Personen in Alters- und Pflegeheimen sollen ihren Wohnsitz behalten dürfen

ShortId
23.4344
Id
20234344
Updated
20.09.2024 16:07
Language
de
Title
Personen in Alters- und Pflegeheimen sollen ihren Wohnsitz behalten dürfen
AdditionalIndexing
28;1211;04
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>In der Regel ist der Wohnort mit dem Wohnsitz im Sinne von Artikeln 23ff. ZGB identisch, aber nicht immer. Der Wohnort ist der Ort, wo eine Person ständig wohnt, ohne dort notwendigerweise ihren Wohnsitz zu haben. In der Praxis ist dies der Fall, wenn eine Person in einem Heim, in betreutem Wohnen, im Strafvollzug, im Frauenhaus etc. wohnt. Gemäss der Rechtsprechung gibt es für Alters- und Pflegeheime eine Ausnahme. Soll heissen, wer „freiwillig“ ins Alters- und Pflegeheim geht, verlegt seinen zivilrechtlichen Wohnsitz. Wer nicht „freiwillig“ in ein Alters- und Pflegeheim geht, behält seinen Wohnsitz. Darunter fallen vor allem verbeiständete Personen.</p><p>In der Praxis führt diese vom Bundesgericht herbeigeführte Änderung zu zahlreichen Problemen. So stellt sich immer die Frage des Gesundheitszustandes. Oft gehen Personen in ein Ferienbett, manchmal bleiben sie dann aber trotzdem bis zum Lebensende im Heim. Die Frage der „Freiwilligkeit“ lässt sich kaum präzise beantworten und führt immer wieder zu Zuständigkeitsklagen.</p><p>Ein weiterer Nachteil ist, dass wenn der zivilrechtliche Wohnsitz ändert, die Person am neuen Wohnsitz steuerpflichtig wird. Hingegen bleibt die Restfinanzierung der Pflegekosten bei der vorherigen Wohnsitzgemeinde bestehen. Bei den Ergänzungsleistungen ergeben sich ähnliche Problem, so hat jemand beispielsweise jahrelang in einem Kanton Steuern bezahlt und bezieht dann in einem anderen Ergänzungsleistungen.</p><p>Auch die betroffenen Personen möchten in der Regel ihren Wohnsitz nicht ändern, da sie oftmals ihr ganzes Leben in der „alten“ Gemeinde gewohnt haben. Dies macht sich ebenfalls bemerkbar, wenn es um die Bestattung geht. Sie finden ihre letzte Ruhe in ihrer „alten“ Gemeinde, gelten dann aber als auswärtig, wodurch sie oftmals Nachteile haben, wie beispielsweise höhere Bestattungsgebühren.</p><p>Viele Gemeinden und Kantone haben daher diese vom Bundesgericht herbeigeführte Praxisänderung noch gar nicht umgesetzt nach dem Motto „wo kein Kläger da kein Richter“.&nbsp;</p>
  • <p>Nach Ansicht des Bundesrates lässt die Begründung der Motion trotz der expliziten Erwähnung von Artikel 23 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) vermuten, dass sie nicht auf eine Änderung der Rechtsgrundlagen zum zivilrechtlichen Wohnsitz abzielt, sondern vielmehr derjenigen zum steuerlichen Wohnsitz für Personen, die in ein Alters- und Pflegeheim eintreten. Als besonders problematisch wird erachtet, dass die Gemeinde oder der Kanton des früheren Wohnsitzes aufgrund von Spezialgesetzen verpflichtet ist, die Restfinanzierung der Pflegekosten und Ergänzungsleistungen zu übernehmen. Zwar kann die Gemeinde oder der Kanton des Herkunftsortes tatsächlich keine Steuern mehr erheben, wenn die Steuern am Ort des Alters- und Pflegeheims bezahlt werden, sie konnte aber in der Regel lange von den Steuereinnahmen dieser Personen profitieren.</p><p>Diese Situation kann nicht durch eine Revision der Bestimmungen des Zivilgesetzbuches geändert werden, weil in Bezug auf das Steuerrecht gilt, dass bei direkten Steuern (direkte Bundesssteuer und direkte Steuern der Kantone und Gemeinden) die Steuerpflicht nicht direkt am zivilrechtlichen Wohnsitz nach Artikel 23 ZGB anknüpft. Der steuerliche Wohnsitz einer natürlichen Person wird in Artikel 3 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) beziehungsweise Artikel 3 Absatz 2 des Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG; SR 642.14) eigenständig definiert, auch wenn sich die Definition eng an die Begriffsbestimmung von Artikel 23 ZGB anlehnt. Für die Begründung des Wohnsitzes nach Artikel 3 Absatz 2 DBG bzw. StHG müssen zwei Merkmale erfüllt sein: ein objektives äusseres, der Aufenthalt, sowie ein subjektives inneres, die Absicht dauernden Verbleibens. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kommt es nicht auf den inneren Willen, sondern darauf an, welche Absicht objektiv erkennbar ist. Ein Aufenthalt in einem Alters- oder Pflegeheim begründet einen steuerlichen Wohnsitz, wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der dort wohnenden Person an den Ort des Pflegeheims verlagert hat und die Umstände zeigen, dass die Dauer des Aufenthalts an diesem Ort unbestimmt ist, z.B. wenn die Person ihre bis dahin bewohnte Wohnung aufgegeben hat. Bei Einführung eines Wahlrechtes von Personen, die in ein Alters- oder Pflegeheim eintreten, würde neu auf ein rein subjektives Kriterium abgestellt. Dies ist schon allein aufgrund des sich für die betroffenen Personen eröffnenden Gestaltungsspielraums abzulehnen.</p><p>Im Zivilrecht ist das Ziel der Motion bereits weitgehend erreicht, da «der Aufenthalt einer Person in einer […] Pflegeeinrichtung […] <i>für sich allein</i> keinen Wohnsitz [begründet]» (Art. 23 Abs. 1 2. Halbsatz ZGB). Dieser Wortlaut macht aber «[…] deutlich, dass die betroffene Person in gewissen Fällen an diesem Ort trotzdem ihren Lebensmittelpunkt und damit ihren Wohnsitz haben kann.» (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BBl 2006 7001, 7096). Im Übrigen würde es das Konzept des zivilrechtlichen Wohnsitzes grundlegend in Frage stellen, wollte man die Begründung des Wohnsitzes an einem anderen Ort zulassen, als demjenigen, wo die Person sich mit der Absicht dauerhaften Verbleibs aufhält.</p><p><br><br>Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.</p>
  • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass Personen, die in ein Alters- oder Pflegeheim eintreten, ihren Wohnsitz behalten dürfen.</p><p>&nbsp;</p><p>Eine Minderheit der Kommission (Weichelt, Feri Yvonne, Gysi Barbara, Maillard, Meyer Mattea, Porchet, Wasserfallen Flavia, Wettstein) beantragt, die Motion abzulehnen.</p>
  • Personen in Alters- und Pflegeheimen sollen ihren Wohnsitz behalten dürfen
State
Zugewiesen an die behandelnde Kommission
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>In der Regel ist der Wohnort mit dem Wohnsitz im Sinne von Artikeln 23ff. ZGB identisch, aber nicht immer. Der Wohnort ist der Ort, wo eine Person ständig wohnt, ohne dort notwendigerweise ihren Wohnsitz zu haben. In der Praxis ist dies der Fall, wenn eine Person in einem Heim, in betreutem Wohnen, im Strafvollzug, im Frauenhaus etc. wohnt. Gemäss der Rechtsprechung gibt es für Alters- und Pflegeheime eine Ausnahme. Soll heissen, wer „freiwillig“ ins Alters- und Pflegeheim geht, verlegt seinen zivilrechtlichen Wohnsitz. Wer nicht „freiwillig“ in ein Alters- und Pflegeheim geht, behält seinen Wohnsitz. Darunter fallen vor allem verbeiständete Personen.</p><p>In der Praxis führt diese vom Bundesgericht herbeigeführte Änderung zu zahlreichen Problemen. So stellt sich immer die Frage des Gesundheitszustandes. Oft gehen Personen in ein Ferienbett, manchmal bleiben sie dann aber trotzdem bis zum Lebensende im Heim. Die Frage der „Freiwilligkeit“ lässt sich kaum präzise beantworten und führt immer wieder zu Zuständigkeitsklagen.</p><p>Ein weiterer Nachteil ist, dass wenn der zivilrechtliche Wohnsitz ändert, die Person am neuen Wohnsitz steuerpflichtig wird. Hingegen bleibt die Restfinanzierung der Pflegekosten bei der vorherigen Wohnsitzgemeinde bestehen. Bei den Ergänzungsleistungen ergeben sich ähnliche Problem, so hat jemand beispielsweise jahrelang in einem Kanton Steuern bezahlt und bezieht dann in einem anderen Ergänzungsleistungen.</p><p>Auch die betroffenen Personen möchten in der Regel ihren Wohnsitz nicht ändern, da sie oftmals ihr ganzes Leben in der „alten“ Gemeinde gewohnt haben. Dies macht sich ebenfalls bemerkbar, wenn es um die Bestattung geht. Sie finden ihre letzte Ruhe in ihrer „alten“ Gemeinde, gelten dann aber als auswärtig, wodurch sie oftmals Nachteile haben, wie beispielsweise höhere Bestattungsgebühren.</p><p>Viele Gemeinden und Kantone haben daher diese vom Bundesgericht herbeigeführte Praxisänderung noch gar nicht umgesetzt nach dem Motto „wo kein Kläger da kein Richter“.&nbsp;</p>
    • <p>Nach Ansicht des Bundesrates lässt die Begründung der Motion trotz der expliziten Erwähnung von Artikel 23 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) vermuten, dass sie nicht auf eine Änderung der Rechtsgrundlagen zum zivilrechtlichen Wohnsitz abzielt, sondern vielmehr derjenigen zum steuerlichen Wohnsitz für Personen, die in ein Alters- und Pflegeheim eintreten. Als besonders problematisch wird erachtet, dass die Gemeinde oder der Kanton des früheren Wohnsitzes aufgrund von Spezialgesetzen verpflichtet ist, die Restfinanzierung der Pflegekosten und Ergänzungsleistungen zu übernehmen. Zwar kann die Gemeinde oder der Kanton des Herkunftsortes tatsächlich keine Steuern mehr erheben, wenn die Steuern am Ort des Alters- und Pflegeheims bezahlt werden, sie konnte aber in der Regel lange von den Steuereinnahmen dieser Personen profitieren.</p><p>Diese Situation kann nicht durch eine Revision der Bestimmungen des Zivilgesetzbuches geändert werden, weil in Bezug auf das Steuerrecht gilt, dass bei direkten Steuern (direkte Bundesssteuer und direkte Steuern der Kantone und Gemeinden) die Steuerpflicht nicht direkt am zivilrechtlichen Wohnsitz nach Artikel 23 ZGB anknüpft. Der steuerliche Wohnsitz einer natürlichen Person wird in Artikel 3 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) beziehungsweise Artikel 3 Absatz 2 des Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG; SR 642.14) eigenständig definiert, auch wenn sich die Definition eng an die Begriffsbestimmung von Artikel 23 ZGB anlehnt. Für die Begründung des Wohnsitzes nach Artikel 3 Absatz 2 DBG bzw. StHG müssen zwei Merkmale erfüllt sein: ein objektives äusseres, der Aufenthalt, sowie ein subjektives inneres, die Absicht dauernden Verbleibens. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kommt es nicht auf den inneren Willen, sondern darauf an, welche Absicht objektiv erkennbar ist. Ein Aufenthalt in einem Alters- oder Pflegeheim begründet einen steuerlichen Wohnsitz, wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der dort wohnenden Person an den Ort des Pflegeheims verlagert hat und die Umstände zeigen, dass die Dauer des Aufenthalts an diesem Ort unbestimmt ist, z.B. wenn die Person ihre bis dahin bewohnte Wohnung aufgegeben hat. Bei Einführung eines Wahlrechtes von Personen, die in ein Alters- oder Pflegeheim eintreten, würde neu auf ein rein subjektives Kriterium abgestellt. Dies ist schon allein aufgrund des sich für die betroffenen Personen eröffnenden Gestaltungsspielraums abzulehnen.</p><p>Im Zivilrecht ist das Ziel der Motion bereits weitgehend erreicht, da «der Aufenthalt einer Person in einer […] Pflegeeinrichtung […] <i>für sich allein</i> keinen Wohnsitz [begründet]» (Art. 23 Abs. 1 2. Halbsatz ZGB). Dieser Wortlaut macht aber «[…] deutlich, dass die betroffene Person in gewissen Fällen an diesem Ort trotzdem ihren Lebensmittelpunkt und damit ihren Wohnsitz haben kann.» (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BBl 2006 7001, 7096). Im Übrigen würde es das Konzept des zivilrechtlichen Wohnsitzes grundlegend in Frage stellen, wollte man die Begründung des Wohnsitzes an einem anderen Ort zulassen, als demjenigen, wo die Person sich mit der Absicht dauerhaften Verbleibs aufhält.</p><p><br><br>Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.</p>
    • <p>Der Bundesrat wird beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass Personen, die in ein Alters- oder Pflegeheim eintreten, ihren Wohnsitz behalten dürfen.</p><p>&nbsp;</p><p>Eine Minderheit der Kommission (Weichelt, Feri Yvonne, Gysi Barbara, Maillard, Meyer Mattea, Porchet, Wasserfallen Flavia, Wettstein) beantragt, die Motion abzulehnen.</p>
    • Personen in Alters- und Pflegeheimen sollen ihren Wohnsitz behalten dürfen

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