Die Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen

ShortId
20.4649
Id
20204649
Updated
28.07.2023 00:54
Language
de
Title
Die Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen
AdditionalIndexing
44;28
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Die Einführung des allgemeinen Mindestlohns im Kanton Neuenburg ist eine schwere Belastungsprobe für die bewährte Sozialpartnerschaft in der Schweiz. Dieser Mindestlohn findet seit dem umstrittenen Bundesgerichtsurteil vom August 2017 auch für Betriebe in den Branchen Anwendung, welche einen allgemeinverbindlich erklärten Landes-Gesamtarbeitsvertrag (ave GAV) haben. Das führt zu dem Missstand, dass der Bundesrat zwar sozialpartnerschaftliche GAV für die ganze Schweiz als verbindlich erklärt, aber die gesamtschweizerische Lösung durch kantonale Bestimmungen ausgehebelt werden kann. </p><p>Am 27. September 2020 stimmte die Stimmbevölkerung des Kantons Genf einer Volksinitiative für einen Mindestlohn von 23 Franken zu. Der Mindestlohn gilt auch für Branchen mit einem ave GAV. Weitere Kantone könnten diesen Beispielen folgen. Deshalb muss neu geregelt werden, dass die Einigungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, welche der Bundesrat per Beschluss für die ganze Schweiz besiegelt, ausgewählten kantonalen Bestimmungen vorgehen.</p><p>Für viele Bereiche des Arbeitsrechts kann infolge des Bundesgerichtsurteils nicht ausgeschlossen werden, dass die Kantone öffentlich-rechtliche Bestimmungen erlassen, die dann gestützt auf Art. 358 OR den Bestimmungen des GAV bzw. des ave GAV vorgehen. Die Kompetenz der Kantone, in einem bestimmten Sachgebiet das Bundesrecht zu ergänzen, erlischt lediglich dann, wenn die Gesetzgebung des Bundes jede Regelung in einem bestimmten Sachgebiet ausschliesst. Deshalb können ave GAV nicht nur im Bereich der Mindestlöhne ausgehebelt werden, sondern auch bei anderen für die Arbeitskosten relevanten Regelungen wie dem 13. Monatslohn und dem Ferienanspruch. Hingegen gehen kantonale Bestimmungen zu Feiertagen weiterhin vor. </p><p>Durch die vorgeschlagene Änderung des AVEG wird die Rechtsunsicherheit behoben und die bewährte Sozialpartnerschaft gestärkt, die durch kantonale Gesetze und internationale Verträge zu erodieren droht. Die Sozialpartnerschaft sichert seit über 100 Jahren den Arbeitsfrieden in der Schweiz und soll das auch die nächsten 100 Jahre tun.</p>
  • <p>Die Sozialpartnerschaft und die allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge (GAV) sind von grosser Bedeutung für den Schweizer Arbeitsmarkt. Die Sozialpartner stehen diesbezüglich immer wieder vor neuen Herausforderungen und haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie diese meistern. Der Bundesrat anerkennt, dass die Einführung kantonaler Mindestlöhne eine solche Herausforderung darstellen kann.</p><p>Das Anliegen der Motionärin erachtet der Bundesrat allerdings aus verschiedenen Gründen als problematisch. Mit dem Anliegen der Motionärin soll die verfassungsrechtliche Kompetenz der Kantone, sozialpolitisch tätig zu werden und sozialpolitische Mindestlöhne festzulegen, beschnitten werden. Zudem soll ein allgemeinverbindlicher GAV kantonalen Gesetzen oder gar kantonalen Verfassungen vorgehen. Ein allgemeinverbindlich erklärter GAV geniesst jedoch nicht die demokratische Legitimation, wie sie ein kantonales Gesetz geniesst. Ein GAV ist eine Vereinbarung zwischen Privaten und die Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV ändert dessen privatrechtlichen Charakter nicht. Ein allgemeinverbindlicher GAV steht auch nicht auf Gesetzesebene, sondern ist am ehesten mit einer Verordnung zu vergleichen. Da durch die Allgemeinverbindlicherklärung die Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit eingeschränkt wird, ist es weiter problematisch, wenn sie zwingendem Recht widersprechen soll. Mit der Realisierung des Anliegens der Motionärin würde der Bundesgesetzgeber den Volkswillen auf Kantonsebene, föderalistische Prinzipien und die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung aushebeln.</p><p>Die von der Motionärin verlangte Änderung des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen würde ausserdem eine Änderung von Artikel 358 des Obligationenrechts (OR) erfordern, der regelt, dass zwingendes kantonales Recht Vorrang vor dem Inhalt von GAV hat. GAV-Bestimmungen, die zwingendem kantonalem Recht widersprechen, sind nichtig und können nicht allgemeinverbindlich erklärt werden. Der Bundesrat weist zudem daraufhin, dass die Kantone keine Kompetenz haben, Regelungen über Ferien oder den 13. Monatslohn zu erlassen, da die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts nach Artikel 122 der Bundesverfassung (BV) Sache des Bundes ist.</p><p>Wie der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 21. November 2018 auf die Motion Baumann (18.3934) festgehalten hat, welche das gleiche Anliegen wie die vorliegende Motion verfolgte und am 19. Dezember 2019 vom Ständerat abgelehnt wurde, ist er der Auffassung, dass mögliche Spannungen in einzelnen GAV den von der Motionärin geforderten weitreichenden und aus staats- und demokratiepolitischer Sicht bedenklichen Eingriff nicht rechtfertigen.</p><p>Sollte der Nationalrat der vorliegenden Motion dennoch zustimmen, behält sich der Bundesrat vor, im Zweitrat deren Umwandlung in einen Prüfauftrag zu beantragen.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
  • <p>Der Bundesrat wird aufgefordert, das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (Aveg; SR 221.215.311) wie folgt zu ändern:</p><p>Artikel 1 Aveg, neuer Absatz 4</p><p>Die Bestimmungen des allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrages zu Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch gehen anderslautenden Bestimmungen der Kantone vor.</p><p>Artikel 2 Ziffer 4 Aveg, Änderung</p><p>Der Gesamtarbeitsvertrag darf die Rechtsgleichheit nicht verletzen und dem zwingenden Recht des Bundes nicht widersprechen. Jedoch können zugunsten der Arbeitnehmer abweichende Bestimmungen aufgestellt werden, wenn sich aus dem zwingenden Recht nichts anderes ergibt.</p>
  • Die Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen
State
Erledigt
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Die Einführung des allgemeinen Mindestlohns im Kanton Neuenburg ist eine schwere Belastungsprobe für die bewährte Sozialpartnerschaft in der Schweiz. Dieser Mindestlohn findet seit dem umstrittenen Bundesgerichtsurteil vom August 2017 auch für Betriebe in den Branchen Anwendung, welche einen allgemeinverbindlich erklärten Landes-Gesamtarbeitsvertrag (ave GAV) haben. Das führt zu dem Missstand, dass der Bundesrat zwar sozialpartnerschaftliche GAV für die ganze Schweiz als verbindlich erklärt, aber die gesamtschweizerische Lösung durch kantonale Bestimmungen ausgehebelt werden kann. </p><p>Am 27. September 2020 stimmte die Stimmbevölkerung des Kantons Genf einer Volksinitiative für einen Mindestlohn von 23 Franken zu. Der Mindestlohn gilt auch für Branchen mit einem ave GAV. Weitere Kantone könnten diesen Beispielen folgen. Deshalb muss neu geregelt werden, dass die Einigungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, welche der Bundesrat per Beschluss für die ganze Schweiz besiegelt, ausgewählten kantonalen Bestimmungen vorgehen.</p><p>Für viele Bereiche des Arbeitsrechts kann infolge des Bundesgerichtsurteils nicht ausgeschlossen werden, dass die Kantone öffentlich-rechtliche Bestimmungen erlassen, die dann gestützt auf Art. 358 OR den Bestimmungen des GAV bzw. des ave GAV vorgehen. Die Kompetenz der Kantone, in einem bestimmten Sachgebiet das Bundesrecht zu ergänzen, erlischt lediglich dann, wenn die Gesetzgebung des Bundes jede Regelung in einem bestimmten Sachgebiet ausschliesst. Deshalb können ave GAV nicht nur im Bereich der Mindestlöhne ausgehebelt werden, sondern auch bei anderen für die Arbeitskosten relevanten Regelungen wie dem 13. Monatslohn und dem Ferienanspruch. Hingegen gehen kantonale Bestimmungen zu Feiertagen weiterhin vor. </p><p>Durch die vorgeschlagene Änderung des AVEG wird die Rechtsunsicherheit behoben und die bewährte Sozialpartnerschaft gestärkt, die durch kantonale Gesetze und internationale Verträge zu erodieren droht. Die Sozialpartnerschaft sichert seit über 100 Jahren den Arbeitsfrieden in der Schweiz und soll das auch die nächsten 100 Jahre tun.</p>
    • <p>Die Sozialpartnerschaft und die allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge (GAV) sind von grosser Bedeutung für den Schweizer Arbeitsmarkt. Die Sozialpartner stehen diesbezüglich immer wieder vor neuen Herausforderungen und haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie diese meistern. Der Bundesrat anerkennt, dass die Einführung kantonaler Mindestlöhne eine solche Herausforderung darstellen kann.</p><p>Das Anliegen der Motionärin erachtet der Bundesrat allerdings aus verschiedenen Gründen als problematisch. Mit dem Anliegen der Motionärin soll die verfassungsrechtliche Kompetenz der Kantone, sozialpolitisch tätig zu werden und sozialpolitische Mindestlöhne festzulegen, beschnitten werden. Zudem soll ein allgemeinverbindlicher GAV kantonalen Gesetzen oder gar kantonalen Verfassungen vorgehen. Ein allgemeinverbindlich erklärter GAV geniesst jedoch nicht die demokratische Legitimation, wie sie ein kantonales Gesetz geniesst. Ein GAV ist eine Vereinbarung zwischen Privaten und die Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV ändert dessen privatrechtlichen Charakter nicht. Ein allgemeinverbindlicher GAV steht auch nicht auf Gesetzesebene, sondern ist am ehesten mit einer Verordnung zu vergleichen. Da durch die Allgemeinverbindlicherklärung die Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit eingeschränkt wird, ist es weiter problematisch, wenn sie zwingendem Recht widersprechen soll. Mit der Realisierung des Anliegens der Motionärin würde der Bundesgesetzgeber den Volkswillen auf Kantonsebene, föderalistische Prinzipien und die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung aushebeln.</p><p>Die von der Motionärin verlangte Änderung des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen würde ausserdem eine Änderung von Artikel 358 des Obligationenrechts (OR) erfordern, der regelt, dass zwingendes kantonales Recht Vorrang vor dem Inhalt von GAV hat. GAV-Bestimmungen, die zwingendem kantonalem Recht widersprechen, sind nichtig und können nicht allgemeinverbindlich erklärt werden. Der Bundesrat weist zudem daraufhin, dass die Kantone keine Kompetenz haben, Regelungen über Ferien oder den 13. Monatslohn zu erlassen, da die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts nach Artikel 122 der Bundesverfassung (BV) Sache des Bundes ist.</p><p>Wie der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 21. November 2018 auf die Motion Baumann (18.3934) festgehalten hat, welche das gleiche Anliegen wie die vorliegende Motion verfolgte und am 19. Dezember 2019 vom Ständerat abgelehnt wurde, ist er der Auffassung, dass mögliche Spannungen in einzelnen GAV den von der Motionärin geforderten weitreichenden und aus staats- und demokratiepolitischer Sicht bedenklichen Eingriff nicht rechtfertigen.</p><p>Sollte der Nationalrat der vorliegenden Motion dennoch zustimmen, behält sich der Bundesrat vor, im Zweitrat deren Umwandlung in einen Prüfauftrag zu beantragen.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
    • <p>Der Bundesrat wird aufgefordert, das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (Aveg; SR 221.215.311) wie folgt zu ändern:</p><p>Artikel 1 Aveg, neuer Absatz 4</p><p>Die Bestimmungen des allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrages zu Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch gehen anderslautenden Bestimmungen der Kantone vor.</p><p>Artikel 2 Ziffer 4 Aveg, Änderung</p><p>Der Gesamtarbeitsvertrag darf die Rechtsgleichheit nicht verletzen und dem zwingenden Recht des Bundes nicht widersprechen. Jedoch können zugunsten der Arbeitnehmer abweichende Bestimmungen aufgestellt werden, wenn sich aus dem zwingenden Recht nichts anderes ergibt.</p>
    • Die Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen

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