den Notkrediten hat der IWF einheitliche Voraussetzungen festgelegt. Nachgewiesen werden muss insbesondere ein dringender Zahlungsbilanzbedarf sowie ein bestimmter Verwendungszweck. Die Notkredite bedingen klare Verpflichtungen zu Transparenz der Mittelverwendung, ihre Konditionalität ist aber ansonsten sehr begrenzt. Die Schweiz hat sich im IWF-Exekutivrat dafür eingesetzt, dass der IWF von den Schuldnerländern die volle Zusammenarbeit und eine erhöhte Rechenschaft über den Mitteleinsatz einfordert. Sie vertritt die Haltung, dass Mängel in der Gouvernanz und Korruption in regulären, mehrjährigen IWF-Programmen wirkungsvoller angegangen werden können und dass Notkredite bei anhaltendem Bedarf daher durch solche regulären Programme abgelöst werden sollen.</p><p>Zugunsten Boliviens wurde am 17. April 2020 vom IWF-Exekutivrat ein Notkredit zur Deckung des akuten Finanzierungsbedarfs bei der Bewältigung der Covid-19-Krise bewilligt. Die Vereinbarung wurde nach der üblichen sorgfältigen Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen durch den IWF mit der interimistischen Regierung Boliviens vereinbart. Die Behörden machen darin Zusicherungen ("Safeguards") betreffend Transparenz bei den Gesundheitsausgaben und deren unabhängiger Überprüfung. Der Antrag Boliviens, einschliesslich dieser Zusicherungen ("Letter of Intent"), ist auf der Webseite des IWF öffentlich einsehbar. Dort wird auch ersichtlich, dass die Mittel zwar übertragen wurden, das Parlament aber den Kredit nicht bewilligt hat. Die Mittel sind daher bis auf weiteres bei der Zentralbank blockiert.</p><p>2.-4. Mit der Kreditvereinbarung verpflichten sich die Behörden Boliviens, dem IWF Informationen über die Mittelverwendung zu liefern. Bei der Offenlegung setzt der IWF hohe und einheitliche Massstäbe an Gouvernanz und Korruptionsbekämpfung. Über die Umsetzung dieser Politik muss der IWF dem Exekutivrat regelmässig Rechenschaft ablegen. Der Bundesrat sieht es nicht als seine Aufgabe an, im Rahmen einer bilateralen Untersuchung die Verwendung der IWF-Mittel zusätzlich zu überprüfen. Unabhängig vom Fall Boliviens wird sich die Schweiz im IWF für eine spezielle Untersuchung der Verwendung und Wirkung der Covid-19-Notkredite durch das unabhängige Evaluierungsbüro (IEO) des IWF einsetzen.</p><p>5. Mit ihrem konsistenten und glaubwürdigen Engagement in den IWF-Leitungsgremien trägt die Schweiz zu einem stabilen und effizienten globalen Finanz- und Währungssystem bei. Die Vergabe der Notkredite durch den IWF in der ausserordentlichen Covid-19-Krise steht im Einklang mit den 1999 formulierten und 2017 aktualisierten Grundsätzen.</p> Antwort des Bundesrates.
    • <p>Am 17. April 2020 hat das Exekutivdirektorium des Internationalen Währungsfonds (IWF) der nicht gewählten Übergangsregierung Boliviens auf deren Gesuch einen Kredit von 327 Millionen Dollar bewilligt. Das geschah ohne die dafür nötige Genehmigung durch das bolivianische Parlament, wie die Senatspräsidentin Eva Copa der Regierung und dem IWF mitteilte.</p><p>Dieser Kredit ist ein Instrument zur raschen Finanzierung und muss für die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt werden. Am 30. April 2020 wies die bolivianische Zentralbank auf ihrer offiziellen Website den Kredit als "emprestito" (Anleihe) aus. Die Zahlung ist jedoch in den seither veröffentlichten amtlichen Monatsberichten nicht mehr aufgeführt worden.</p><p>Weder das Parlament noch die Bürgerinnen und Bürger Boliviens können in Erfahrung bringen, ob mit diesem Kredit tatsächlich Massnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie finanziert worden sind und, wenn ja, welche.</p><p>Am 8. September 2020 wurde die Senatspräsidentin darüber informiert, dass die Übergangsregierung unter Interimspräsidentin Jeanine Añez für diesen Kredit 1,6 Millionen Dollar an Zinsen bezahlt habe. Das stellt eine Verletzung von Artikel 322 der bolivianischen Verfassung dar, denn ein internationaler Kredit darf nur mit Genehmigung durch den bolivianischen Gesetzgeber aufgenommen werden. Demnach widerspricht die Zahlung von Zinsen für einen solchen Kredit der Verfassung Boliviens. Hinzu kommt, dass das bolivianische Parlament seine Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Verwendung des Kredits nicht ausüben kann. Denn die Regierung gibt keinerlei Informationen darüber heraus, wo sich die Kreditmittel befinden, wer sie verwaltet und wozu sie verwendet werden.</p><p>Deshalb frage ich den Bundesrat:</p><p>1. Weshalb hat die Schweiz im IWF der Vergabe dieses Kredits zugestimmt? Diese Vergabe ist rechtlich und politisch höchst fragwürdig; mangels einer demokratischen Kontrolle besteht offensichtlich ein sehr hohes Korruptionsrisiko, und die Umstände der Vergabe stehen in klarem Widerspruch zu den "Grundsätzen der schweizerischen Politik im Internationalen Währungsfonds", die der Schweizer Vertretung im IWF in wichtigen Fragen jedoch zwingende Vorgaben machen.</p><p>2. Warum verschliesst sich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) jeglicher Transparenz, indem es den Schweizerinnen und Schweizern, die sich Sorgen über die Lage in Bolivien machen und wissen möchten, wie der Kredit vor Ort eingesetzt wird, keinerlei Informationen liefert?</p><p>3. Ist der Bundesrat bereit, aktiv zu werden und rasch eine Untersuchung einzuleiten, um zu überprüfen, ob die demokratischen Regeln bei der Gesuchstellung, der Verwaltung des Kredits und der Verwendung seiner Mittel eingehalten wurden, und um bei begründetem Verdacht auf Korruption die nötigen Korrekturmassnahmen vorzunehmen?</p><p>4. Ist der Bundesrat bereit, die Bevölkerung, das Parlament und die Regierung Boliviens umgehend über die Ergebnisse seiner Untersuchung zu informieren und so dazu beizutragen, dass die Regierung ihre Verpflichtungen zu Verantwortlichkeit und Transparenz gegenüber dem Kreditgeber, der bolivianischen Verfassung und dem Parlament einhält und, falls erforderlich, nachträgliche Korrekturen vornimmt?</p><p>5. Wie gedenkt der Bundesrat künftig der Einhaltung der "Grundsätze der schweizerischen Politik im Internationalen Währungsfonds" bei allen künftigen Geschäften des IWF Nachachtung zu verschaffen, damit Kreditgesuchen und Kreditvergaben nicht zugestimmt wird, wenn diese den Verfassungsbestimmungen nicht entsprechen, keiner innerstaatlichen Kontrolle unterstehen und ein sehr hohes Korruptionsrisiko darstellen?</p>
    • Gesuch Boliviens um einen IWF-Kredit unter Verletzung der von der Schweizer Vertretung gutgeheissenen demokratischen Regeln. Fakten klären, Transparenz gewährleisten und interne Schweizer Leitlinien beachten

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