Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen
- ShortId
-
23.4531
- Id
-
20234531
- Updated
-
19.12.2024 08:26
- Language
-
de
- Title
-
Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen
- AdditionalIndexing
-
08;1231;09;15
- 1
-
- PriorityCouncil1
-
Ständerat
- Texts
-
- <p>Das achte Sanktionspaket der EU gegenüber Russland, das die Schweiz übernommen hat, sieht ein Verbot der Rechtsberatung von sanktionierten Personen und Unternehmen vor. Verstösse gegen dieses Verbot, werden u.a. mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. Für diesen Teil der Verordnung fehlt die gesetzliche Grundlage, und dieser Teil der Verordnung verletzt Artikel 1 StGB, sprich die verfassungsmässigen Rechte der Betroffenen.</p><p>Der Bundesrat führt aus, die zweite Ukraine-Verordnung stütze sich mehrheitlich auf das Embargogesetz (EmbG). Dabei entscheidet der Bundesrat im Einzelfall darüber, ob die Schweiz die von der EU beschlossenen Sanktionen ganz, teilweise oder gar nicht übernimmt. Das Embargogesetz erlaubt keine autonome Sanktion der Schweiz, sondern nur Zwangsmassnahmen zur Durchsetzung von Sanktionen anderer, namentlich der UNO, der EU, der OSZE, aber auch der wichtigsten Handelspartner der Schweiz.</p><p>Fraglich ist inwiefern das schlichte Übernehmen von Sanktionen anderer Völkerrechtssubjekte je als Durchsetzung der übernommenen Sanktionen gelten kann, die nicht durchgesetzt, sondern eben einfach übernommen werden. Unhaltbar ist auf jeden Fall die Unbestimmtheit der gesetzlichen Grundlage, nämlich des Passus, der sich auf die wichtigsten Handelspartner der Schweiz bezieht. Dabei bleibt gänzlich offen, wer genau das ist und wer nicht, womit eben auch offenbleibt, welche Sanktionen überhaupt mit Zwangsmassnahmen durchgesetzt werden sollen. Fraglich ist ebenfalls, inwiefern die Einschränkung des rechtlichen Gehörs - denn darum geht es beim Verbot der Rechtsberatung - jemals der Respektierung der Menschenrechte dienen kann, was aber nach Artikel 1 EmbG eine notwendige Voraussetzung für Zwangsmassnahmen ist. Es ist jedenfalls höchst widersprüchlich, die Menschenrechte einzuschränken, um die Respektierung der Menschenrechte zu verwirklichen.</p><p>Selbst wenn man aber diese Unbestimmtheit hinnehmen wollte, bliebe dennoch ein schwerwiegendes Grundrechtsproblem. Rechtsberatung bildet, wie bereits erwähnt, unstrittig Teil des Grundrechtes auf rechtliches Gehör. Die Einschränkung von Grundrechten benötigt ebenso unstrittig eine gesetzliche Grundlage. Diese Grundlage kann nicht im Embargogesetz bestehen. Art. 1 des Embargogesetzes bestimmt zwar, dass der Bund «Zwangsmassnahmen erlassen [kann], um Sanktionen durchzusetzen», wobei «Zwangsmassnahmen im Sinne des Gesetzes namentlich Verbote, Bewilligungs- und Meldepflichten sowie andere Einschränkungen von Rechten umfassen», doch kann das ganz offensichtlich nicht Grundrechte meinen. Es kann sicherlich nicht zulässig sein, basierend auf einer Bestimmung, die selbst höchst unbestimmt ist (erinnert sei nur an den Passus «von den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz beschlossen»), der Exekutive die Kompetenz zu übertragen wichtigste, verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte zu beschränken oder gar auszuhebeln, denn um ein Aushebeln im eigentlichen Sinn handelt es sich ja, wenn die Rechtsberatung nicht beschränkt, sondern verboten wird. Ein solches Vorgehen kann – im alleräussersten Fall – in Situationen des Notrechtes angezeigt sein, nicht aber bei schlichter Gesetzumsetzung. Von Notstand (für die Schweiz) wird im Hinblick auf die infrage stehenden Sanktionen wohl kaum die Rede sein.</p><p>Völlig ausser Diskussion steht aber, dass unabhängig von der Diskussion über die Bestimmtheit der Kompetenznorm der Erlass von Strafbestimmungen, die darauf basieren, ausgeschlossen bleiben muss. Nicht selten wird vertreten, dass die Regelungskompetenz auch die Kompetenz zum Erlass entsprechender Strafbestimmungen umfasse. Diese Einschätzung ist nicht korrekt. Der Grundsatz "nulla poena sine lege", also keine Strafe ohne Gesetz, kodifiziert in Artikel 1 des Strafgesetzbuches, einer Bestimmung mit Verfassungsrang, schliesst das aus. Strafnormen richten sich an die Rechtsunterworfenen. Sie müssen genügend bestimmt sein, damit die Adressaten die Vorgaben überhaupt befolgen können. Die Vorgaben müssen zudem in einem Gesetz umschrieben sein. Eine Verordnung kann dafür nicht genügen, weil es ihr nicht nur an der demokratischen Legitimität fehlt, sondern weil sie zudem nur allzu leicht abgeändert werden kann.</p><p>Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot, es sei wiederholt, ist ein Verfassungsrecht. Es verlangt ein Gesetz, auch aus Gründen der Zeit. Ein strafrechtlicher Vorwurf kann immer erst entstehen, nachdem die entsprechende Strafbestimmung in Kraft gesetzt wird. Es besteht ein Rückwirkungsverbot. Die Rechtsunterworfenen müssen sich also informieren können, was sie tun und was sie nicht tun dürfen. Ist nicht klar, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist, so erscheint auch der Vorwurf aufgrund dieses Verhaltens nicht als legitim. Wenn, wie vorliegend, die fragliche Verordnung ständig geändert wird - die hier interessierende zweite Ukraine-Verordnung im Schnitt dreimal pro Monat -, dann wird aus der rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgarantie eine Holschuld des Rechtsunterworfenen, also das Gegenteil dessen, was das Bestimmtheitsgebot anstrebt. Bedenkt man zudem, dass die einzelnen Änderungen auf spezifische Tageszeiten in Kraft gesetzt werden, wird die eigentliche Verkehrung des Bestimmtheitsgebotes in sein Gegenteil überdeutlich.</p><p>Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das Verbot von Rechtsberatung höchst problematisch, weil damit das Recht auf rechtliche Beratung verletzt wird und damit auch der Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Einschränkung dieses Grundrechtes kann somit keinesfalls mit Beschränkungen im Bereich von Wirtschaftsprüfung, Buchführung oder Steuerberatung verglichen werden. Unzweifelhaft ist, dass ein derartiger Grundrechtseingriff zumindest einer gesetzlichen Grundlage bedarf, eine Verordnung also nicht ausreicht. </p><p>Problematisch ist weiter die unklare Abgrenzung von Rechtsberatung und Rechtsvertretung, weil Rechtsberatung eben häufig im Hinblick auf mögliche Rechtsvertretung geleistet wird. Weil Rechtsstreitigkeiten für alle Beteiligten aufwendig und teuer sind, ist das Ziel jeder Rechtsberatung, solche Streitigkeiten zu vermeiden. Der Zugang zum schweizerischen Recht sollte unabhängig davon gewährleistet sein, ob ein Verfahren bereits im Gange ist oder nicht, und darf nicht mit dem Zugang zum Prozessrecht verwechselt werden. In Art. 28e Abs. 2bis lit. a und b der Zweiten Ukraine-Verordnung scheinen jedoch Ausnahmen für genau diese Fälle vorgesehen zu sein. Eine Rechtsberatung, die darauf abzielt, ein Verfahren zu vermeiden, wäre demnach nicht zulässig. Andererseits erscheint die Zulässigkeit einer Beratung im Hinblick auf ein noch zu eröffnendes Verfahren gemäss dem Wortlaut von Art. 28e der Zweiten Ukraine-Verordnung ebenfalls fraglich. Es erscheint zumindest inkonsistent, eine Rechtsberatung zu verbieten, die dazu dient, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden oder vorzubereiten, und diese erst dann zuzulassen, wenn ein Verfahren eingeleitet wurde.</p><p>Auch die Rechtsberatung wird vom Grundrecht des rechtlichen Gehörs umfasst. Es kann keine zweckmässige Unterscheidung zwischen der Rechtsberatung und der Rechtsvertretung im Verfahren gefunden werden. Damit bleibt die Unterscheidung ebenso unscharf und unklar wie die gesetzliche Grundlage, auf der sie beruht. Bedenkt man nun, dass für Verstösse erhebliche Strafen - Gefängnis bis zu einem Jahr - angedroht werden, erscheint dies geradezu als idealtypischer Anwendungsfall einer Verletzung von Artikel 1 StGB und damit als eine verfassungswidrige Strafe.</p><p> </p>
- <p>Die rechtsstaatlichen und demokratischen Werte haben in der Schweiz eine lange Tradition. Der Bundesrat betrachtet die Rechtsstaatlichkeit als ein hohes Gut, das er in seiner Amtstätigkeit zu schützen sucht.</p><p>Das Embargogesetz (EmbG; SR 946.231) bildet die Grundlage für den Erlass von Sanktionen durch den Bundesrat. Verstösse gegen die Bestimmungen der Sanktionsverordnungen sind gemäss EmbG, wie in unseren Nachbarländern, strafbewehrt. Damit die vom Bundesrat beschlossenen Embargomassnahmen wirksam sind, bedarf es eines angemessenen Strafrahmens. Dabei hat der Gesetzgeber seinerzeit das EmbG auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Strafbewehrung und der damit einhergehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung verabschiedet (Botschaft zum Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen, BBl 2001 1433, S. 1436). Die Form und den Inhalt der Sanktionen gegenüber einem bestimmten Staat oder einer bestimmten Organisation werden, gesetzgerberisch gewollt, nicht abschliessend genannt. Es obliegt dem Bundesrat, beim Erlass von Sanktionen die Massnahmen im Einzelnen zu bestimmen (obengenannte Botschaft zum Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen, BBl 2001 1433, S. 1451). Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gesetzgeber, gestützt auf die zugrundeliegende Botschaft des Bundesrates, mit der Einschränkung von Grundrechten auseinandergesetzt hat (obengenannte Botschaft zum Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen, BBl 2001 1433, S. 1448 f.). Dies ist auch folgerichtig, da Zwangsmassnahmen zwangsläufig mit der Einschränkung von Grundrechten verbunden sind.</p><p>Bezüglich der Ausführungen des Motionärs hinsichtlich des Rechtsberatungsverbots in der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine (SR 946.231.176.72) weist der Bundesrat darauf hin, dass lediglich Rechtsberatungsdienstleistungen zugunsten der russischen Regierung oder in Russland niedergelassenen juristische Personen verboten sind. Im Weiteren sind Rechtsdienstleistungen, die für die Wahrung des Rechts auf Verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder des Rechts auf eine wirksame Beschwerde erforderlich sind, vom Verbot ausgenommen. Ebenfalls vom Verbot ausgenommen, sind Rechtsdienstleistungen zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren. Das Rechtsberatungsverbot ist damit sowohl in seinem persönlichen als auch in seinem sachlichen Geltungsbereich stark eingeschränkt. Soweit sich in der Praxis Umsetzungsfragen stellen, bekräftigt der Bundesrat seine Bereitschaft, diese in Zusammenarbeit mit den zuständigen privaten Fachstellen, beispielsweise dem SAV, zu klären.</p><p><br><br>Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.</p>
- <p>Der Bundesrat wird beauftragt, Art. 28e der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine vom 4. März 2022 (Stand am 16. August 2023) in dem Sinne zu modifizieren, dass der Begriff der Rechtsberatung aus dem Anwendungsbereich der erwähnten Bestimmung entfernt wird. Dabei sind sämtliche verordnungsrechtlichen und regulatorischen Anpassungen vorzunehmen, damit die Rechtsberatung im schweizerischen Rechtssystem vollumfänglich gewährleistet wird. Dies bedeutet insbesondere die Gewährleistung der Rechtsberatung in jedem Rechtsbereich, gegenüber jedem Rechtssubjekt und die Abschaffung des Versuchs der unpräzisen Trennung zwischen Rechtsberatung und Rechtsvertretung. Darüber hinaus sind die damit verbundenen strafrechtlichen Sanktionen aus dem verordnungsrechtlichen Regularium zu entfernen.</p>
- Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen
- State
-
In Kommission des Ständerats
- Related Affairs
-
- Drafts
-
-
- Index
- 0
- Texts
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- <p>Das achte Sanktionspaket der EU gegenüber Russland, das die Schweiz übernommen hat, sieht ein Verbot der Rechtsberatung von sanktionierten Personen und Unternehmen vor. Verstösse gegen dieses Verbot, werden u.a. mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. Für diesen Teil der Verordnung fehlt die gesetzliche Grundlage, und dieser Teil der Verordnung verletzt Artikel 1 StGB, sprich die verfassungsmässigen Rechte der Betroffenen.</p><p>Der Bundesrat führt aus, die zweite Ukraine-Verordnung stütze sich mehrheitlich auf das Embargogesetz (EmbG). Dabei entscheidet der Bundesrat im Einzelfall darüber, ob die Schweiz die von der EU beschlossenen Sanktionen ganz, teilweise oder gar nicht übernimmt. Das Embargogesetz erlaubt keine autonome Sanktion der Schweiz, sondern nur Zwangsmassnahmen zur Durchsetzung von Sanktionen anderer, namentlich der UNO, der EU, der OSZE, aber auch der wichtigsten Handelspartner der Schweiz.</p><p>Fraglich ist inwiefern das schlichte Übernehmen von Sanktionen anderer Völkerrechtssubjekte je als Durchsetzung der übernommenen Sanktionen gelten kann, die nicht durchgesetzt, sondern eben einfach übernommen werden. Unhaltbar ist auf jeden Fall die Unbestimmtheit der gesetzlichen Grundlage, nämlich des Passus, der sich auf die wichtigsten Handelspartner der Schweiz bezieht. Dabei bleibt gänzlich offen, wer genau das ist und wer nicht, womit eben auch offenbleibt, welche Sanktionen überhaupt mit Zwangsmassnahmen durchgesetzt werden sollen. Fraglich ist ebenfalls, inwiefern die Einschränkung des rechtlichen Gehörs - denn darum geht es beim Verbot der Rechtsberatung - jemals der Respektierung der Menschenrechte dienen kann, was aber nach Artikel 1 EmbG eine notwendige Voraussetzung für Zwangsmassnahmen ist. Es ist jedenfalls höchst widersprüchlich, die Menschenrechte einzuschränken, um die Respektierung der Menschenrechte zu verwirklichen.</p><p>Selbst wenn man aber diese Unbestimmtheit hinnehmen wollte, bliebe dennoch ein schwerwiegendes Grundrechtsproblem. Rechtsberatung bildet, wie bereits erwähnt, unstrittig Teil des Grundrechtes auf rechtliches Gehör. Die Einschränkung von Grundrechten benötigt ebenso unstrittig eine gesetzliche Grundlage. Diese Grundlage kann nicht im Embargogesetz bestehen. Art. 1 des Embargogesetzes bestimmt zwar, dass der Bund «Zwangsmassnahmen erlassen [kann], um Sanktionen durchzusetzen», wobei «Zwangsmassnahmen im Sinne des Gesetzes namentlich Verbote, Bewilligungs- und Meldepflichten sowie andere Einschränkungen von Rechten umfassen», doch kann das ganz offensichtlich nicht Grundrechte meinen. Es kann sicherlich nicht zulässig sein, basierend auf einer Bestimmung, die selbst höchst unbestimmt ist (erinnert sei nur an den Passus «von den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz beschlossen»), der Exekutive die Kompetenz zu übertragen wichtigste, verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte zu beschränken oder gar auszuhebeln, denn um ein Aushebeln im eigentlichen Sinn handelt es sich ja, wenn die Rechtsberatung nicht beschränkt, sondern verboten wird. Ein solches Vorgehen kann – im alleräussersten Fall – in Situationen des Notrechtes angezeigt sein, nicht aber bei schlichter Gesetzumsetzung. Von Notstand (für die Schweiz) wird im Hinblick auf die infrage stehenden Sanktionen wohl kaum die Rede sein.</p><p>Völlig ausser Diskussion steht aber, dass unabhängig von der Diskussion über die Bestimmtheit der Kompetenznorm der Erlass von Strafbestimmungen, die darauf basieren, ausgeschlossen bleiben muss. Nicht selten wird vertreten, dass die Regelungskompetenz auch die Kompetenz zum Erlass entsprechender Strafbestimmungen umfasse. Diese Einschätzung ist nicht korrekt. Der Grundsatz "nulla poena sine lege", also keine Strafe ohne Gesetz, kodifiziert in Artikel 1 des Strafgesetzbuches, einer Bestimmung mit Verfassungsrang, schliesst das aus. Strafnormen richten sich an die Rechtsunterworfenen. Sie müssen genügend bestimmt sein, damit die Adressaten die Vorgaben überhaupt befolgen können. Die Vorgaben müssen zudem in einem Gesetz umschrieben sein. Eine Verordnung kann dafür nicht genügen, weil es ihr nicht nur an der demokratischen Legitimität fehlt, sondern weil sie zudem nur allzu leicht abgeändert werden kann.</p><p>Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot, es sei wiederholt, ist ein Verfassungsrecht. Es verlangt ein Gesetz, auch aus Gründen der Zeit. Ein strafrechtlicher Vorwurf kann immer erst entstehen, nachdem die entsprechende Strafbestimmung in Kraft gesetzt wird. Es besteht ein Rückwirkungsverbot. Die Rechtsunterworfenen müssen sich also informieren können, was sie tun und was sie nicht tun dürfen. Ist nicht klar, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist, so erscheint auch der Vorwurf aufgrund dieses Verhaltens nicht als legitim. Wenn, wie vorliegend, die fragliche Verordnung ständig geändert wird - die hier interessierende zweite Ukraine-Verordnung im Schnitt dreimal pro Monat -, dann wird aus der rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgarantie eine Holschuld des Rechtsunterworfenen, also das Gegenteil dessen, was das Bestimmtheitsgebot anstrebt. Bedenkt man zudem, dass die einzelnen Änderungen auf spezifische Tageszeiten in Kraft gesetzt werden, wird die eigentliche Verkehrung des Bestimmtheitsgebotes in sein Gegenteil überdeutlich.</p><p>Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das Verbot von Rechtsberatung höchst problematisch, weil damit das Recht auf rechtliche Beratung verletzt wird und damit auch der Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Einschränkung dieses Grundrechtes kann somit keinesfalls mit Beschränkungen im Bereich von Wirtschaftsprüfung, Buchführung oder Steuerberatung verglichen werden. Unzweifelhaft ist, dass ein derartiger Grundrechtseingriff zumindest einer gesetzlichen Grundlage bedarf, eine Verordnung also nicht ausreicht. </p><p>Problematisch ist weiter die unklare Abgrenzung von Rechtsberatung und Rechtsvertretung, weil Rechtsberatung eben häufig im Hinblick auf mögliche Rechtsvertretung geleistet wird. Weil Rechtsstreitigkeiten für alle Beteiligten aufwendig und teuer sind, ist das Ziel jeder Rechtsberatung, solche Streitigkeiten zu vermeiden. Der Zugang zum schweizerischen Recht sollte unabhängig davon gewährleistet sein, ob ein Verfahren bereits im Gange ist oder nicht, und darf nicht mit dem Zugang zum Prozessrecht verwechselt werden. In Art. 28e Abs. 2bis lit. a und b der Zweiten Ukraine-Verordnung scheinen jedoch Ausnahmen für genau diese Fälle vorgesehen zu sein. Eine Rechtsberatung, die darauf abzielt, ein Verfahren zu vermeiden, wäre demnach nicht zulässig. Andererseits erscheint die Zulässigkeit einer Beratung im Hinblick auf ein noch zu eröffnendes Verfahren gemäss dem Wortlaut von Art. 28e der Zweiten Ukraine-Verordnung ebenfalls fraglich. Es erscheint zumindest inkonsistent, eine Rechtsberatung zu verbieten, die dazu dient, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden oder vorzubereiten, und diese erst dann zuzulassen, wenn ein Verfahren eingeleitet wurde.</p><p>Auch die Rechtsberatung wird vom Grundrecht des rechtlichen Gehörs umfasst. Es kann keine zweckmässige Unterscheidung zwischen der Rechtsberatung und der Rechtsvertretung im Verfahren gefunden werden. Damit bleibt die Unterscheidung ebenso unscharf und unklar wie die gesetzliche Grundlage, auf der sie beruht. Bedenkt man nun, dass für Verstösse erhebliche Strafen - Gefängnis bis zu einem Jahr - angedroht werden, erscheint dies geradezu als idealtypischer Anwendungsfall einer Verletzung von Artikel 1 StGB und damit als eine verfassungswidrige Strafe.</p><p> </p>
- <p>Die rechtsstaatlichen und demokratischen Werte haben in der Schweiz eine lange Tradition. Der Bundesrat betrachtet die Rechtsstaatlichkeit als ein hohes Gut, das er in seiner Amtstätigkeit zu schützen sucht.</p><p>Das Embargogesetz (EmbG; SR 946.231) bildet die Grundlage für den Erlass von Sanktionen durch den Bundesrat. Verstösse gegen die Bestimmungen der Sanktionsverordnungen sind gemäss EmbG, wie in unseren Nachbarländern, strafbewehrt. Damit die vom Bundesrat beschlossenen Embargomassnahmen wirksam sind, bedarf es eines angemessenen Strafrahmens. Dabei hat der Gesetzgeber seinerzeit das EmbG auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Strafbewehrung und der damit einhergehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung verabschiedet (Botschaft zum Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen, BBl 2001 1433, S. 1436). Die Form und den Inhalt der Sanktionen gegenüber einem bestimmten Staat oder einer bestimmten Organisation werden, gesetzgerberisch gewollt, nicht abschliessend genannt. Es obliegt dem Bundesrat, beim Erlass von Sanktionen die Massnahmen im Einzelnen zu bestimmen (obengenannte Botschaft zum Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen, BBl 2001 1433, S. 1451). Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gesetzgeber, gestützt auf die zugrundeliegende Botschaft des Bundesrates, mit der Einschränkung von Grundrechten auseinandergesetzt hat (obengenannte Botschaft zum Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen, BBl 2001 1433, S. 1448 f.). Dies ist auch folgerichtig, da Zwangsmassnahmen zwangsläufig mit der Einschränkung von Grundrechten verbunden sind.</p><p>Bezüglich der Ausführungen des Motionärs hinsichtlich des Rechtsberatungsverbots in der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine (SR 946.231.176.72) weist der Bundesrat darauf hin, dass lediglich Rechtsberatungsdienstleistungen zugunsten der russischen Regierung oder in Russland niedergelassenen juristische Personen verboten sind. Im Weiteren sind Rechtsdienstleistungen, die für die Wahrung des Rechts auf Verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder des Rechts auf eine wirksame Beschwerde erforderlich sind, vom Verbot ausgenommen. Ebenfalls vom Verbot ausgenommen, sind Rechtsdienstleistungen zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren. Das Rechtsberatungsverbot ist damit sowohl in seinem persönlichen als auch in seinem sachlichen Geltungsbereich stark eingeschränkt. Soweit sich in der Praxis Umsetzungsfragen stellen, bekräftigt der Bundesrat seine Bereitschaft, diese in Zusammenarbeit mit den zuständigen privaten Fachstellen, beispielsweise dem SAV, zu klären.</p><p><br><br>Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.</p>
- <p>Der Bundesrat wird beauftragt, Art. 28e der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine vom 4. März 2022 (Stand am 16. August 2023) in dem Sinne zu modifizieren, dass der Begriff der Rechtsberatung aus dem Anwendungsbereich der erwähnten Bestimmung entfernt wird. Dabei sind sämtliche verordnungsrechtlichen und regulatorischen Anpassungen vorzunehmen, damit die Rechtsberatung im schweizerischen Rechtssystem vollumfänglich gewährleistet wird. Dies bedeutet insbesondere die Gewährleistung der Rechtsberatung in jedem Rechtsbereich, gegenüber jedem Rechtssubjekt und die Abschaffung des Versuchs der unpräzisen Trennung zwischen Rechtsberatung und Rechtsvertretung. Darüber hinaus sind die damit verbundenen strafrechtlichen Sanktionen aus dem verordnungsrechtlichen Regularium zu entfernen.</p>
- Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen
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