Schaffung einer Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht

ShortId
21.4191
Id
20214191
Updated
28.07.2023 14:17
Language
de
Title
Schaffung einer Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht
AdditionalIndexing
1211;28
1
PriorityCouncil1
Ständerat
Texts
  • <p>Nach einer Serie von Bundesgerichtsentscheiden (Urteile 5A_907/2018 vom 03.11.2020, 5A_311/2019 vom 11.11.2020, 5A_891/2018 vom 02.02.2021, 5A_104/2018 vom 02.02.2021, 5A_800/2019 vom 09.02.2021, BGE 144 III 481) befindet sich insbesondere das eheliche Unterhaltsrecht in starkem Wandel. Die Leitentscheide bekräftigen eine Abkehr von verschiedenen Schutzklauseln im Eheunterhaltsrecht (u.a. vom Konzept der lebensprägenden Ehe). Dies dürfte sich in weniger häufigen, tieferen und/oder auf kürzere Dauer festgelegten Unterhaltsbeträgen äussern, was bei den meisten Scheidungen zu Ungunsten von Frauen ausfällt. Den Entscheiden liegt die Annahme zugrunde, dass veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mit einer deutlich gestiegenen ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen einhergingen und Unterhalt somit seine Notwendigkeit eingebüsst habe (vgl. Bundesrichter Nicolas von Werdt in: Basler Zeitung vom 07.04.2021)</p><p>Eine vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte, kürzlich publizierte Studie (<a href="https://arbor.bfh.ch/11906/1/Manuscript_alimony_decline_kessler_submitted_version.docx">https://arbor.bfh.ch/11906/1/Manuscript_alimony_decline_kessler_submitted_version.docx</a>) hat gezeigt, dass nachehelicher Unterhalt schon zwischen den 1990-er und den 2000-er Jahren seltener wurde, die Erwerbseinkommen von geschiedenen Frauen damals aber nicht in zu erwartendem Masse gestiegen sind. U.a. aufgrund nach wie vor fehlender, preisgünstiger Kinderbetreuungsplätze und negativer Anreize im Steuersystem sind die Einkommen bei Paaren mit Kindern auch heute noch sehr ungleich verteilt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass das Wegfallen von Unterhalt nach Scheidungen mit den jüngsten Veränderungen im Unterhaltsrecht für viele Betroffene eine Verschlechterung der finanziellen Situation mit sich bringt. Wahrscheinliche Folgen sind eine erhöhte ökonomische Ungleichheit bei geschiedenen Paaren, eine Abnahme des verfügbaren Einkommens, eine Zunahme des Armutsrisikos und eine stärkere Inanspruchnahme von Sozialhilfe- sprich eine Verschiebung der ökonomischen Folgen von Scheidungen von geschiedenen Männern hin zu geschiedenen Frauen, Gemeinden und Kantonen.</p><p>Wie stark diese Entwicklung ausfällt, kann aufgrund aktuell fehlender Daten nicht beantwortet werden (vgl. NZZ vom 21.07.2021, <a href="https://www.nzz.ch/meinung/richterlicher-druck-auf-geschiedene-frauen-Id.1633048?reduced=true">https://www.nzz.ch/meinung/richterlicher-druck-auf-geschiedene-frauen-Id.1633048?reduced=true</a>). Bis 2008 wurden im Rahmen der Scheidungsstatistik des BFS von den Gerichten für jedes Scheidungsurteil grundlegende Informationen zu Unterhaltsentscheiden erhoben. Um die Gerichte zu entlasten, werden dem BFS seither die Daten zu den Scheidungen aus dem informatisierten Zivilstandsregister (lnfostar) übermittelt. Dort fehlen Informationen zu Unterhaltsentscheiden und weiteren relevanten Eigenschaften von familienrechtlichen Vereinbarungen, Konventionen und Urteilen.</p><p>Die Datenflüsse zwischen den Gerichten und dem BFS sollen so eingerichtet werden, dass oben aufgeführte Informationen erhoben werden können. Dabei soll auch geprüft werden, welche weiteren Datenquellen (z.B. Individualkonten der AHV, kantonale Steuerdaten, Sozialhilfeempfängerstatistik, Alimentenbevorschussung) für ein besseres Verständnis zur Datengrundlage zu verknüpfen wären. Insgesamt handelt es sich beim Erwachsenen- .und Kindesunterhalt mit jährlich rund 15 000 Entscheiden, bei denen bisher durchschnittlich je rund 22 500 Schweizer Franken/Jahr festgelegt wurden, um beachtliche finanzielle Summen. Das Verständnis der Funktions- und Wirkungsweise dieses wichtigen Elementes des Systems der sozialen Sicherheit und der Gleichstellung ist also zentral.</p>
  • <p>Eine schweizweit einheitliche Datenerfassung und Erstellung von Statistiken über die Praxis der Justiz- und Verwaltungsbehörden in den verschiedenen Rechtsbereichen ist zentral für die Evaluation bestehender Rechtsvorschriften und die Ausarbeitung neuer Gesetze, aber auch für vielfältige Forschungszwecke. Daher hat der Bundesrat im Rahmen der Vorlage 20.026 zur Revision der schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) eine Bestimmung vorgeschlagen, die für die Zukunft eine schweizweit einheitliche Datenlage zu den massgebenden Kennzahlen der Zivilprozesspraxis (z.B. Anzahl Scheidungsverfahren, Dauer des Gerichtsverfahrens, Kosten des Verfahrens usw.) ermöglichen soll (vgl. Art. 401a E-ZPO). Entsprechend unterstützt der Bundesrat grundsätzlich auch das Anliegen der Motion.</p><p>Die Schaffung der verlangten umfassenden Datengrundlage zur Praxis der kantonalen Behörden in familienrechtlichen Belangen (z.B. Höhe und Dauer der festgelegten Unterhaltsbeiträge und Obhutszuteilung) wirft aber verschiedene Fragen auf, die genau geprüft werden müssen. Es sollte deshalb in einem ersten Schritt eine Machbarkeitsstudie durchgeführt werden. Nur so wird es möglich sein, den mit der Umsetzung der Motion verbundenen administrativen, personellen und finanziellen Aufwand für Bund und Kantone abzuschätzen.</p><p>Bis 2008 haben die Kantone einige der in der Motion erwähnten Daten den Scheidungsurteilen entnommen, manuell verarbeitet und auf freiwilliger Basis dem Bundesamt für Statistik weitergeleitet. Dieses Vorgehen entspricht jedoch nicht mehr den Bedürfnissen der Statistik, weil so oft unvollständige Informationen geliefert wurden. Das Anliegen der Motion setzt ein einheitliches (Informatik-)System voraus. Um die Kantone zur verlangten Datenerhebung verpflichten zu können, stellt sich zuerst die Frage der Notwendigkeit der Schaffung einer formell-gesetzlichen Grundlage. Zudem muss ein neues Konzept für eine schweizweit vereinheitlichte und damit vergleichbare Statistik entwickelt werden. Die zu erfassenden Daten müssen definiert und die Informations- und Kommunikationssysteme der Behörden angepasst werden. Schliesslich sollten die betroffenen Behörden (Gerichte und KESB) bei der Datenerfassung unterstützt werden, weil nur so eine genügende Datenqualität gewährleistet werden kann. Erst dann wird das Bundesamt für Statistik die Daten verwerten und die von der Motion verlangten Informationen liefern können.</p><p>Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass es zurzeit nicht möglich ist, das Anliegen der Motion umzusetzen. Daher beantragt der Bundesrat deren Ablehnung. Weil er aber vom Nutzen und der Notwendigkeit einer Datengrundlage zu den Entscheiden im Familienrecht überzeugt ist, wird der Bundesrat im Falle der Annahme der Motion im Erstrat im Zweitrat den Antrag auf Umwandlung in einen Prüfauftrag stellen.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, eine Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht zu schaffen. Die zu erhebenden Mikrodaten sollen Informationen zu Vorhandensein, Höhe und Dauer der festgelegten Unterhaltsbeiträge in den Kategorien ehelicher (Art. 163 ZGB), nachehelicher (Art. 125 ZGB) und Kindesunterhalt (Art. 276 ff. ZGB), sowie bezüglich weiterer Aspekte von Unterhaltsvereinbarungen, Trennungsvereinbarungen, Scheidungskonventionen, sowie Gerichtsurteilen enthalten (gesetzliche Grundlagen, Sorgerecht, Obhut, Besuchsrecht, Vorsorgeausgleich, Güterrecht, Annahmen bezüglich Erwerbseinkommen und Ausgaben). Die Daten sollen für Forschungszwecke mit weiteren Datenquellen verknüpft werden können.</p>
  • Schaffung einer Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht
State
Überwiesen an den Bundesrat
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Nach einer Serie von Bundesgerichtsentscheiden (Urteile 5A_907/2018 vom 03.11.2020, 5A_311/2019 vom 11.11.2020, 5A_891/2018 vom 02.02.2021, 5A_104/2018 vom 02.02.2021, 5A_800/2019 vom 09.02.2021, BGE 144 III 481) befindet sich insbesondere das eheliche Unterhaltsrecht in starkem Wandel. Die Leitentscheide bekräftigen eine Abkehr von verschiedenen Schutzklauseln im Eheunterhaltsrecht (u.a. vom Konzept der lebensprägenden Ehe). Dies dürfte sich in weniger häufigen, tieferen und/oder auf kürzere Dauer festgelegten Unterhaltsbeträgen äussern, was bei den meisten Scheidungen zu Ungunsten von Frauen ausfällt. Den Entscheiden liegt die Annahme zugrunde, dass veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mit einer deutlich gestiegenen ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen einhergingen und Unterhalt somit seine Notwendigkeit eingebüsst habe (vgl. Bundesrichter Nicolas von Werdt in: Basler Zeitung vom 07.04.2021)</p><p>Eine vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte, kürzlich publizierte Studie (<a href="https://arbor.bfh.ch/11906/1/Manuscript_alimony_decline_kessler_submitted_version.docx">https://arbor.bfh.ch/11906/1/Manuscript_alimony_decline_kessler_submitted_version.docx</a>) hat gezeigt, dass nachehelicher Unterhalt schon zwischen den 1990-er und den 2000-er Jahren seltener wurde, die Erwerbseinkommen von geschiedenen Frauen damals aber nicht in zu erwartendem Masse gestiegen sind. U.a. aufgrund nach wie vor fehlender, preisgünstiger Kinderbetreuungsplätze und negativer Anreize im Steuersystem sind die Einkommen bei Paaren mit Kindern auch heute noch sehr ungleich verteilt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass das Wegfallen von Unterhalt nach Scheidungen mit den jüngsten Veränderungen im Unterhaltsrecht für viele Betroffene eine Verschlechterung der finanziellen Situation mit sich bringt. Wahrscheinliche Folgen sind eine erhöhte ökonomische Ungleichheit bei geschiedenen Paaren, eine Abnahme des verfügbaren Einkommens, eine Zunahme des Armutsrisikos und eine stärkere Inanspruchnahme von Sozialhilfe- sprich eine Verschiebung der ökonomischen Folgen von Scheidungen von geschiedenen Männern hin zu geschiedenen Frauen, Gemeinden und Kantonen.</p><p>Wie stark diese Entwicklung ausfällt, kann aufgrund aktuell fehlender Daten nicht beantwortet werden (vgl. NZZ vom 21.07.2021, <a href="https://www.nzz.ch/meinung/richterlicher-druck-auf-geschiedene-frauen-Id.1633048?reduced=true">https://www.nzz.ch/meinung/richterlicher-druck-auf-geschiedene-frauen-Id.1633048?reduced=true</a>). Bis 2008 wurden im Rahmen der Scheidungsstatistik des BFS von den Gerichten für jedes Scheidungsurteil grundlegende Informationen zu Unterhaltsentscheiden erhoben. Um die Gerichte zu entlasten, werden dem BFS seither die Daten zu den Scheidungen aus dem informatisierten Zivilstandsregister (lnfostar) übermittelt. Dort fehlen Informationen zu Unterhaltsentscheiden und weiteren relevanten Eigenschaften von familienrechtlichen Vereinbarungen, Konventionen und Urteilen.</p><p>Die Datenflüsse zwischen den Gerichten und dem BFS sollen so eingerichtet werden, dass oben aufgeführte Informationen erhoben werden können. Dabei soll auch geprüft werden, welche weiteren Datenquellen (z.B. Individualkonten der AHV, kantonale Steuerdaten, Sozialhilfeempfängerstatistik, Alimentenbevorschussung) für ein besseres Verständnis zur Datengrundlage zu verknüpfen wären. Insgesamt handelt es sich beim Erwachsenen- .und Kindesunterhalt mit jährlich rund 15 000 Entscheiden, bei denen bisher durchschnittlich je rund 22 500 Schweizer Franken/Jahr festgelegt wurden, um beachtliche finanzielle Summen. Das Verständnis der Funktions- und Wirkungsweise dieses wichtigen Elementes des Systems der sozialen Sicherheit und der Gleichstellung ist also zentral.</p>
    • <p>Eine schweizweit einheitliche Datenerfassung und Erstellung von Statistiken über die Praxis der Justiz- und Verwaltungsbehörden in den verschiedenen Rechtsbereichen ist zentral für die Evaluation bestehender Rechtsvorschriften und die Ausarbeitung neuer Gesetze, aber auch für vielfältige Forschungszwecke. Daher hat der Bundesrat im Rahmen der Vorlage 20.026 zur Revision der schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) eine Bestimmung vorgeschlagen, die für die Zukunft eine schweizweit einheitliche Datenlage zu den massgebenden Kennzahlen der Zivilprozesspraxis (z.B. Anzahl Scheidungsverfahren, Dauer des Gerichtsverfahrens, Kosten des Verfahrens usw.) ermöglichen soll (vgl. Art. 401a E-ZPO). Entsprechend unterstützt der Bundesrat grundsätzlich auch das Anliegen der Motion.</p><p>Die Schaffung der verlangten umfassenden Datengrundlage zur Praxis der kantonalen Behörden in familienrechtlichen Belangen (z.B. Höhe und Dauer der festgelegten Unterhaltsbeiträge und Obhutszuteilung) wirft aber verschiedene Fragen auf, die genau geprüft werden müssen. Es sollte deshalb in einem ersten Schritt eine Machbarkeitsstudie durchgeführt werden. Nur so wird es möglich sein, den mit der Umsetzung der Motion verbundenen administrativen, personellen und finanziellen Aufwand für Bund und Kantone abzuschätzen.</p><p>Bis 2008 haben die Kantone einige der in der Motion erwähnten Daten den Scheidungsurteilen entnommen, manuell verarbeitet und auf freiwilliger Basis dem Bundesamt für Statistik weitergeleitet. Dieses Vorgehen entspricht jedoch nicht mehr den Bedürfnissen der Statistik, weil so oft unvollständige Informationen geliefert wurden. Das Anliegen der Motion setzt ein einheitliches (Informatik-)System voraus. Um die Kantone zur verlangten Datenerhebung verpflichten zu können, stellt sich zuerst die Frage der Notwendigkeit der Schaffung einer formell-gesetzlichen Grundlage. Zudem muss ein neues Konzept für eine schweizweit vereinheitlichte und damit vergleichbare Statistik entwickelt werden. Die zu erfassenden Daten müssen definiert und die Informations- und Kommunikationssysteme der Behörden angepasst werden. Schliesslich sollten die betroffenen Behörden (Gerichte und KESB) bei der Datenerfassung unterstützt werden, weil nur so eine genügende Datenqualität gewährleistet werden kann. Erst dann wird das Bundesamt für Statistik die Daten verwerten und die von der Motion verlangten Informationen liefern können.</p><p>Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass es zurzeit nicht möglich ist, das Anliegen der Motion umzusetzen. Daher beantragt der Bundesrat deren Ablehnung. Weil er aber vom Nutzen und der Notwendigkeit einer Datengrundlage zu den Entscheiden im Familienrecht überzeugt ist, wird der Bundesrat im Falle der Annahme der Motion im Erstrat im Zweitrat den Antrag auf Umwandlung in einen Prüfauftrag stellen.</p> Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, eine Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht zu schaffen. Die zu erhebenden Mikrodaten sollen Informationen zu Vorhandensein, Höhe und Dauer der festgelegten Unterhaltsbeiträge in den Kategorien ehelicher (Art. 163 ZGB), nachehelicher (Art. 125 ZGB) und Kindesunterhalt (Art. 276 ff. ZGB), sowie bezüglich weiterer Aspekte von Unterhaltsvereinbarungen, Trennungsvereinbarungen, Scheidungskonventionen, sowie Gerichtsurteilen enthalten (gesetzliche Grundlagen, Sorgerecht, Obhut, Besuchsrecht, Vorsorgeausgleich, Güterrecht, Annahmen bezüglich Erwerbseinkommen und Ausgaben). Die Daten sollen für Forschungszwecke mit weiteren Datenquellen verknüpft werden können.</p>
    • Schaffung einer Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht

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