Psychischer Druck ist kein Asylgrund

ShortId
24.3658
Id
20243658
Updated
25.09.2024 08:43
Language
de
Title
Psychischer Druck ist kein Asylgrund
AdditionalIndexing
2811;2841
1
PriorityCouncil1
Nationalrat
Texts
  • <p>Das SEM weitet den Flüchtlingsbegriff ständig aus. Gemäss Art. 3 Abs. 1 AsylG gilt als Flüchtling, wer in seinem Heimat- oder Herkunftsstaat wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Abs. 2 definiert die ernsthaften Nachteile. Als solche gelten «namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken».</p><p>Wird das Kriterium des psychischen Druckes nicht zurückhaltend angewandt, können z.B. geschlechtsspezifische Diskriminierungen von Frauen in patriarchalischen Gesellschaften zu einer sehr hohen Asylgewährungsquote führen. Genau das ist mit der SEM-Praxisänderung zu Afghaninnen geschehen: Wenn vorher 36% und seither plötzlich 98% aller Asylgesuche afghanischer Frauen gutgeheissen werden, ist es offensichtlich, dass die Schwelle für den «unerträglichen psychischen Druck» massiv gesenkt wurde. Diese Senkung der Asylschwelle auf das Niveau einer blossen Diskriminierung führt dazu, dass Frauen aus vielen anderen, sie ebenfalls aus religiösen Gründen diskriminierenden Staaten auch Asyl erhalten werden.</p><p>Die Rechtsprechung verlangt eine bestimmte Intensität erlittener Nachteile für eine Asylgewährung. Eine geschlechtsspezifische Diskriminierung stellt für sich allein keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dar (vgl. auch EMARK 2006/32 E.8.7.3). Der Unterschied zwischen Diskriminierung und flüchtlingsrechtlicher Verfolgung liegt in der Intensität des Eingriffs (ebd.). Als das Bundesverwaltungsgericht im Falle von Frauen und Mädchen in Somalia eine Kollektivverfolgung annahm, verlangte es nicht nur die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, sondern zusätzlich das Verfolgungsmotiv der Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan, die interne Vertreibung und das Fehlen des Schutzes durch einen erwachsenen männlichen Verwandten (vgl. BVGE 2014/2024/27 E.6.6). Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass die Anforderungen an eine Kollektivverfolgung sehr hoch sind. Das widerspiegelt sich aber nicht in der Praxis des SEM, weshalb sich die Anpassung aufdrängt.</p>
  • <div><p style="margin-top:0pt; margin-bottom:0pt; line-height:150%; widows:0; orphans:0; font-size:11pt"><span style="font-family:Arial">Die Definition des Flüchtlingsbegriffs im schweizerischen Asylgesetz (AsylG; SR 142.31) stützt sich auf den Verfolgungsbegriff im Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Flüchtlingskonvention, FK; SR 0.142.30). In der Auslegung der FK versteht sich der Begriff der Verfolgung nicht nur als Bedrohung des Lebens oder der Freiheit eines Menschen aufgrund eines flüchtlingsrechtlich relevanten Motivs, sondern bezieht sich auch auf andere schwerwiegende Verstösse gegen die Menschenrechte, wenn diese aus einem solchen Grund erfolgen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Abs. 51-53). Der Begriff des «unerträglichen psychischen Drucks» wurde bereits im Flüchtlingsbegriff des ersten Asylgesetzes (in Kraft getreten am 1.</span><span style="font-family:Arial">&#xa0;</span><span style="font-family:Arial">Januar 1981) verankert. Damit schuf auch der schweizerische Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür, dass Verfolgungsmassnahmen, die sich gegen andere Rechtsgüter als Leben, Leib oder Freiheit richten, einen ernsthaften Nachteil im Sinn von Art. 3 AsylG darstellen können. Entsprechend werden an die Intensität einer solchen Verfolgung die gleichen Anforderungen gestellt wie an die Eingriffe in die oben genannten Rechtsgüter. Ein unerträglicher psychischer Druck liegt vor, wenn einzelne Personen oder Teile einer Bevölkerung systematisch schweren oder wiederholten Eingriffen in ihre Menschenrechte ausgesetzt sind und diese Eingriffe eine derartige Intensität erreichen, dass ein menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich erscheint und ein weiterer Verbleib im Heimatstaat objektiv betrachtet nicht mehr zugemutet werden kann. Mit dem Begriff des «unerträglichen psychischen Drucks» wurde somit kein Auffangtatbestand geschaffen, um weniger intensive Eingriffe in Leib, Leben oder Freiheit flüchtlingsrechtlich anzuerkennen. Der ist ein Tatbestand, für den dieselben strengen Voraussetzungen gelten. Dies wurde von der vormaligen Asylrekurskommission sowie vom Bundesverwaltungsgericht (BVGer) anerkannt (EMARK 1993/10 S. 65 mit Verweisen; BVGE 2010/28, E. 3.3.1.1). </span></p><p style="margin-top:0pt; margin-bottom:0pt; line-height:150%; widows:0; orphans:0; font-size:11pt"><span style="font-family:Arial">Im Asylverfahren prüft das Staatssekretariat für Migration (SEM) in jedem Einzelfall individuell, ob die Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft und damit auch die Voraussetzungen für die Annahme eines unerträglichen psychischen Druckes erfüllt sind. Entgegen der Ansicht des Motionärs wird weder vom BVGer für somalische Frauen aus einem Minderheitenclan, noch vom SEM für afghanischen Frauen und Mädchen eine Kollektivverfolgung angenommen. Die Asylgewährungsquote – das heisst der Anteil der Asylgewährungen am Total aller Asylentscheide (Asylgewährungen, -ablehnungen sowie Nichteintretensentscheide) – betreffend Frauen und Mädchen aus Afghanistan beträgt nach der Praxisänderung 76% (Auswertungszeitraum: 01.07.2023 – 30.04.2024).</span></p><p style="margin-top:0pt; margin-bottom:0pt; line-height:150%; widows:0; orphans:0; font-size:11pt"><span style="font-family:Arial">Aus Sicht des Bundesrats ist es somit nicht angezeigt, den Begriff des «unerträglichen psychischen Drucks» aus dem Asylgesetz zu streichen. </span></p></div><br><br>Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
  • <p>In Art. 3 Abs. 2 AsylG ist die Wendung «Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken», zu streichen.</p>
  • Psychischer Druck ist kein Asylgrund
State
Stellungnahme zum Vorstoss liegt vor
Related Affairs
Drafts
  • Index
    0
    Texts
    • <p>Das SEM weitet den Flüchtlingsbegriff ständig aus. Gemäss Art. 3 Abs. 1 AsylG gilt als Flüchtling, wer in seinem Heimat- oder Herkunftsstaat wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Abs. 2 definiert die ernsthaften Nachteile. Als solche gelten «namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken».</p><p>Wird das Kriterium des psychischen Druckes nicht zurückhaltend angewandt, können z.B. geschlechtsspezifische Diskriminierungen von Frauen in patriarchalischen Gesellschaften zu einer sehr hohen Asylgewährungsquote führen. Genau das ist mit der SEM-Praxisänderung zu Afghaninnen geschehen: Wenn vorher 36% und seither plötzlich 98% aller Asylgesuche afghanischer Frauen gutgeheissen werden, ist es offensichtlich, dass die Schwelle für den «unerträglichen psychischen Druck» massiv gesenkt wurde. Diese Senkung der Asylschwelle auf das Niveau einer blossen Diskriminierung führt dazu, dass Frauen aus vielen anderen, sie ebenfalls aus religiösen Gründen diskriminierenden Staaten auch Asyl erhalten werden.</p><p>Die Rechtsprechung verlangt eine bestimmte Intensität erlittener Nachteile für eine Asylgewährung. Eine geschlechtsspezifische Diskriminierung stellt für sich allein keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dar (vgl. auch EMARK 2006/32 E.8.7.3). Der Unterschied zwischen Diskriminierung und flüchtlingsrechtlicher Verfolgung liegt in der Intensität des Eingriffs (ebd.). Als das Bundesverwaltungsgericht im Falle von Frauen und Mädchen in Somalia eine Kollektivverfolgung annahm, verlangte es nicht nur die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, sondern zusätzlich das Verfolgungsmotiv der Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan, die interne Vertreibung und das Fehlen des Schutzes durch einen erwachsenen männlichen Verwandten (vgl. BVGE 2014/2024/27 E.6.6). Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass die Anforderungen an eine Kollektivverfolgung sehr hoch sind. Das widerspiegelt sich aber nicht in der Praxis des SEM, weshalb sich die Anpassung aufdrängt.</p>
    • <div><p style="margin-top:0pt; margin-bottom:0pt; line-height:150%; widows:0; orphans:0; font-size:11pt"><span style="font-family:Arial">Die Definition des Flüchtlingsbegriffs im schweizerischen Asylgesetz (AsylG; SR 142.31) stützt sich auf den Verfolgungsbegriff im Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Flüchtlingskonvention, FK; SR 0.142.30). In der Auslegung der FK versteht sich der Begriff der Verfolgung nicht nur als Bedrohung des Lebens oder der Freiheit eines Menschen aufgrund eines flüchtlingsrechtlich relevanten Motivs, sondern bezieht sich auch auf andere schwerwiegende Verstösse gegen die Menschenrechte, wenn diese aus einem solchen Grund erfolgen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Abs. 51-53). Der Begriff des «unerträglichen psychischen Drucks» wurde bereits im Flüchtlingsbegriff des ersten Asylgesetzes (in Kraft getreten am 1.</span><span style="font-family:Arial">&#xa0;</span><span style="font-family:Arial">Januar 1981) verankert. Damit schuf auch der schweizerische Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür, dass Verfolgungsmassnahmen, die sich gegen andere Rechtsgüter als Leben, Leib oder Freiheit richten, einen ernsthaften Nachteil im Sinn von Art. 3 AsylG darstellen können. Entsprechend werden an die Intensität einer solchen Verfolgung die gleichen Anforderungen gestellt wie an die Eingriffe in die oben genannten Rechtsgüter. Ein unerträglicher psychischer Druck liegt vor, wenn einzelne Personen oder Teile einer Bevölkerung systematisch schweren oder wiederholten Eingriffen in ihre Menschenrechte ausgesetzt sind und diese Eingriffe eine derartige Intensität erreichen, dass ein menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich erscheint und ein weiterer Verbleib im Heimatstaat objektiv betrachtet nicht mehr zugemutet werden kann. Mit dem Begriff des «unerträglichen psychischen Drucks» wurde somit kein Auffangtatbestand geschaffen, um weniger intensive Eingriffe in Leib, Leben oder Freiheit flüchtlingsrechtlich anzuerkennen. Der ist ein Tatbestand, für den dieselben strengen Voraussetzungen gelten. Dies wurde von der vormaligen Asylrekurskommission sowie vom Bundesverwaltungsgericht (BVGer) anerkannt (EMARK 1993/10 S. 65 mit Verweisen; BVGE 2010/28, E. 3.3.1.1). </span></p><p style="margin-top:0pt; margin-bottom:0pt; line-height:150%; widows:0; orphans:0; font-size:11pt"><span style="font-family:Arial">Im Asylverfahren prüft das Staatssekretariat für Migration (SEM) in jedem Einzelfall individuell, ob die Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft und damit auch die Voraussetzungen für die Annahme eines unerträglichen psychischen Druckes erfüllt sind. Entgegen der Ansicht des Motionärs wird weder vom BVGer für somalische Frauen aus einem Minderheitenclan, noch vom SEM für afghanischen Frauen und Mädchen eine Kollektivverfolgung angenommen. Die Asylgewährungsquote – das heisst der Anteil der Asylgewährungen am Total aller Asylentscheide (Asylgewährungen, -ablehnungen sowie Nichteintretensentscheide) – betreffend Frauen und Mädchen aus Afghanistan beträgt nach der Praxisänderung 76% (Auswertungszeitraum: 01.07.2023 – 30.04.2024).</span></p><p style="margin-top:0pt; margin-bottom:0pt; line-height:150%; widows:0; orphans:0; font-size:11pt"><span style="font-family:Arial">Aus Sicht des Bundesrats ist es somit nicht angezeigt, den Begriff des «unerträglichen psychischen Drucks» aus dem Asylgesetz zu streichen. </span></p></div><br><br>Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
    • <p>In Art. 3 Abs. 2 AsylG ist die Wendung «Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken», zu streichen.</p>
    • Psychischer Druck ist kein Asylgrund

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